Offener Brief Fraktionen im Hessischen Landtag
 - Aktuelles

Rechtsanwalt

Volker Stück

Liebigstr. 6

34125 Kassel

Volker Stück, Liebigstr. 6, 34125 Kassel 


Offener Brief

Fraktionen im Hessischen Landtag

Mitglieder des Innen-/Rechtsausschusses

Schlossplatz

65183 WIESBADEN

21. Oktober 2000

volker/politik/mdlhess-doc

 


[Ihre Zeichen/Ihre Nachricht vom] [Mein Zeichen/Meine Nachricht vom] Telefon (08.00 - 17.00 Mo.- Fr.)

28.09.00 24.09.00/21.10.00 05631 - 58 14 32

Entwurf eines HundeG & Gesetzes zur Änderung des BundezentralregisterG

Sehr geehrte Damen und Herrn,

der hessische Innenminister hat den tragischen Fall in Hamburg-Wilhelmsburg vom 26.05.2000, bei dem zwei Hunde eines mehrfach vorbestraften (u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung (3 x), Raub (2 x), schwerem Diebstahl (2 x), Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beleidigung (2 x) Drogenhandel) und den Behörden seit langem einschlägig bekannten Bürgers namens Ibrahim K. einen sechsjährigen türkischen Jungen namens Volkan K. zu Tode bissen, zum Anlaß genommen, zunächst die Gefahrenabwehrverordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit (Kampfhunde-VO) vom 05.07.00 aufgrund § 72 Abs. 1 HSOG zu erlassen, die er später, in Anbetracht ihrer evidenten Rechtswidrigkeit, zur Vermeidung einer juristischen Niederlage durch die Gefahrenabwehrverordnung gefährliche Hunde vom 15.08.00 ersetzen ließ.

 

Im Hamburger Fall war der Hund als aggressiv behördenbekannt und es war Leinen- und Maulkorbzwang angeordnet worden, der Vollzug aber zu keiner Zeit kontrolliert worden. Mit anderen Worten: Nicht fehlende rechtliche Instrumente waren ursächlich, sondern das völlige Versagen der Exekutive beim Vollzug und zwar sowohl in Beziehung gegenüber Halter Ibrahim K. als auch dessen Hunden. Ich habe mir deshalb erlaubt, die in Hamburg Verantwortlichen wegen des Verdachts fahrlässiger Tötung durch Unterlassen (§§ 222, 13 StGB) anzuzeigen. Die Übernahme des bloßen Lippenbekenntnisses der "politischen Verantwortlichkeit" genügt mir nicht. Gefordert ist hier die Übernahme der persönlichen Verantwortung und zwar in strafrechtlicher, haftungsrechtlicher, disziplinarrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Hinsicht.

 

Im Auftrag von 21 nordhessischen Hundehaltern habe ich gegen die o.g. VO ein Normenkontrollverfahren vor dem HessVGH in Kassel angestrengt. Mit Entscheidung des HessVGH vom 08.09.00 - 11 NG 2500/00 - wurden wesentliche Teile der Gefahrenabwehrverordnung gefährliche Hunde vom 15.08.00 vorläufig außer Vollzug gesetzt. Gegen die zurückgenommene KampfhundeVO vom 05.07.00 gehen wir im Wege einer Fortsetzungsfeststellungklage vor, da wir den Innenminister nicht so einfach aus seiner Verantwortung entlassen möchten. Selbiges wird gelten, wenn die VO vom 15.08.00 zurücknimmt. Die Gerichte werden über die Rechtmäßigkeit der VO in jedem Falle zu befinden haben.

