Der tragische Tod
eines Hamburger Kindes, das durch einen Hund ums Leben gekommen
ist, hat eine Welle von Reaktionen hervorgerufen, die in ihren
Konsequenzen bis jetzt nicht absehbar sind. Der Tod dieses Kindes
macht betroffen so wie es immer betroffen macht, wenn ein Kind zu
Tode kommt, ob durch eine schwere Erkrankung, durch einen
Autounfall oder wie in diesem Fall, durch einen Hund. Genauso
betroffen macht aber die Tatsache, dass dieses Kind nicht hätte
sterben müssen, wenn bestehende Vorschriften eingehalten worden wären.
Denn der Hund, der das Kind getötet hat, war den Behörden als
gefährlicher Hund bekannt, der Besitzer des Hundes war
mehrfach vorbestraft und der Hund war mit Auflagen wie
Leinen- und Beißkorbzwang belegt worden. Es hatte sich nur der
Besitzer nicht darum gekümmert und auch die Behörden
haben die Durchführung der Auflagen nicht kontrolliert.
Als Reaktion auf
diesen Vorfall werden nun im Schnellschussverfahren
neue Gesetze und Verordnungen diskutiert bzw. erlassen,
die alle die gleichen Schwächen aufweisen.
·
Sie beruhen nicht auf sachlich-wissenschaftlichen Grundlagen
und
·
Sie sind von ihrer praktischen Durchführbarkeit
zu wenig durchdacht.
Im Rahmen der
Diskussionen taucht auch immer wieder der Begriff Kampfhund
auf, unter dem je nach Land bzw. Bundesland verschiedene Rassen
subsummiert werden.
Auch wenn der
Begriff Kampfhund medial gesehen sehr anschaulich ist und
dazu angetan ist, die Ängste der Bevölkerung
zu schüren, so ist er doch sachlich nicht richtig. Denn
den Kampfhund als biologische Einheit gibt es nicht.
Im historischen Sinn waren Kampfhunde Hunde, die in der
Antike mit in den Kampf genommen wurden. Sie sollten in erster
Linie groß sein um dem Gegner Furcht einzuflössen. Daneben
sollten sie eine möglichst hohe Reizschwelle haben um im Kampfgetümmel
nicht kopflos das weite zu suchen. In jüngerer Zeit gibt es eine
Gruppe von Hunden, die
gezielt für Hundekämpfe gezüchtet wurden. Diese Hunde sollten
eine hohe Aggressivität haben, die aber ausschließlich auf
Artgenossen gerichtet sein sollte. Hundekämpfe sind seit langer
Zeit verboten, nichtsdestoweniger existiert eine Untergrundszene,
in der Hundekämpfe stattfinden. Für diese Kämpfe werden Hunde
entweder gezielt gezüchtet oder abgerichtet und
verwendbar sind dafür grundsätzlich Hunde verschiedenster
Rassen oder Mischlinge.
Den
Kampfhund im Sinne des Wortes gibt es also ausschließlich
in einer kleinen kriminellen Szene und ganz sicher nicht in den
Wohnzimmern oder Gärten der
durchschnittlichen Hundehalter.
Was es allerdings
sehr wohl gibt, das ist der gefährliche Hund. Und den gefährlichen
Hund den gibt es quer durch alle Rassen und durch alle
Gesellschaftsschichten.
Der
Anteil von gefährlichen Hunden an der
Gesamthundepopulation ist allerdings verschwindend klein. Weit
mehr als 99% aller Hunde werden
niemals in ihrem Leben auffällig.
Der Gesetzgeber
steht nun dennoch vor dem zugegebenermaßen schwierigen Problem,
dem berechtigten Wunsch der Bürger
nach Schutz vor gefährlichen Hunden zu entsprechen. Und
damit stellt sich in erster Linie einmal ein Definitionsproblem.
Die anscheinend
einfachste Lösung ist die Definition bestimmter Hunderassen als
besonders gefährlich, sozusagen die Erstellung einer roten
Liste, und die Verhängung von Auflagen für diese Hunde, die
von Leinen- und Beißkorbzwang
über Halte- und Zuchtverbot bis zu Wegnahme und Euthanasie
der Hunde gehen kann.
Ganz abgesehen
davon, dass in einem Rechtsstaat die Wegnahme und Euthanasie eines
Hundes gegen den Willen des Eigentümers und ohne vernünftigen
Grund rechtswidrig
ist, und ein
absoluter Leinenzwang auch aus einem primär ungefährlichen Hund
einen gefährlichen machen kann, ist die Definition der Gefährlichkeit
allein aufgrund der Rassezugehörigkeit sachlicher Unsinn.
