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Ein Artikel von

A.Prof Dr. Irene Stur 
E-Mail :A.Prof Dr. Irene Stur
Institut für Tierzucht und Genetik

Veterinärmedizinische Universität Wien

Kampfhunde – gibt’s die?

Der tragische Tod eines Hamburger Kindes, das durch einen Hund ums Leben gekommen ist, hat eine Welle von Reaktionen hervorgerufen, die in ihren Konsequenzen bis jetzt nicht absehbar sind. Der Tod dieses Kindes macht betroffen so wie es immer betroffen macht, wenn ein Kind zu Tode kommt, ob durch eine schwere Erkrankung, durch einen Autounfall oder wie in diesem Fall, durch einen Hund. Genauso betroffen macht aber die Tatsache, dass dieses Kind nicht hätte sterben müssen, wenn bestehende Vorschriften eingehalten worden wären. Denn der Hund, der das Kind getötet hat, war den Behörden als gefährlicher Hund bekannt, der Besitzer des Hundes war  mehrfach vorbestraft und der Hund war mit Auflagen wie Leinen- und Beißkorbzwang belegt worden. Es hatte sich nur der Besitzer nicht darum gekümmert und auch die Behörden  haben die Durchführung der Auflagen nicht kontrolliert.

  Als Reaktion auf diesen Vorfall werden nun im „Schnellschussverfahren“  neue Gesetze und Verordnungen diskutiert bzw. erlassen,  die alle die gleichen Schwächen aufweisen.

  · Sie beruhen nicht auf sachlich-wissenschaftlichen Grundlagen  und

· Sie sind von ihrer praktischen Durchführbarkeit  zu wenig durchdacht.

  Im Rahmen der Diskussionen taucht auch immer wieder der Begriff „Kampfhund“ auf, unter dem je nach Land bzw. Bundesland verschiedene Rassen subsummiert werden.

  Auch wenn der Begriff „Kampfhund“ medial gesehen sehr anschaulich ist und dazu angetan ist, die Ängste der Bevölkerung  zu schüren, so ist er doch sachlich nicht richtig. Denn „den Kampfhund“ als biologische Einheit gibt es nicht.  Im historischen Sinn waren Kampfhunde Hunde, die in der Antike mit in den Kampf genommen wurden. Sie sollten in erster Linie groß sein um dem Gegner Furcht einzuflössen. Daneben sollten sie eine möglichst hohe Reizschwelle haben um im Kampfgetümmel nicht kopflos das weite zu suchen. In jüngerer Zeit gibt es eine Gruppe von Hunden,  die gezielt für Hundekämpfe gezüchtet wurden. Diese Hunde sollten eine hohe Aggressivität haben, die aber ausschließlich auf Artgenossen gerichtet sein sollte. Hundekämpfe sind seit langer Zeit verboten, nichtsdestoweniger existiert eine Untergrundszene, in der Hundekämpfe stattfinden. Für diese Kämpfe werden Hunde entweder gezielt gezüchtet oder abgerichtet und  verwendbar sind dafür grundsätzlich Hunde verschiedenster Rassen oder Mischlinge.

Den „Kampfhund“ im Sinne des Wortes gibt es also ausschließlich in einer kleinen kriminellen Szene und ganz sicher nicht in den Wohnzimmern oder Gärten  der durchschnittlichen Hundehalter.

  Was es allerdings sehr wohl gibt, das ist der gefährliche Hund. Und den gefährlichen Hund den gibt es quer durch alle Rassen und durch alle Gesellschaftsschichten.

Der  Anteil von gefährlichen Hunden an der Gesamthundepopulation ist allerdings verschwindend klein. Weit mehr als 99% aller Hunde werden  niemals in ihrem Leben auffällig.

Der Gesetzgeber steht nun dennoch vor dem zugegebenermaßen schwierigen Problem,  dem berechtigten Wunsch der Bürger  nach Schutz vor gefährlichen Hunden zu entsprechen. Und damit stellt sich in erster Linie einmal ein Definitionsproblem.

Die anscheinend einfachste Lösung ist die Definition bestimmter Hunderassen als besonders gefährlich, sozusagen die Erstellung einer „roten Liste“, und die Verhängung von Auflagen für diese Hunde, die von Leinen- und Beißkorbzwang  über Halte- und Zuchtverbot bis zu Wegnahme und Euthanasie der Hunde gehen kann.

