Hamburg, den 18.10.00

Offener Brief zur Hundeverordnung

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Sehr geehrte Frau Senatorin Roth,

die Tieraerztekammer Hamburg wurde zwar in die Vorgespraeche zur Hundeverordnung involviert, nach dem tragischen Todesfall in Wilhelmsburg sind wir jedoch zu unserem Bedauern nicht weiter eingebunden worden.

Sachliche Argumente haetten waehrend der emotionalen oeffentlichen Diskussion kaum Gehoer gefunden. Daher hat sich die Tieraerztekammer Hamburg mit entsprechenden Aeusserungen zurueckgehalten. Da die Hundeverordnung seit drei Monaten durch Ihre Behoerden angewendet und umgesetzt wird, moechten wir jetzt dazu wie folgt Stellung nehmen.

Die Mitglieder der Tieraerztekammer sind kompetente Sachverstaendige in allen Fragen, die Hunde und deren Haltung betreffen, daher muss auf der Basis dieses Fachwissens die momentane Verordnung und ihre Durchfuehrung von uns kommentiert werden:

1. eine Gefahrenabwehr ist im Interesse aller Tieraerzte, denn von Hunden kann Gefahr ausgehen, Rassekataloge sind aus wissenschaftlichen Gruenden jedoch abzulehnen

2. Aggressionsverhalten gehoert zum normalen Verhalten jedes Hundes, eine Beisshemmung muss von jedem Hund erlernt werden

3. Sachkundenachweis ("Hundefuehrerschein") fuer alle Hundehalter gefordert

4. es gibt keine wissenschaftlich anerkannte Moeglichkeit, die Zugehoerigkeit eines Hundes zu einer Rasse zu bestimmen

5. das Tierschutzgesetz untersagt die Euthanasie eines Hundes aufgrund seiner Rassezugehoerigkeit

6. der Maulkorb behindert die artgemaesse Kommunikation von  Hunden

7. Beurteilung des berechtigten Interesses der Hundehalter durch die Behoerden

8. es fehlen Uebergangs- bzw. Bestandsschutzregelungen fuer Hundehalter

 

Ad 1. Gefahrenabwehr, Rassekataloge

Eine Gefahrenabwehr fuer die Bevoelkerung ist in unser aller Interesse. Das Hamburgische Tieraerztegesetz sieht hier ein Aufgabengebiet fuer Tieraerzte vor. Es trifft zu, dass von der Hundehaltung generell ein Gefahrenportential ausgehen kann.

Rassekataloge (und die daraus abgeleiteten Konsequenzen) als primaere Basis der Gefahrenabwehr aber muessen wir unter sachlich-fachlichen und wissenschaftlichen Aspekten ablehnen.

Rassekataloge entbehren sowohl biologisch als auch statistisch jeder wissenschaftlichen Grundlage. Es gibt keine Untersuchungen, die hier auch nur im Ansatz rechtfertigen, einige Hunderassen als "gefaehrlich" und andere als "ungefaehrlich" einzuordnen.

In der Anlage befinden sich

1.. eine aktuelle wissenschaftliche Veroeffentlichung aus den USA im Original und in deutscher Uebersetzung, in der zusammengefasst wird, dass Rassekataloge keinen Nutzen hinsichtlich der Gefahrenabwehr bringen und die sinnvolle Alternativen aufweist.

2.. die deutsche Uebersetzung eines Positionspapiers der Vereinigung der Tieraerzte Europas zur Hundeproblematik, mit Loesungsvorschlaegen zur Gefahrenabwehr.

Ad 2. Aggressionsverhalten, Beisshemmung Aggressionsverhalten gehoert zum normalen Verhaltensrepertoire eines jeden Hundes, unabhaengig von Gewicht oder Groesse.

Ein Hund beginnt im Alter von 4 Wochen Elemente von aggressivem Verhalten zu zeigen. Hunde, bei denen keinerlei Elemente des Aggressionsverhaltens vorkommen, gibt es nicht.

Wenn man Rassekataloge damit rechtfertigen wollte, dass Groesse, Gewicht oder Beisskraft entscheidend fuer die "Gefaehrlichkeit" einer Rasse sind, dann fehlen im Rassekatalog der Hamburger Hundeverordnung viele Rassen, unter anderem Rottweiler und der Deutsche Schaeferhund.

Die vielzitierten "zwei Tonnen" Beisskraft, die "Kampfhunde" angeblich auszeichnen, stellen eine Anekdote dar. Es ist moeglich, fuer verschiedene Tierarten theoretisch zu berechnen, welchen Druck die Muskelmasse des Kiefers ausueben kann. In diese Berechnung muessten jedoch weitaus mehr physikalische und physiologische Parameter einfliessen, so dass eine einzige Zahl (in Tonnen) nicht glaubhaft ist.

Hinsichtlich der Gefaehrlichkeit ist auf die Beisshemmung (die von jedem Hund erlernt werden muss und nicht angeboren ist!), die Stress- und Frustrationstoleranz sowie des antrainierten Verhalten von Hunden hinzuweisen. Immer ist es der Mensch, der massgeblich das Verhalten seines Hundes formt. Diesem Einfluss des Halters/Besitzers/Trainers wird in der neuen Hundeverordnung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Ad 3. Sachkundenachweis

Die Tieraerztekammer haette es begruesst, wenn ein genereller Sachkundenachweis ("Hundefuehrerschein") fuer alle Hundehalter festgelegt worden waere.

Halter, die Hunden kein artgerechtes und tierschutzgerechtes Leben ermoeglichen und Hunde so halten, dass daraus eine Gefaehrdung der Oeffentlichkeit entstehen kann, sollten unabhaengig von der Hunderasse mit einem Haltungsverbot belegt werden. 

