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Dr. Klaus Jarchow

Bremer „Kampfhund“-Besitzer

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An die Bürgerschaftsabgeordneten im Land Bremen

 

Bremen, 8. September 2000

 

 

Warum die Bremer „Kampfhundeverordnung“ nichts taugt

 

Der Entwurf der überarbeiteten Hundeverordnung in Hessen, nach dem Scheitern des ersten Versuchs, kennt keine „Rasselisten“ mehr. Auch Nordrhein-Westfalen hat klammheimlich mit der Revision begonnen.

Baden-Württemberg und Thüringen stellen sich mit ihren Entwürfen quer zum bisherigen Mainstream, Sachsen erstellt gar keine Verordnung. Kommunen – zuletzt Osnabrück – erleiden mit Kampfhundsteuerbegehren vor Gericht Schiffbruch. Auch die Bremer Kampfhundeverordnung wird - und sollte! - in dieser Form keinen Bestand haben, vor allem aus Gründen der Vernunft:

 

1.

Weil sie gefährliche Hunde nicht erfasst:

Nach dem bedauerlichen Tod eines 7-jährigen Jungen in Hamburg-Wilhelmsburg soll auch die Bremer Hundeverordnung der Gefahrenabwehr und dem Schutz der Bevölkerung vor ähnlichen Vorfällen dienen. Sie setzt hierbei aber nicht bei bundesweiten Vollzugsdefiziten in der Exekutive an, die es im Hamburger Fall jahrelang versäumte, den auf- und straffälligen Halter zu disziplinieren und ihm die Hunde zu entziehen. Stattdessen möchte sie sich an „objektivierbaren Gefährdungspotenzialen“ orientieren. Etwa zwei Drittel der Länder haben sich zu diesem Zweck die so genannten „Listen gefährlicher Rassen“ einfallen lassen, nur auf den ersten Blick ein klares Konzept, das – sollte man meinen – dann auch realitätskonform umgesetzt werden müsste. Lässt man sich nämlich probeweise auf ein „rassespezifisches“ Gefährdungspotenzial ein, dann zeichnen die Vorfallszahlen ein Bild, das mit den existierenden Hundeverordnungen nicht kompatibel ist. Mir bisher bekannt gewordene Fälle von Kindstötungen und schweren Kindsverletzungen durch Hunde habe ich hier in einer Fußnote zusammengefasst, zusammengestellt nach Publikationen der Polizei und aus der Tagespresse.

  • 1974 im Ruhrgebiet: Tod eines 11-jährigen durch zwei Schäferhündinnen

  • 1977 in Karlsruhe: Tod eines 5-jährigen durch zwei Schäferhündinnen

  • 1982 in Recklinghausen: Tod eines 5-jährigen durch zwei Schäferhunde

  • 1985 in Gießen: Tod einer 10-jährigen durch zwei Schäferhundrüden

  • 1985 in Flensburg: Tod einer 11-jährigen durch zwei Schäferhundrüden

  • 1989 in Ofterdingen: Tod eines 7-jährigen durch 1 Schäferhund

  • 1989 in Karlsruhe: Tod eines 4-jährigen durch 3 Schäferhunde

  • 1990 in Frankfurt: Schwere Entstellung eines 5-jährigen durch Angriff von

  • 1 Rottweiler und 1 Schäferhund

  • 1991 in Straubing: Streunender Schäferhund verletzt zwei Kinder schwer.

  • 1992 in Pulheim: 3 Schäferhunde verletzen eine Gruppe von spielenden

  • Kindern schwer.

  • 1999 in Stuttgart: Schäferhund verletzt Kind schwer.

  • 1999 in Frankfurt: Jagdhund verletzt 2-jährige schwer.