Was
also macht einen Hund gefährlich?
Da wäre zunächst
die Sache mit der Aggression. Aggression ist ein Merkmal,
das in der Art Hund
recht fest verankert ist, da es bei der Evolution und
Domestikation des Hundes eine ganz wichtige Rolle gespielt hat.
Bei den Stammvätern der Hunde, den Wölfen, verpaaren sich nur
die ranghöchsten Tiere miteinander und die Rangordnung wird auf
aggressive Art und Weise ausgehandelt. Damit kamen immer
nur die Tiere zur
Fortpflanzung, die die Rangordnungsauseinandersetzung erfolgreich
bestanden haben. In
der Domestikation hat sich diese Selektion auf Aggressivität
fortgesetzt, denn bei fast jeder Verwendung des Hundes
im Dienste des Menschen spielte Aggression eine mehr oder
weniger große Rolle. Ob es die Verwendung als Wächter von Haus-
und Hof (territoriale Aggression),
der Einsatz als Jagdhund (Beuteaggression,
Verteidigungsaggression) oder die Verwendung als Hütehund
(Dominanzaggression, territoriale Aggression) war, die Tiere mit
den ausgeprägtesten Aggressionsmerkmalen wurden zur Weiterzucht
verwendet. Dabei war
aber die züchterische begünstigte Aggression so gut wie niemals
gegen den Menschen gerichtet.
Aggression
alleine macht einen Hund aber noch nicht gefährlich. Nur
wenn diese Aggression durch bestimmte Reize auch ausgelöst wird,
wird der Hund gefährlich. Und dafür ist unter anderem auch die Reizschwelle
des Hundes verantwortlich. Je höher die Reizschwelle eines Hundes
ist umso geringer ist
die Wahrscheinlichkeit, dass seine Aggression ausgelöst wird.
Wirklich gefährlich ist also ein Hund wenn er ein hohes
Aggressionspotential bei gleichzeitig niedriger Reizschwelle hat.
Sowohl Aggression als auch Reizschwelle eines Hundes sind zwar
grundsätzlich genetisch verankert, werden aber durch Umwelt- und
Haltungsbedingungen verändert. So sinkt z.B. die Reizschwelle
eines Hundes, wenn er niemals
oder zu wenig Gelegenheit hat, sich frei zu bewegen. Ein ständiger
Leinenzwang als Maßnahme zur Prävention vor Hundebissen ist
somit als äußerst problematisch anzusehen, da durch den damit
verbundenen Mangel an Bewegung, die Reizschwelle des Hundes sinkt
und er damit de facto gefährlicher wird.
Eine weitere ganz
wichtige Gefahrenursache ist der Halter des Hundes. Und da
gibt es vor allem zwei Typen von gefährlichen Besitzern.
·
Da wäre einmal der Mensch,
der mit seinem Hund in einem unklaren Rangverhältnis lebt, der es
also nicht geschafft hat, dem Hund klar zu machen, dass der Hund
immer der rangniedrigste im Rudel ist. Dieser Hundehalter hat
seinen Hund somit nicht unter Kontrolle und damit ist der Hund
potentiell gefährlich.
·
Das zweite ist der Hundebesitzer, der Freude daran hat, einen gefährlichen
Hund zu besitzen und sogar noch Maßnahmen trifft, um den Hund gefährlicher
zu machen.
Ein weiterer
wichtiger Punkt ist die Unfallsituation. Da es beim Hund
verschiedene Aggressionsformen gibt, gibt es auch unterschiedliche
Situationen, die diese Aggression auslösen. So gibt es unter
Beachtung der verschiedenen Aggressionsformen sehr typische
Unfallsituationen:
+ Opfer betritt
Territorium des Hundes (Territorialverteidigung)
+ Opfer läuft
vor dem Hund davon (Beutefang)
+ Opfer fährt
mit dem Fahrrad am Hund vorbei (Beutefang)
+ Opfer
unterschreitet die kritische Distanz des Hundes -
Hund fühlt sich bedroht
(Verteidigung)
+ Opfer fügt
dem Hund Schmerzen zu (Verteidigung)
+ Opfer nimmt
dem Hund sein Futter weg (Dominanzverhalten)
+ Opfer verdrängt
den Hund von einem Vorzugsplatz z.B. Sofa oder Bett
(Dominanzverhalten)
Vermeidung
solcher typischer Unfallsituationen stellt somit eine sehr
wirksame Schutz- und Präventivmaßnahme vor Hundebissen dar.
