Offener Brief

 

Offener Brief
an die Göttinger Abgeordneten des Deutschen Bundestages


Sehr geehrte Frau Wettig-Danielmeier!
Sehr geehrte Frau Professor Süssmuth!
Sehr geehrter Herr Trittin!

Mit zunehmender Sorge verfolgen wir die Beratungen zu den Gesetzentwürfen, die den Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankern wollen. Wir befürchten, daß bei einer Verabschiedung dieses Gesetzes der deutschen Forschung schwerer und irreparabler Schaden zugefügt werden wird, der auch den Forschungsstandort Göttingen mit seinen Instituten und den mit ihnen zusammenarbeitenden Firmen in Mitleidenschaft ziehen wird.

Deutschland hat gegenwärtig ein umfassendes Tierschutzgesetz, das von uns allen trotz vieler damit verbundener Erschwerungen der Arbeit akzeptiert und unterstützt wird. Wir befürchten aber, daß die geplante Grundgesetzänderung, und insbesondere das dann zu erwartende Verbandsklagerecht der Tierschutzverbände, die biomedizinische Grundlagenforschung massiv behindern wird. Welcher Forscher möchte sich schon einem jahrelangen Rechtsstreit aussetzen, um wissenschaftliche Experimente durchführen zu können, die in jedem anderen Land selbstverständlich sind?

Die gegenwärtige Diskussion ist leider oft von verzerrter und unrichtiger Information geprägt. Bereits jetzt wird einem Wissenschaftler kaum genehmigt, was ein Privatmann ohne weiteres tun kann. Das, was eine Mausefalle anrichtet (besonders wenn sie die Maus nicht sofort tötet, wie es häufig der Fall ist), wäre, wenn es denn wissenschaftlich begründbar wäre, bereits heute nicht genehmigungsfähig. Wenn Ratten als Schädlinge auftreten, z. B. in städtischen Anlagen, werden sie mit Gift beseitigt, doch im Forschungslabor genießen sie gegenwärtig einen Schutz, der höher ist als in jedem anderen Land der Welt. Kaum ein einziges Medikament wäre ohne tierexperimentelle Forschung möglich gewesen. Die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel würde bewirken, daß in Deutschland die in anderen Ländern entwickelten Medikamente zwar dankbar akzeptiert und angewendet werden, die zu ihrer Entwicklung erforderliche Forschung jedoch verboten sein wird. Auch die Ausbildung von Fachärzten dürfte behindert werden. Kein Chirurg, der Bypass-Operationen durchführt, kann dies erfolgreich tun, ohne zuvor an Hunden trainiert zu haben. Außerdem wäre es unverantwortlich, eine neue Behandlungsmethode, ob invasiv oder nicht, ohne umfassende tierexperimentelle Forschung einzuf¨hren. In allen entwickelten Ländern werden diese Notwendigkeiten von der Öffentlichkeit akzeptiert und unterstützt. Auch bei uns zeigen Umfrageergebnisse, daß eine breite Mehrheit tierexperimentelle Forschung im medizinischen Bereich befürwortet.

Die jetzt geplante Grundgesetzänderung wird im günstigen Fall zu einer jahrelangen Rechtsunsicherheit führen, im wahrscheinlicheren ungünstigen Fall tierexperimentelle Forschung so weit erschweren, daß der Forschungsstandort Deutschland gravierend benachteiligt wird. Auch die Arbeit an unserem Institut wird davon betroffen werden. Unser Institut zählt zu den weltweit führenden Forschungseinrichtungen, z.B. in der Neurobiologie, eine Forschungsrichtung, die ohne Tierexperimente nicht durchführbar wäre. Die von uns erarbeitete internationale Führungsposition wird nachhaltig geschwächt werden, wenn die Grundgesetzänderung eine Mehrheit findet, und wir befürchten eine Abwanderung der besten Wissenschaftler ins Ausland.

Aus allen diesen Gründen bitten wir Sie dringend, der geplanten Grundgesetzänderung Ihre Zustimmung zu verweigern.

 

unterzeichnet von:

Prof. Dr. Manfred Eigen
Prof. Dr. Dieter Gallwitz
Prof. Dr. Peter Gruss
Prof. Dr. Herbert Jäckle, Geschäftsführender Direktor
Prof. Dr. Reinhard Jahn
Dr. Tom Jovin
Prof. Dr. Reinhard Lührmann
Prof. Dr. Erwin Neher
Prof. Dr. Hans-Jürgen Troe
Prof. Dr. Klaus Weber



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