- Guten Tag.. |
20. 12. 00
Guten Tag, Frau Höffgen,
Ihr Schreiben bestätigt nur, was ich
seit Beginn der Kampfhunddebatte im Sommer über Politiker generell
denke: Die Augen fest auf die Schlagzeilen der Tagespresse
gerichtet, ist unsere politische Klasse keinem
wissenschaftlichen Argument mehr zugänglich. Oder können Sie eine
seriöse Quelle für jene sagenhaft erhöhte Beißkraft der
inkriminierten Rassen nennen, die nicht ein ebenso großer und
ebenso muskulöser Hund anderer Rassen ebenso besäße? Sagenhafte
zwei Tonnen Beißkraft aus der BLÖD-Zeitung spuken zwar jetzt in
den Hirnen aller Hundehasser herum, diese Malmkraft aber wird noch
nicht einmal von einem neun Meter langen australischen
Leistenkrokodil erreicht!
Weiter: Können Sie eine einzige
ernstzunehmende wissenschaftliche Quelle nennen für eine genetisch
angelegte erhöhte Aggressivität der jetzt bedrohten Rassen, die über
das allgemeine Wolfserbe aller Hunde hinausreicht? Das können
Sie schon deshalb nicht, weil Wesensmerkmale zur
Verzweiflung aller kriminellen Züchter, die Aggressivität vererben
möchten, nur eine äußerst geringe Heretabilität von maximal 10 %
besitzen. Das bestätigt Ihnen jede Studie (eine der besten, das
sog. Stur-Gutachten unter www.tierheim-olpe.de:
Aktuelles/Experten zur gefälligen Lektüre). Immer ist Zucht - also
das Aufwachsen und die Erziehung - das Problem. Dementsprechend müsste
man politisch dort eingreifen, anweisen und verbieten.
Ferner: Wenn, basierend auf
Statistik, erhöhte Gefahren für die Bevölkerung ausgeschlossen
werden sollen, warum stehen die größten Beißer und Kindstöter -
Schäferhund (mindestens 10 Kindstötungen seit 1975) oder
Rottweiler - nicht auf den Listen der Politiker? Weshalb
dagegen der American Staffordshire mit dem sattsam bekannten
einzigen Fall seit Menschengedenken? Aus Angst vor den "Schutzhündlern"
im wählerstarken VDH? Müssen Sie nicht haben, diese lodenduftenden
schwarzweißroten Vereinshanseln wählen sowieso nicht grün! Oder
ist es stellvertretendes Ausrotten, weil Neonazis, Milieutäter und
tätowierte Vorstadtjugendliche so oft mit "solchen"
Hunden zu sehen sind? Umstandslos - mitgefangen, mitgehangen! -
stecken Sie dabei alle unauffälligen Halter und Hunde gleich mit
ins Mus. Ist Ihnen das klar?
Ich denke, Sie stehen in dem Dilemma, einer
populistisch aufgehetzten Meute, bestehend auch aus den
Lehrerinnen-Muttis der eigenen Wählerschaft, direkt ins hormongesättigte
Stammhirn schleimen zu müssen. Daran geht dann eben die Wahrheit zu
Grunde. Und die bedrohten Hunderassen gleich mit. Nehmen Sie aber
nach Ihrem Sündenfall bitte das Wort Tierschutz nie wieder in
den Mund! Oder nennen Sie bundesweit einen einzigen ernsthaften
Beißvorfall mit einem Mastin Espagnol, einem Staffordshire
Bullterrier oder gar mit Bärbel Höhns längst ausgestorbenem
Goralenhund? Sehen Sie, die gibt es nicht! Trotzdem stehen diese
Tiere auf den Listen an erster Stelle, weil ein wildgewordener
bayrischer VDH-Doggenzüchter namens Franz Breitsamer im Jahr 1991
die Blaupause lieferte, von der seither alle Ordnungsämter in
stumpfem Behördentrott abpinnen. Vielleicht denken Sie ja einmal
daran, dass Rasselisten und Rassisten nur zwei Buchstaben
weit auseinander stehen! Und dass ein Hunde-Stammheim, wie in
Hamburg, um bestimmte Hunde durch Haltung solange
verhaltensauffällig zu machen, bis sie endlich durch den Wesenstest
fallen und eingeschläfert werden dürfen, mit ursprünglich grünen
Politikansätzen nichts - aber auch gar nichts! - zu tun hat.
Ich jedenfalls, einst
Pressesprecher für Fraktion und LaVo der Grünen in Bremen, habe
seit den Vorfällen in diesem Jahr bestimmt zum letzten Mal grün
gewählt. Übrigens hat mein Mischlingsrüde Emil, ein
Bullterrierabkömmling, den überaus deftigen Wesenstest in
Niedersachsen mit Auszeichnung und Höchstnote bestanden. Seither
gilt er in Bremen weiterhin als Kampfhund und in Niedersachsen hat
er einen Persilschein. Aber nicht, weil er den Test dort bestanden
hat, sondern weil beide Elternteile nicht reinrassig waren, was sich
erst nachträglich als relevant herausstellte. Verstehen Sie diese
neudeutsche Reinrassegläubigkeit? Ich nicht! Täglich fahre ich 30
bis 40 km Kilometer, damit sich Emil ein wenig Auslauf ohne Maulkorb
und ein Leben in Würde bewahrt. Finden Sie das ökologisch?
Keinesfalls hochachtungsvoll,
Dr. Klaus Jarchow
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