  Ganz abgesehen davon, dass in einem Rechtsstaat die Wegnahme und Euthanasie eines Hundes gegen den Willen des Eigentümers und ohne vernünftigen Grund  rechtswidrig ist,  und ein absoluter Leinenzwang auch aus einem primär ungefährlichen Hund einen gefährlichen machen kann, ist die Definition der Gefährlichkeit allein aufgrund der Rassezugehörigkeit sachlicher Unsinn.

  Was also macht einen Hund gefährlich?

  Da wäre zunächst die Sache mit der Aggression. Aggression ist ein Merkmal, das in der Art  Hund recht fest verankert ist, da es bei der Evolution und Domestikation des Hundes eine ganz wichtige Rolle gespielt hat. Bei den Stammvätern der Hunde, den Wölfen, verpaaren sich nur die ranghöchsten Tiere miteinander und die Rangordnung wird auf  aggressive Art und Weise ausgehandelt. Damit kamen immer nur  die Tiere zur Fortpflanzung, die die Rangordnungsauseinandersetzung erfolgreich bestanden haben.  In der Domestikation hat sich diese Selektion auf Aggressivität fortgesetzt, denn bei fast jeder Verwendung des Hundes  im Dienste des Menschen spielte Aggression eine mehr oder weniger große Rolle. Ob es die Verwendung als Wächter von Haus- und Hof (territoriale Aggression),  der Einsatz als Jagdhund (Beuteaggression, Verteidigungsaggression) oder die Verwendung als Hütehund (Dominanzaggression, territoriale Aggression) war, die Tiere mit den ausgeprägtesten Aggressionsmerkmalen wurden zur Weiterzucht verwendet. Dabei  war aber die züchterische begünstigte Aggression so gut wie niemals gegen den Menschen gerichtet.

  Aggression  alleine macht einen Hund aber noch nicht gefährlich. Nur wenn diese Aggression durch bestimmte Reize auch ausgelöst wird, wird der Hund gefährlich. Und dafür ist unter anderem auch die Reizschwelle des Hundes verantwortlich. Je höher die Reizschwelle eines Hundes ist umso geringer  ist die Wahrscheinlichkeit, dass seine Aggression ausgelöst wird. Wirklich gefährlich ist also ein Hund wenn er ein hohes Aggressionspotential bei gleichzeitig niedriger Reizschwelle hat. Sowohl Aggression als auch Reizschwelle eines Hundes sind zwar grundsätzlich genetisch verankert, werden aber durch Umwelt- und Haltungsbedingungen verändert. So sinkt z.B. die Reizschwelle eines Hundes, wenn er  niemals oder zu wenig Gelegenheit hat, sich frei zu bewegen. Ein ständiger Leinenzwang als Maßnahme zur Prävention vor Hundebissen ist somit als äußerst problematisch anzusehen, da durch den damit verbundenen Mangel an Bewegung, die Reizschwelle des Hundes sinkt und er damit de facto gefährlicher wird.

  Eine weitere ganz wichtige Gefahrenursache ist der Halter des Hundes. Und da gibt es vor allem zwei Typen von gefährlichen Besitzern.

  · Da wäre einmal der  Mensch, der mit seinem Hund in einem unklaren Rangverhältnis lebt, der es also nicht geschafft hat, dem Hund klar zu machen, dass der Hund immer der rangniedrigste im Rudel ist. Dieser Hundehalter hat seinen Hund somit nicht unter Kontrolle und damit ist der Hund potentiell gefährlich.

  · Das zweite ist der Hundebesitzer, der Freude daran hat, einen gefährlichen Hund zu besitzen und sogar noch Maßnahmen trifft, um den Hund gefährlicher zu machen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Unfallsituation. Da es beim Hund verschiedene Aggressionsformen gibt, gibt es auch unterschiedliche Situationen, die diese Aggression auslösen. So gibt es unter Beachtung der verschiedenen Aggressionsformen sehr typische Unfallsituationen:

 

+ Opfer betritt Territorium des Hundes  (Territorialverteidigung)

+ Opfer läuft vor dem Hund davon  (Beutefang)

+ Opfer fährt mit dem Fahrrad am Hund vorbei  (Beutefang)

+ Opfer unterschreitet die kritische Distanz des Hundes -  Hund fühlt sich bedroht  (Verteidigung)

+ Opfer fügt dem Hund Schmerzen zu  (Verteidigung)

+ Opfer nimmt dem Hund sein Futter weg  (Dominanzverhalten)

+ Opfer verdrängt den Hund von einem Vorzugsplatz z.B. Sofa oder Bett (Dominanzverhalten)

  Vermeidung solcher typischer Unfallsituationen stellt somit eine sehr wirksame Schutz- und Präventivmaßnahme vor Hundebissen dar.