 

Sämtliche 21 Antragsteller verfügen über einen tadellosen Leumund, haben feste Wohnsitze und üben ehrbare Berufe aus. Sie können ohne jeden Zweifel davon ausgehen, daß keiner von Ihnen seinen Hund aus "Imponiergehabe, Aggressionslust, Kompensationsbedarf bei Ich-Schäche und Verantwortungslosigkeit" oder aus "Persönlichkeitsproblemen" (so einige Vorwürfe im Rahmen des Bundestagsdebatte zum Thema) erworben hat, ihn aus diesen Gründen hält oder Züchtung und Handel betreibt. Vielmehr handelt es sich bei sämtlichen Antragstellern um verantwortungsbewußte Hundehalter.

 

Mit diesen Verbalentgleisungen und -Injurien aber nicht genug. Jetzt sind meine Mandanten gehalten, im Rahmen der Halteerlaubnis zu versichern, ob sie alkoholkrank, geisteskrank oder geistesschwach sind und daß sie nicht wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden. Die Beantwortung dieser Fragen ist zum Teil einem medizinischen Laien faktisch unmöglich, zum anderen erscheint es höchst bedenklich, derartig weitgehende Auskünfte nur von einer bestimmten Gruppe von Hundehaltern zu verlangen. Ob sich derartige Angaben mit dem Recht auf Menschenwürde (Art. 1 GG), dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG), dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 6 Abs. 2 MRK sowie der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung und dem allgemeinen Grundsatz, daß niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten, vereinbar ist, wird ggf. gerichtlich zu prüfen sein. Derart unverschämte Angaben wurden vom Unterzeichner nicht einmal vor seiner Einstellung in den Referendardienst im Lande Hessen oder seiner Zulassung zur Anwaltschaft abverlangt. Fast ist man - getreu dem Motto "Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen" - versucht, diese Fragen, insbesondere die nach der strafrechtlichen Unbescholtenheit, demjenigen zu stellen, der sie sich ausgedacht hat.

 

Betrachtet man die aktuelle Entwicklung und verfügt man über die Fähigkeit, abstrakt und analytisch zu denken, sowie ein Mindestmaß an Geschichtsbewußtsein oder ein gewisses Alter, um bestimmte Vorgänge selbst miterlebt zu haben, so spielt sich vorliegend ein verallgemeinerungsfähiges Muster ab, welches jeden Demokraten sehr nachdenklich stimmen muß:

     

  • Man finde oder suche einen geeigneten Anlaß.

     

  • Man belege die Zielgruppe bewußt pauschal und generell mit den bestimmten negativen Eigenschaften wie den oben genannten ("Die Kampfhundehalter sind ...(siehe Zitate oben)"; "Die Hunde sind Kampfmaschinen auf vier Pfoten" etc.).

     

  • Man transportiere dies in die Öffentlichkeit und entfache den entsprechenden Sturm mit Hilfe der einschlägig bekannten Medien ("Hamburg tötet die ersten Bestien-Wann folgen die anderen?")

     

  • Man stigmatisiere die Betroffenen mit äußerlichen Kennzeichen, wie z.B. Schildern (15x21 cm, leuchtend rot mit Aufschrift "Vorsicht, gefährlicher Hund").

     

  • Man erfinde als Verbalkünstler euphemistische Wörter, die ins Behördendeutsch passen wie z.B. "sozial erwünschte Bestandsminimierung" statt des häßlichen Wortes "Ausrottung". Dieses Wort werde ich übrigens als Unwort des Jahres 2000 vorschlagen.

     

  • Man lasse bei seinen Eingriffen und Maßnahmen Begriffe wie Verhältnismäßigkeit der Mittel außer acht und spreche den Betroffen ihre individuellen Rechte im Hinblick auf überwiegende Gemeinwohlinteressen ab. In keinem Fall bemühe man sich um differenzierte oder sachnahe Betrachtungsweise und Lösungen.

     

  • Nie Frage man die Betroffenen oder beteilige sie an der Entscheidungsfindung. Unabhängige Sachverständige und Wissenschaftler, die "abwegige Meinungen" vertreten, sind möglichst ebenfalls nicht zu beteiligen.

