Willkür und Denunziation statt richterlichen Beschlusses
 
>Verdacht auf Hund< öffnet bald jedes Haus (von Ingo S t e i n s d ö r f e r)
 
Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist ein hohes, grundgesetzlich verbrieftes Gut. Während Wohnungsdurchsuchungen bei Verdacht auf jeden kriminellen Tatbestand einer richterlichen Anordnung bedürfen, können Polizei und Ordnungsamt bei >Verdacht auf Rasselisten-Hund< jedoch bei jedermann unangemeldet >einfallen<.
 
Bielefeld (WB). Im Taunusstädtchen Hofheim zwischen Frankfurt und Hessens Landeshauptstadt Wiesbaden hat es sich Ende Februar vor Zeugen zugetragen: Eine Frau (63), bislang unbescholten, geht mit ihrem kräftigen, gleichwohl harmlosen Mischlingshund >Paul< spazieren. Sie trifft eine andere Frau, die mit einem Dackel unterwegs ist. Beide Rüden >bellen sich die Meinung<, von einer Beißerei keine Spur. Für die 63-jährige jedoch hat das Treffen noch am gleichen Tag Folgen, die übelste Klischees von Stasi- oder Gestapo-Methoden bedienen und schließlich mit dem Wegtragen der protestierenden Hundebesitzerin durch Ordnungsamt und Polizei aus ihrer eigenen Wohnung enden - in Handschellen. Der Grund: Die Besitzerin des Dackels hatte die 63-jährige als Halterin eines angeblich gefährlichen Hundes angezeigt - und die >Ordnungsmacht< griff zu.
 
Alexandra Oetker (48), namhafte Bielefelderin, sind inzwischen bundesweit Vorfälle dieser Art bekannt. Für die Mitbegründerin des FDP-nahen Liberalen Netzwerks und >Interessengemeinschaft Mensch und Hund< Beleg dafür, dass die nach dem schrecklichen Tod des kleinen Jungen Volkan im vergangenen Sommer in Hamburg mit heißer Nadel gestrickten Hundeverordnungen der Länder und des Bundes vor allem eines bewirken: >Eine Unterwanderung, eine schleichende Aushöhlung unseres Grundgesetzes<.
 
Denn: Während das Bundesverfassungsgericht ganz frisch am 20. Februar 2001 an einem konkreten Fall klarstellte, dass die grundgesetzliche verbriefte Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13) ein so hohes Gut ist, dass bei Ermittlungen in einer Strafsache der Begriff >Gefahr im Verzug< eng auszulegen und vor einer polizeilichen / staatsanwaltlichen Wohnungsdurchsuchung die >richterliche Anordnung einer Durchsuchung die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme< sein muss, gilt für Hundebesitzer grundsätzlich offenbar ein anderes Maß.
 
Das jüngst verabschiedete Bundesgesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde nämlich sieht vor: Hat die zuständige Behörde, in der Regel das örtliche Ordnungsamt, einen Tipp bekommen, dass auf einem Grundstück oder in einer Wohnung ein möglicherweise unangemeldeter >Gefahrhund< laut Rasseliste - und das sind in Nordrhein-Westfalen 42 Rassen plus aller Kreuzungen daraus und damit - lebt, so müssen dem Ordnungsamt-Mitarbeiter Türen und Tore geöffnet werden. Anders als vor der Durchsuchung der Räume eine potenziellen Straftäters muss er dem Hundebesitzer dazu keinerlei richterliche Anordnung vorlegen. Der Verdacht reicht aus.
 
Der Essener Journalist Harald Wiegand, Oetker-Mitstreiter in der >InteressengemeinschaftMensch und Hund: >Jeder sollte sich an dieser Stelle vergegenwärtigen, dass es nicht einmal eines Hundes bedarf, um ein Opfer dieses Gesetzes zu werden. Der Willkür der Ordnungsbehörden werden doch Tor und Tür geöffnet, ebenso der Denunziation<. Einem Polizisten etwa, der ohne richterlichen Beschluss Zutritt zur Wohnung eines Bürgers haben will, reiche ja der >anonyme Hinweis<, dort werde illegal ein Hund versteckt. Wiegand: >Das alles wird mit dem Gesetz möglich, ohne dass etwa Gefahr im Verzuge wäre<.
 
Natürlich findet Alexandra Oetker - wie jeder andere normal empfindende Menschen- und Tierfreund- einfach grauenhaft, wie der kleine Volkan damals von zwei völlig ausgerasteten Tieren getötet wurde. >Volkan könnte noch leben, wenn die Behörden nur die Auflagen kontrolliert hätten, die es bezüglich dieser Hunde schon gegen die Besitzer gab<, ist sie sicher. Die Einführung der >Rasselisten< in beinahe allen Landeshundeverordnungen sieht sie jedoch als >Freiheitsthema< und Umkehr rechtsstaatlicher Prinzipien. Die Bielefelder Unternehmerfrau: >Für jeden Schwerstverbrecher gilt die Unschuldsvermutung bis zum Beweis seiner Schuld - nicht aber für die Besitzer von Hunden bestimmter Rassen<. Und auch die laut NRW-Hundeverordnung vorgeschriebene Vorlage des >großen< polizeilichen Führungszeugnisses für die Halter der 42 Rassen plus Mischungen beklagt sie: >Das widerspricht dem Datenschutz<.
 
Dass mit SPD-Innenminister Otto Schily >ausgerechnet ein 68-er< die Hauptverantwortlichkeit dafür trage, dass in Sachen Unverletzlichkeit der Wohnung >klammheimlich< das Grundgesetz ausgehöhlt werde, finde sie >unglaublich<. Alexandra Oetker: >Solch gravierende Schritte sollten jeden mündigen Bürger in höchste Alarmbereitschaft versetzen!<

 

Bleibt nachzutragen, dass der eingangs erwähnte >gefährliche< Hund >Paul< aus dem Taunus während des Riesenspektakels um ihn und sein Frauchen in der eigenen Wohnung keinen Pieps sagte. Er wurde, obwohl friedlich, spektakulär mit Schlinge >abgeführt< und ins Tierheim verfrachtet, befindet sich inzwischen aber wieder zu Hause. Er war nämlich bereits vor dem Vorfall amtlich getestet und als unbedenklich eingestuft worden.

 

Artikel aus "Westfalen-Blatt", Nr. 79 v. 3. April 2001

 



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