 

Ad 3. Rassebestimmung

Es gibt keine Gentests zur Rassebestimmung. Die verschiedenen Hunderassen sind Sammlungen von phaenotypisch (aeusserlich) sehr aehnlichen Hunden. Auf die sogenannten "Rassestandards" haben sich Menschen geeinigt, indem sie sich in Vereinen zusammengeschlossen haben, aeusserliche Merkmale fuer bestimmte Rassen festlegten und bestimmte Linien miteinander kreuzten.

Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Methoden, durch die ein Rassehundverein einem individuellen Hundehalter nachweisen koennte, dass dessen individueller Hund ein Exemplar einer bestimmten Rasse ist.

Der Rassehundverband kann sich weigern, ein individuelles Tier aufgrund phaenotypischer Merkmale anzuerkennen. Dies ist aber keine wissenschaftlich abgesicherte Rassebestimmung und der entsprechende Hundehalter koennte seinen individuellen Hund nach wie vor als Hund dieser bestimmten Rasse ausgeben.

 

Ad 4. Tierschutz

Die Tieraerztekammer ist aeusserst besorgt in der Durchfuehrung der Hundeverordnung im Benehmen mit dem Tierschutzgesetz (TschG).

Tieraerzte haben schon immer Hunde bei tatsaechlicher Gefahr im Verzuge euthanasiert. Denn Menschenschutz hat Vorrang vor Tierschutz - aber in den Grenzen, die das Tierschutzgesetz vorgibt, denn nach §17 (1) TschG macht sich strafbar, wer ein Wirbeltier ohne vernuenftigen Grund toetet. Die momentane Hundeverordnung schafft aufgrund der Rassekataloge Fakten fuer die Euthanasie, die unserer Ansicht nach nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sind.

Die Gefahrenabwehr ist durchaus ein vernuenftiger Grund, wenn dies fuer jedes Tier individuell durch Diagnosestellung bewiesen ist. Es kann nicht sein, dass ein Hund euthanasiert wird, nur weil er einer bestimmten Rasse angehoert. Hierin sehen wir tatsaechlich einen Verstoss gegen das TschG.

Nach § 16a (2) TschG muss bei der Entscheidung zur Euthanasie auch bewertet werden, ob und wie weit eine sichere Haltung moeglich waere, ohne die Bevoelkerung zu gefaehrden.

Die Unterbringung von Tieren durch die oeffentliche Hand setzt das TschG nicht ausser Kraft, insbesondere gilt § 2 TschG: wer ein Tier haelt, betreut oder zu betreuen hat, muss

1.. das Tier seiner Art und seinen Beduerfnissen entsprechend angemessen ernaehren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,

2.. darf die Moeglichkeiten des Tieres zur artgemaessen Bewegung nicht so einschraenken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schaeden zugefuegt werden,

3.. muss ueber die fuer eine angemessenen Ernaehrung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Faehigkeiten verfuegen.

Unterbringen bedeutet daher nicht einfach wegschliessen!

Verhaltensauffaelligkeiten von zwangsuntergebrachten Tieren koennen auf den Verdacht eines Verstosses gegen § 2 TschG hinweisen.

 

Ad 5. Maulkorbbefreiung

Das permanente Tragen des Maulkorbes behindert die artgemaesse Kommunikation und das Explorationsverhalten von Hunden erheblich und kann in seiner Prolongation zu Verhaltensstoerungen fuehren, die sich in gesteigertem Aggressionsverhalten aeussern kann. Urspruenglich sozial und kommunikativ kompetente Hunde koennen so zu einer realen Gefahr werden. Daher wuerden wir es begruessen, wenn auch die Hunde der ersten Kategorie von dem Zwang zum Maulkorb befreit werden, sobald ein entsprechendes Gutachten vorliegt.

Auch abgegebene und/oder aufgegriffene Hunde aus den Tierschutzvereinen der Stadt sollten mit bestandenem Wesenstest an neue Halter vermittelt werden koennen.

Ad 6. Beurteilung des berechtigten Interesses Hundehalter, die einen Hund der ersten Kategorie weiter halten moechten, muessen ihr "berechtigtes Interesse" zur Haltung nachweisen. Ein Hamburger Wirtschafts- und Ordnungsamt hat einer Besitzerin ihr berechtigtes Interesse abgelehnt, mit der Begruendung, dass der Hund erst seit 3 Jahren bei der Besitzerin lebt und in diesem Zeitraum noch nicht von einer starken Bindung zwischen Hund und Halterin auszugehen ist.

Bereits innerhalb von wenigen Wochen koennen Hunde eine starke Bindung zum Menschen herausgebildet haben und diesen Menschen als wichtigen (unter Umstaenden den wichtigsten) Sozialpartner ansehen. Umgekehrt wird von Wissenschaftlern die Bindung zwischen Hund und Mensch durchaus auf der gleichen Ebene gesehen wie die zwischen Menschen.

Relevante Literatur benennen wir Ihnen zu diesem Thema gern.

Ad 7. Uebergangs- bzw. Bestandsschutzregelungen fuer Hundehalter

Bei Einfuehrung der Bayrischen Hundeverordnung gab es eine Uebergangs- bzw. Bestandsschutzregelung fuer Hundehalter. Nach erbrachter Negativbescheinigung musste so kein Hund euthanasiert oder enteignet werden.

Sehr geehrte Frau Senatorin Roth, dies ist unser Beitrag zur oeffentlichen Diskussion vor dem Hintergrund unserer Fachkenntnisse und als Tierschuetzer von Berufs wegen.

Mit freundlichen Gruessen

Dr.med.vet. Barbara Schoening

Dr.med.vet. Dagmar Vogel

Praesidentin

Ausschuss fuer Oeffentlichkeitsarbeit

 



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