  • 2000 in Hamburg: Tod eines 7-jährigen durch 2 American Staffordshire Terrier

 

Weitere Recherchen würden diese Liste nur erweitern, ohne an der Tendenz und am grundlegenden Sachverhalt etwas zu ändern – der übrigens seit Jahrzehnten in etwa konstant ist. Zwischen einem und vier Menschen werden bundesweit in jedem Jahr von aggressiven Hunden getötet. Der deutsche Schäferhund, der 10 % der Hundepopulation in Deutschland stellt, ist für etwa die Hälfte aller gemeldeten Beißvorfälle verantwortlich. Im Falle der Kindstötungen offenbar prozentual für weit mehr Vorfälle. Alle existierenden Statistiken – die NRW-Liste (1989 – 1997) sowohl wie die 9-jährige Untersuchung des Deutschen Städtetages in 97 Städten – zeichnen das gleiche Bild. Eine Verordnung mit einer Liste gefährlicher Hunderassen, die „Kommissar Rex“ nicht erfasst, ist nach ihren eigenen Kriterien pure Willkür und das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist, sofern sie das Ziel hat, die Bevölkerung, insbesondere Kinder, vor gefährlichen Hunden zu schützen.

Auch die „Beißvorfalls-Zahlen“ der großen Vergleichsuntersuchung des Jahres 1997 des Deutschen Städtetages aus 97 Städten konterkarieren die „Rasselisten“ der heutigen Kampfhundverordnungen:

  • 2.376 Mischlings-, 

  • 1.956 Schäferhund-, 

  • 542 Rottweiler-, 

  • 320 Pitbull-, 

  • 169 Bullterrier-, 

  • 169 Staffordshire-Terrier-, 

  • 160 Dackel-, 

  • 160 Terrier-, 

  • 119 Doggenvorfälle. 

Auf den Listen der Bremer Hundeverordnung aber tauchen Tosa Inu, Mastin Espagnol und andere Rassen auf, die noch niemandem Anlass zu Klage oder Furcht gegeben haben. In Nordrhein-Westfallen sogar längst ausgestorbene  Rassen! Welchen Eindruck soll man von der Kompetenz der Menschen gewinnen, die diese Listen erarbeiten und absegnen? 

Der Politik geht es wohl eher darum, unter dem Deckmantel des „Schutzes der Bevölkerung“ bestimmten sozial unerwünschten Bevölkerungsgruppen in den Vorstädten mit Unterstützung der größten Boulevardzeitung im Lande „ihre“ Hunde zu nehmen. Sie trifft hierbei alle anderen Personen, die ebenfalls einen Hund solcher Rassen halten, ohne zu dieser Gruppe zu zählen, nach dem Rasenmäherprinzip gleich mit. Das widerspricht allen Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit und ist Willkür. Schließlich hat man damals auch nicht den BMW verboten, bloß weil die Baader-Meinhof-Bande damit Sprengstoff durch die Gegend fuhr. Die gerichtliche Überprüfung – in Bremen läuft ein erstes Normenkontroll-Eilverfahren – wird auch die Bremer Hundeverordnung allein aus Gründen der Logik und Sachkunde wohl sang- und klanglos versenken.

2.

Weil sie auf das Konzept der Rasse setzt:

Aggressivität, heißt es begründend, solle bei „Kampfhundrassen“ genetisch verankert sein. Deshalb sei ein Verbot, bzw. ein Leinen- und Maulkorbzwang für bestimmte Rassen angemessen. Hierfür gibt es nicht den geringsten wissenschaftlichen Anhaltspunkt. Selbst der „Killer“ unter den Hunderassen, der deutsche Schäferhund, wird ja nicht wegen seiner „Wolfsnähe“ besonders aggressiv, sondern durch die Unsitte der „Schutzhundprüfungen“ für jedermann. Richtig allerdings ist, dass jeder Hund zu 100 Prozent Wolfsblut besitzt.

 „Es gibt keine gefährlichen Hunderassen, es gibt gefährliche Hundeindividuen“, so das eindeutige Statement von Dorit Fedddersen-Petersen, der wohl bekanntesten Ethologin während der Anhörung durch die grüne Bundestagsfraktion in Berlin zu diesem Thema am 21. 8. 2000. 