 

  • Man greife sich beim Vorgehen zuerst die sozial Schwachen, d.h. finanziell wenig potenten, rhetorisch ungeschickten und juristisch oder faktisch wehrlosesten aus der Zielgruppe heraus (in Hamburg werden nach verläßlichen Quellen die Hunde alleinstehender sozial schwacher Frauen zuerst sichergestellt).

 

  • Man lasse die Entwicklung ihren eigendynamischen Lauf nehmen, sorge weiter für einseitige propagandistische Meinungsmache und leiste staatliche Hilfe dabei.

 

  • Man ziehe die verbliebenen Zielobjekte ein, kaserniere sie und "euthanasiere" - wieder ein Euphemismus- sie - Ziel erreicht !

 

Unser Familienhund (nach Cocker Spaniel "Tessi"; Schäferhündin "Senta" und Dobermann/frau "Freya") ist jetzt ein 4 ½ jähriger American Staffordshire Terrier, der bisher nur durch Liebebedürftigkeit aufgefallen ist. Mein Vater (63), der Hundehalter, spricht in diesem Lande als Richter seit Jahrzehnten Recht im Namen des Volkes und ich (33) bin als Leiter Personalbetreuung und -entwicklung in einem nordhessischen Betrieb in der Woche für 3.100 Mitarbeiter verantwortlich und außerhalb meiner Arbeitszeit jetzt fast dauernd für das Wohl der Hunde. Ich fordere jeden Politiker der o.g. wörtlichen Zitate auf, sie mir gegenüber persönlich zu wiederholen und Sie mir - so er denn den Mut hat und nicht nur ein Großmaul ist - ins Gesicht zu sagen, damit ich mich zur Wehr setzen kann.

 

Wir - wie die meisten betroffenen Hundehalter - wären wahrscheinlich nie in den "Genuß" gekommen, einer derart diskriminierten und stigmatisierten Minderheit anzugehören. Weil wir diesen Hund besitzen, ihn aber auch seine Rasse schätzen gelernt haben und unter allen Umständen zu ihm stehen werden, haben wir jetzt am eigenen Leib erfahren, was es heißt, einer anderen "sozial unerwünschten" Rasse oder Religion anzugehören, einen anderen Phänotyp zu haben etc.. Mit Erschrecken stellen wir zudem fest, daß auch längst überwunden geglaubte Rassenlehren wieder - allen Erkenntnissen moderner Human- und Tiergenetik (Prof. Dr. Irene Stur/Uni Wien und der Tierärztichen Hochschule Hannover sei hier für Ihre eindeutigen Stellungnahmen gedankt) zum Trotz - wieder gelten sollen. Rassezugehörigkeit ist deswegen wieder nachzuweisen und Ahnenforschung zu treiben. Wo sind wir nur hingekommen ? Welche geistigen Brandstifter sind da an ihrem schändlichen Werke ? Längst geht es nicht mehr nur um Hunde !!! Das Ausland - in den USA und GB sind z.B. Staffordshire Terrier oder Bullterrier sehr weit als Haus-, Familien- und anerkannte Therapiehunde verbreitet - beobachtet diese Entwicklung mit größter Sorge, wie wir von dortigen Hundeverbänden erfahren.

 

Wäre der Anlaß nicht so traurig, man könnte für diese unfreiwillige Erfahrung dankbar sein und sie sollte jedem persönlich gegönnt sein. In einigen Schulen macht man jetzt - wie früher schon mit der "Welle" - Experimente, um Vorurteile und diskriminierendes Verhalten abzubauen, indem man Menschen selbst einer derartigen Situation exponiert und sie diese selbst durchleben oder erleiden läßt.