Woran
erkennt man aber nun einen gefährlichen Hund ?
Grundsätzlich
einmal daran, dass er bereits einmal oder mehrfach durch
aggressives Verhalten aufgefallen ist. Hunde
sind, wenn sie gefährlich sind, Wiederholungstäter. Eine sehr
wirksame Präventionsmaßnahme ist somit die Definition von auffällig
gewordenen Hunden als gefährlich und die Belegung dieser Hunde
und ihrer Besitzer mit entsprechenden Auflagen. Damit könnte
bereits ein sehr großer Teil
von Verletzungen durch Hunde vermieden werden.
Oft wird auch der
große Hund als besonders gefährlich angesehen. Das ist aber auch
nur bedingt richtig. Es ist zwar klar, dass
ein großer Hund, wenn er beisst, mehr Schaden anrichten
kann als ein kleiner, einen Hund grundsätzlich als besonders gefährlich
anzusehen, nur weil er eine bestimmte Größe überschreitet
ist aber ebenso wenig sinnvoll, wie die Gefährlichkeit auf
der Basis der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse zu definieren.
Was
kann man noch tun?
Es gibt einige Maßnahmen,
die getroffen werden können um das Risiko von
Verletzungen durch Hunde zu mindern. Dazu sind aber nicht
nur die Gesetzgeber gefragt sondern in erster Linie jeder einzelne
Hundebesitzer
·
Durchgehende
Kennzeichnung aller Hunde, im Idealfall durch Mikrochip. Damit
ist die Registrierung und Überwachung auffällig gewordener Hunde
erleichtert. Ein weiterer Vorteil, den eine lückenlose
Kennzeichnung bringt, ist, dass Hunde nicht mehr einfach
ausgesetzt werden können und verlorengegangene Hunde ihren
Besitzern wieder zurückgebracht werden können. Die
technologischen Voraussetzungen dafür sind gegeben, so bietet
z.B. der Verband Österreichischer Kleintiermediziner
eine internationale Datenbank, die rund um die Uhr über
das Internet abrufbar ist (http://www.animaldata.com)
·
Sachkundenachweis für Hundehalter. Hunde sind sehr
komplexe lebendige Geschöpfe, der richtige Umgang mit ihnen, der
letztlich auch eine Voraussetzung
für eine risikoarme Haltung ist, erfordert eine
gewisse Sachkompetenz. Nichtsdestoweniger werden Hunde oft
aus einer momentanen Laune heraus gekauft ohne dass man sich
vorher ausreichend
informiert. Information
vor dem Hundekauf durch Tierärzte und Rassezuchtverbände,
allenfalls vorgeschriebene Schulungen für Besitzer von auffällig
gewordenen Hunden, unter Umständen sogar eine grundsätzliche
Pflicht für einen Sachkundenachweis für Hundehalter könnten
ebenfalls helfen, das Risiko zu mindern
·
Gesundheits- und Wesenstest für Zuchthunde.
Aggressives Verhalten kann
sehr vielschichtige
Ursachen haben. Ein nicht zu unterschätzender Prozentsatz von
Verhaltensstörungen hat organische Ursachen, das heißt,
verschiedene Erkrankungen können auch zu Verhaltensstörungen führen.
Verhaltensstörungen haben zudem fast immer so wie viele
Gesundheitsstörungen auch eine genetische Grundlage sodass die
Zucht mit verhaltensauffälligen und/oder kranken Hunden in jedem
Fall zu vermeiden ist. Das
ERVIP-Programm (http://www.ervip.tierarzt.at)
ist eine tierärztliche Initiative, die Zuchtverbänden und Züchtern
rassespezifische standardisierte Untersuchungen anbietet,
wobei Welpen, die aus untersuchten und gesunden Elterntieren
stammen und selber untersucht
und gesund befundet worden sind, mit einem tierärztlichen Gütesiegel,
dem ERVIP (Erb-Vital-Pass) ausgezeichnet werden.
·
Und nicht zuletzt kann jeder einzelne
verantwortungsbewusste Hundebesitzer
dazu beitragen, dass die Angst der Bevölkerung vor Hunden
gemindert wird. Es sollte doch nicht passieren, dass die
20000 Jahre alte Gemeinschaft zwischen Mensch und Hund,
durch einige wenige verantwortungslose Hundebesitzer
in ihren Grundfesten erschüttert und in Frage gestellt
wird. Zumal diese
Gemeinschaft ja auch unendlich viele positive Aspekte hat.
A.Prof.
Dr. Irene Stur, Institut für Tierzucht und Genetik der VUW
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