Es käme daher darauf an, auf dem grauen Markt anzusetzen und Aggressionszuchten und Aggressionsdressuren zu unterbinden. Das ist auch die Aussage aller Experten und Praktiker – von den Biologen und Verhaltensforschern über die Polizeigewerkschaft, die Hundeausbilder bis zu den Tierheimen. Ein erster Schritt: die Halteerlaubnis für den Besitzer (sog. „Hundeführerschein“). Alle Tierschützer fordern von der Politik seit Jahren ein Importverbot und ein Heimtierschutzgesetz mitsamt einer Züchterkontrolle. Stattdessen erhalten sie Hundeverordnungen mit Rasselisten, für welche offenbar ein unbedarfter bayrischer Verwaltungsreferent mit Knaurs Hundebuch auf den Knien 1992 einmal die Blaupause geliefert hat. Alle Parteien, mit Ausnahme der NRW-FDP (s.Anl.), sind bisher – „Bloß nicht wackeln!“ – unglaublich beratungsresistent. So kam es dazu, dass die Gesetzgeber, unter dem Druck des geBILDeten Publikums, untaugliche Verordnungen schufen, die heute gezielt die falschen, nämlich die angemeldeten und friedlichen Exemplare bestimmter Hunderassen treffen. Ein Hund, egal welcher Rasse, der aus einer kontrollierten Zucht stammt, der im Spiel mit seinesgleichen ein angemessenes Sozialverhalten erlernen konnte, der nicht gequält oder geängstigt wird, ist nie aggressiv. Dagegen kann jeder Hund, egal welcher Rasse und Herkunft, vom Halter gezielt aggressiv gemacht werden. In Frankreich, das die hier in Frage stehenden Rassen faktisch weitgehend ausgerottet hat, finden Hundekämpfe heute vor allem unter Riesenschnauzern und Boxern statt, die Zahl der Beißvorfälle im Land ist seither keineswegs zurückgegangen. Kurzum: Die Bremer Hundeverordnung in der heutigen Form zeigt nicht den geringsten wissenschaftlichen oder objektivierbaren Sachverstand.

3.

Weil sie keine Überprüfung zulässt:

Das Land Bremen weigert sich standhaft, Ausnahmen vom Gesetz (z.B.Befreiung vom Maulkorbzwang) durch einen Wesenstest und eine Haltereignungsprüfung zuzulassen – und meint noch, deshalb besonders fortschrittlich zu sein. Hundeerfahrenen, kenntnisreichen Besitzern und gutartigen, wohlerzogenen Hunden wird damit – entgegen den Verordnungen in anderen Bundesländern – jede Möglichkeit genommen, eine Gleichstellung mit anderen, ähnlich gearteten Hunden und geschulten Hundebesitzern zu erreichen, die zufällig und glücklicherweise einen Hund außerhalb einer willkürlichen Liste besitzen. Bayern, neuerdings auch Hessen in dem revidierten Entwurf, koppeln den Kampfhundbegriff dagegen an den Wesenstest. Wer ihn besteht, ist kein Kampfhund. Deshalb kann Bayern sich ja heute auch damit brüsten, dass es eine „kampfhundfreie Zone“ sei, obwohl dort jede Menge Hundeindividuen aus Kampfhundrassen frei herumlaufen, obwohl es die Hochburg der Bullterrierzucht in Deutschland ist. Es handelt sich aber um geprüfte Tiere und Betriebe, die eben deshalb keine Kampfhunde sein können und in der Statistik nicht auftauchen.

4.

Weil sie eine artgerechte Haltung unmöglich macht

Zunehmend „falsch“ und immer schwerer zu korrigieren werden Hunde aller Rassen durch das erzwungene Tragen eines Maulkorbs, was ihnen jede artgerechte Möglichkeit zum Schnüffeln, Lecken, Greifen und auch Hecheln nimmt. „Der Leinen- oder sogar Maulkorbzwang bewirkt das genaue Gegenteil des Gewollten“ (Feddersen-Petersen, Uni Kiel), „die Reizschwelle sinkt, wenn der Hund zu wenig Gelegenheit hat sich artgerecht zu verhalten“ (I. Stur, Uni Wien). Mit anderen Worten: Tierquälerei ist eine bewusst in Kaufgenommene Konsequenz einer untauglichen Verordnung, die mit ihren Maßnahmen das Gegenteil dessen bewirkt, was sie erreichen will. Hundehaltern lässt sie nur die Wahl zwischen einem Verstoß gegen den Tierschutz oder einem Verstoß gegen die Verordnung, um ihren Hund nicht tückisch zu machen.

5.