  Woran erkennt man aber nun einen gefährlichen Hund ?

  Grundsätzlich einmal daran, dass er bereits einmal oder mehrfach durch aggressives Verhalten aufgefallen ist.  Hunde sind, wenn sie gefährlich sind, Wiederholungstäter. Eine sehr wirksame Präventionsmaßnahme ist somit die Definition von auffällig gewordenen Hunden als gefährlich und die Belegung dieser Hunde und ihrer Besitzer mit entsprechenden Auflagen. Damit könnte bereits ein sehr großer Teil  von Verletzungen durch Hunde vermieden werden.

  Oft wird auch der große Hund als besonders gefährlich angesehen. Das ist aber auch nur bedingt richtig. Es ist zwar klar, dass  ein großer Hund, wenn er beisst, mehr Schaden anrichten kann als ein kleiner, einen Hund grundsätzlich als besonders gefährlich anzusehen, nur weil er eine bestimmte Größe überschreitet  ist aber ebenso wenig sinnvoll, wie die Gefährlichkeit auf  der Basis  der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse zu definieren.

  Was kann man noch tun?

  Es gibt einige Maßnahmen, die getroffen werden können um das Risiko von  Verletzungen durch Hunde zu mindern. Dazu sind aber nicht nur die Gesetzgeber gefragt sondern in erster Linie jeder einzelne Hundebesitzer

  ·  Durchgehende Kennzeichnung aller Hunde, im Idealfall durch Mikrochip. Damit ist die Registrierung und Überwachung auffällig gewordener Hunde erleichtert. Ein weiterer Vorteil, den eine lückenlose Kennzeichnung bringt, ist, dass Hunde nicht mehr einfach ausgesetzt werden können und verlorengegangene Hunde ihren Besitzern wieder zurückgebracht werden können. Die technologischen Voraussetzungen dafür sind gegeben, so bietet z.B. der Verband Österreichischer Kleintiermediziner  eine internationale Datenbank, die rund um die Uhr über das Internet abrufbar ist (http://www.animaldata.com)

  ·  Sachkundenachweis für Hundehalter. Hunde sind sehr komplexe lebendige Geschöpfe, der richtige Umgang mit ihnen, der letztlich auch eine Voraussetzung  für eine risikoarme Haltung ist, erfordert eine  gewisse Sachkompetenz. Nichtsdestoweniger werden Hunde oft aus einer momentanen Laune heraus gekauft ohne dass man sich vorher  ausreichend informiert.  Information vor dem Hundekauf durch Tierärzte und Rassezuchtverbände, allenfalls vorgeschriebene Schulungen für Besitzer von auffällig gewordenen Hunden, unter Umständen sogar eine grundsätzliche Pflicht für einen Sachkundenachweis für Hundehalter könnten  ebenfalls helfen, das Risiko zu mindern

  ·  Gesundheits- und Wesenstest für Zuchthunde. Aggressives Verhalten  kann sehr  vielschichtige Ursachen haben. Ein nicht zu unterschätzender Prozentsatz von Verhaltensstörungen hat organische Ursachen, das heißt, verschiedene Erkrankungen können auch zu Verhaltensstörungen führen. Verhaltensstörungen haben zudem fast immer so wie viele Gesundheitsstörungen auch eine genetische Grundlage sodass die Zucht mit verhaltensauffälligen und/oder kranken Hunden in jedem Fall zu vermeiden ist.  Das ERVIP-Programm  (http://www.ervip.tierarzt.at) ist eine tierärztliche Initiative, die Zuchtverbänden und Züchtern  rassespezifische standardisierte Untersuchungen anbietet, wobei Welpen, die aus untersuchten und gesunden Elterntieren stammen und selber  untersucht und gesund befundet worden sind, mit einem tierärztlichen Gütesiegel, dem ERVIP (Erb-Vital-Pass) ausgezeichnet werden.

  ·  Und nicht zuletzt kann jeder einzelne verantwortungsbewusste Hundebesitzer  dazu beitragen, dass die Angst der Bevölkerung vor Hunden gemindert wird. Es sollte doch nicht passieren, dass die  20000 Jahre alte Gemeinschaft zwischen Mensch und Hund,  durch einige wenige verantwortungslose Hundebesitzer  in ihren Grundfesten erschüttert und in Frage gestellt wird.  Zumal diese Gemeinschaft ja auch unendlich viele positive Aspekte hat.

 A.Prof. Dr. Irene Stur, Institut für Tierzucht und Genetik der VUW

 

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 A.Prof. Dr. Irene Stur, Institut für Tierzucht und Genetik der VUW

 

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