 

Politiker fordern allen Ortes vollmundig den "Aufstand der Anständigen". Wir sind anständig und wir stehen auf - gegen ungerechtfertigten Rassismus und Diskriminierung bei Mensch und Tier sowie für die Demokratie und rechtsstaatliche Prinzipen. Offensichtlich will man uns aber nicht sehen und hören. Nicht anders können wir es erklären, wenn Hessen jetzt wieder unrühmlich an vorne preschen will und plant:

 

     

  1. Ein HundeG, welches der Gefahrenabwehrverordnung vom 15.08.00 entspricht und deren Rechtswidrigkeit perpetuiert. Warum wird nicht die Entscheidung des HessVGH in der Hauptsache abgewartet, die schon in der ersten Jahreshälfte 2001 ergehen wird, und dann - unter Beachtung der Auffassung des Gerichts - gehandelt ? Der effektiven Gefahrenabwehr ist mit der VO bis dahin allemal Genüge getan

 

  1. Damit nicht genug: Von der (Wahn-)Vorstellung beherrscht, daß die Hundehalter in toto dem Milieu nahestehen, unrühmliche Vergangenheiten haben, verantwortungslose, aggressionslüsterne, kriminelle und von Ich-Schäche sowie Imponiergehabe gekennzeichnete Subjekte sind, wurde eine Initiative im Bundesrat eingebracht. Es soll ein hessischer Antrag - BR Drucksache 417/00 - in der Sitzung des Bundesrats am 29.09.00 - Tagesordnungspunkt 26 a/b eingebracht worden sein, der zum Ziel hat, das BundeszentralregisterG zu ändern - BR-Drucksache 460/00. Beabsichtigt ist, unbeschränkte Auskünfte auch gegenüber Behörden zu erteilen, die die Zuverlässigkeit von Hundehaltern prüfen. Die Tilgung einer Strafe im Register soll in diesen Fällen kein Verwertungsverbot nach sich ziehen. Resozialisierung- und Datenschutz der Betroffenen hätten zurückzutreten - George Orwell und Big Brother lassen grüßen ! Was sonst Postulat und Maxime des Handelns ist, soll für bestimmte Hundebesitzer plötzlich nicht mehr gelten ?

 

Dazu können wir nur sagen: Mit uns nicht !!! Wir werden es nicht zulassen, daß rechtsstaatliche Grundsätze so mit Füßen getreten werden. Solange es in diesem Land noch selbstbewußte demokratische Bürger, rechtskundige und überzeugte als auch überzeugende Anwälte sowie wahrhaft unabhängige und kompetente Gerichte gibt, ist nichts verloren. Wenn es sich nicht vermeiden läßt, werden wir jeden mit dem rechtskräftig festgestellten Bannstrahl rechtswidrigen Handelns belegen und werden dafür sorgen, daß er in aller Öffentlichkeit strahlend über seinem Haupt scheine und ihn auf Schritt und Tritt fortan begleiten wird. Wir haben keinen "Kampfhund", aber wir kämpfen für unseren Hund (und stellvertretend für viele Artgenossen) !

 

An Sie als Mitglieder es Hessischen Landtags, gleich welcher Fraktion, ergeht der Aufruf: Machen Sie diesem Treiben, dieser Hexenjagd der Neuzeit ein Ende und stimmen Sie den o.g. Gesetzen nicht zu.

 

Wir werden mit jedem zusammenarbeiten und ihn unterstützen (Vermittlung von Ansprechpartnern, Überlassung von Gutachten, Urteilen, Schriftsätzen etc.), der uns dabei hilft. Ihre Stimme zählt und Sie werden an Ihren Taten gemessen, nicht an Ihren Worten !

 

Wer guten Willens ist und an der Sache Interesse hat, der sei herzlich eingeladen Hundehalter und sog. "Kampfhunde" persönlich kennenzulernen.

 

Schließen möchte ich mit einem Zitat Mahatma Gandhis: "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt."

 

Mit freundlichen Grüßen

Volker Stück

[Rechtsanwalt]

 

 

        Zurück

en

Volker Stück

[Rechtsanwalt]

 

 

        Zurück

body>