Weil sie hundebesitzenden Bürgern die Bewegungsfreiheit nimmt

Politiker neigen gelegentlich dazu, die negativen Folgen ihres Handelns zu bagatellisieren. Besitzer bestimmter Hunderassen können mit ihrem Hund heute – im Jahr 2000! – nicht mehr Bahn fahren, nicht mehr in eine Straßenbahn steigen, Wohnungen nicht mehr behalten, Hotels nicht mehr buchen, Restaurants nicht mehr besuchen. Zugleich hat sich die Bundesrepublik in einen Flickenteppich widersprüchlicher Hundeverordnungen verwandelt, wo innerhalb von 100 km oft mehrere völlig unterschiedliche Gesetze gelten. Hundehalter werden, auch das eine Folge der Verordnungen, angepöbelt, angespuckt, geschlagen, ihre Hunde getreten, abgestochen und in bisher zwei Fällen sogar verbrannt. Einschlägige Auskünfte über die Zunahme der „Hundehasservorfälle“ geben die Publikationen der Gewerkschaft der Polizei. Redakteure, auch außerhalb des blutbefleckten Boulevards, heizen die Stimmung zusätzlich an: In der Nordsee-Zeitung wird aus dem wenig schlagzeilenträchtigen Collie, der einen Dackel beißt, für ein wenig mehr Zeilenhonorar ein „Kampfhund zerfleischt Dackeldame“.

6.

Weil sie Kriterien aufstellt, mit denen sie sich selbst lächerlich macht

Die Hundeverordnung soll bis in die letzte Generation für alle Mischlingshunde gelten, sobald sie einen Tropfen „Kampfhundblut“ in den Adern haben. Dieser Paragraph ist lächerlich, denkt man an die praktische Umsetzung. Ein durchschnittlicher Mischlingshundbesitzer weiß, wenn er Glück hat, wer der Vater seines Welpen war. Weiter zurück reicht der jetzt verlangte „Ariernachweis“ selten. In der Praxis der neuen Hundeverordnung schlüpfen jede Menge Mischlinge durch die Maschen, weil sie zufälligerweise nicht die rosa Nase geerbt haben, an der sie Deutschlands kundige Wachtmeister jetzt erkennen. Mit anderen Worten: Es handelt sich um einen Gummiparagraphen, der behördlicher Willkür Tür und Tor öffnet:

Was aussieht wie ein Kampfhund, ist auch ein Kampfhund. Bzw.: Wer tätowiert ist und eine Bierdose in der Hand hält, dessen Hund ist ein Kampfhund. Diese Intention kommt allein schon in der Art zum Ausdruck, wie der entsprechende Absatz abgefasst wurde. 

Übrigens: Jeder Boxer, 1896  erstmals aus Bullenbeißer und Bulldog gekreuzt, ist bis heute ein hundertprozentiger Kampfhundmischling nach den Kriterien der Bremer Kampfhundeverordnung. Besser als jede Orientierung an „Blutsbanden“ wäre angesichts der Absurdität solcher Vorschriften die Kennzeichnungspflicht für große Hunde (das „Chippen“), um auffälliges Verhalten, Vorfälle und Verstöße eindeutig einem Besitzer zurechnen zu können, um Hunde schon aus der Ferne identifizieren zu können, um Hunde, die nicht „gechippt“ sind, einzuziehen, und damit Hinterhofzuchten und vor allem den „Straßenverkauf“ zu unterbinden. 

Auch ginge es darum, endlich konsequent gegen lukrative Hundekämpfe einzuschreiten, von denen halbe Stadtteile - wie z. B. Wilhelmsburg - leben. Ein ungeprüfter Hinweis, den ich erhalten habe: In Bremen sollen solche Kämpfe regelmäßig auf den Wiesen zwischen dem Bultenfleet und der Autobahn in Tenever stattfinden. Die zu diesem Zweck gequälten Hunde würden im Dunkel leer stehender Keller in den Krause-Gebäuden gehalten. Wie wär´s, wenn sich die Aufmerksamkeit der Politik einmal in Richtung exekutiven Handelns orientiert und ihre Beamten zum Jagen trägt?

Ich hoffe, mit diesem Papier eine kleinen Beitrag zur kommenden Diskussion um die nächste Ausgabe der Bremer Hundeverordnung leisten zu können. Falls Abgeordnete aller Parteien – mit Ausnahme der DVU – zusätzliche Materialien oder interessante Informationen benötigen, stellen wir sie ihnen gern zur Verfügung.

Mit freundlichem Gruß

 

Dr. Klaus Jarchow 

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