- Leserbrief - |
Herrn
Bürgermeister Sehr
geehrter Herr Bürgermeister, bezüglich
der Begründung der Ablehnung des Antrags auf Befreiung der
Maulkorbpflicht des Hundes Toni: Glauben
Sie das wirklich was Sie da schreiben oder haben einfach überhaupt
keine Ahnung von was Sie hier sprechen? Oder geben Sie einfach nur
die (schwachsinnige) Begründung des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts wieder? Auf
Grund der Vergangenheit der Hunde (Pit) können diese Hunde sich
nicht unterordnen und beißen sich fest ? Hierzu möchte ich Ihnen
mal sagen, daß aufgrund der Pit diese Hunde überaus
menschenfreundlich sind. Dies hat auch einen einleuchtenden Grund,
der auch Ihnen begreiflich werden sollte. Diese Hunde wurden vor
ca. 100 Jahren für Hundekämpfe gezüchtet man kann auch
sagen mißbraucht. Aufgrund dessen, daß Sie von Menschen dabei
auch getrennt werden mußten und diese sich nicht selbst gefährden
wollten, wurden Aggressionen gegenüber Menschen abgelehnt und
Tiere, welche sich aggressiv gegenüber Menschen zeigten, nicht
weiter gezüchtet. Dies der Grund für eine der
menschenfreundlichsten Rassen überhaupt. (Es ist in vielen Fachbüchern
nachzulesen, daß dies eine wesentliche Charaktereigenschaft
dieser so verschrienen Hunde ist) Die Verordnung besagt, daß eine
Befreiung von der Maulkorbpflicht ausgesprochen werden kann, wenn
eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit (=Menschen) nicht zu
befürchten ist !!! Nun
zu der von Ihnen gemutmasten fehlenden Fähigkeit sogenannter
Kampfhunde, sich nicht unterordnen zu können: Hunde
sind Rudeltiere gleich welcher Rasse. In einem Rudel ist es überlebensnotwendig,
daß sich schwächere Tiere unterordnen können. Da alle Hunde
letztendlich vom Wolf abstammen, wird auch Ihnen einleuchten, wenn
sie schon auf das alte Testament zurückgreifen, daß dieser
Urinstinkt wohl stärker ausgeprägt sein sollte, als eine vor 100
Jahren anerlernte Eigenschaft, sich aggressiv gegenüber seinen
Artgenossen zu verhalten. Da diese Hunde nunmal sehr kräftig
sind, haben Sie es in der Regel auch nicht nötig, gegenüber
einem schwächeren Hund sich unterzuordnen. Bei
gut sozialisierten Hunden, wird sich der schwächere ergeben und
der stärkere hat seine höhere Rangstellung bestätigt. Ich bin
ebenfalls Halter eines sog. Kampfhundes, mit dem ich wöchentlich
in der Hundeschule bin. Vermutlich können Sie es kaum glauben,
aber es funktioniert bestens. Da laufen 20 Nichtkampfhunde
und ein Kampfhund auf einem Platz. ohne Maulkorb und
Leine!! Wieso gehen
Sie davon aus, das ein Hund, nur weil er einer bestimmten Rasse
angehört, sich nicht verträglich mit Artgenossen verhalten kann
? Nun noch zu der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, daß diesen Hunden eine Maulkorbpflicht schon zugemutet werden könne: Hierzu folgender Kommentar aus der Zeitschrift Tierschutz, Heft Nr. 120, Heft 2+3/2000, Seite 9: Das
Tragen eines Maulkorbes kann zu einer wesentlichen Beeinträchtigung
der Verhaltensweisen und der Lebensqualität von Hunden führen.
Es ist in jedem Einzelfall erforderlich zu prüfen, ob und wie der
Hund einen Maulkorb verträgt. Ein genereller Maulkorbzwang
ohne Prüfung des Einzelfalls ist tierschutzwidrig. Auch
spricht die Erfahrung gegen seine Notwendigkeit. Da
Sie anscheinend schwer zu überzeugen sind noch die Überlegungen
von: A.
Univ. Prof. Dr. Irene Stur Institut
für Tierzucht und Genetik Veterinärmedizinische
Universität
A-1210
Wien, Veterinärplatz 1 e-mail:
Irene.Stur@vu-wien.ac.at Überlegungen
zu den möglichen Auswirkungen von ständigem Leinen- und
Maulkorbzwang Die
Verpflichtung, einen Hund außerhalb des eigenen Wohnbereiches
ausschließlich an der Leine und mit Maulkorb zu führen mag auf
den ersten Blick als sinnvolle Maßnahme im Rahmen der
Gefahrenabwehr erscheinen. Es gibt aber eine Reihe von Argumenten
aus dem Bereich des Tierschutzes aber auch der Gefahrenabwehr, die
gegen eine solche Maßnahme im Rahmen der
allgemeinen Prävention sprechen. Leinenzwang: Ein
ständiger Leinenzwang macht es dem Hund unmöglich, sein art- und
im Einzelfall auch
sein rassetypisches Bewegungsbedürfnis auszuleben.
Eine Bewegung ausschließlich an der Leine
ist somit nicht als artgerechte Haltung anzusehen und
stellt einen
Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar. Durch
die fehlende Befriedigung des Bewegungsbedürfnisses kommt es zu
einem Sinken der Reizschwelle. Hunde, die sich ausschließlich an
der Leine bewegen dürfen, werden somit in jedem Fall gefährlicher
als Hunde, die sich ausreichend bewegen können. Es ist daher
damit zu rechnen, dass der
Anteil von Bissvorfällen mit Hunden durch generellen Leinenzwang eher
steigt als sinkt, wobei
voraussichtlich in erster Linie Bissvorfälle in der eigenen
Familie, die ja auch jetzt schon den größten Anteil an Bissvorfällen
ausmachen, gehäuft
auftreten werden. Die
Aggressionsbereitschaft von Hunden, die an der Leine geführt
werden, ist höher
als bei frei laufenden Hunden. Dafür sind im wesentlichen
zwei Ursachen verantwortlich.
1.)
Hunde, die durch die Leine festgehalten werden, haben
weniger Möglichkeit einer
für den Hund bedrohlich erscheinenden Annäherung
durch Menschen
andere Hunde oder Objekte auszuweichen.
Bei zu starker Annäherung kann es dadurch zu ansonsten
vermeidbarer Verteidigungsaggression
kommen. 2.)
Hunde, die an der Leine geführt werden, fühlen sich durch
den Besitzer am anderen Ende der Leine gestärkt.
Das kann im Einzelfall dazu führen, dass sie eine
Auseinandersetzung mit einem anderen Hund, der sie ansonsten aus
Gründen der Selbsterhaltung ausweichen würden, annehmen, was
wiederum eine vermeidbare Gefahrensituation
zur Folge hat. Maulkorbzwang Ein
ständig getragener Maulkorb schränkt wesentliche physische und psychische Funktionskreise ein: Thermoregulation:
ein Großteil der Thermoregulation
des Hundes findet über
das Hecheln statt, durch das eine Luftbewegung
im Bereich der vorderen Atemwege erzeugt wird, die zu einer
Kühlung des Blutes
in den stark durchbluteten Nasenhöhlen
führt. Fehlende
Möglichkeit zum Hecheln führt insbesondere in der warmen
Jahreszeit zu einem Wärmestau,
der insbesondere bei
älteren Hunden oder
bei Hunden mit einer bestehenden Erkrankung des Herz-
Kreislaufsystems bis
zum Tod führen kann. Passform:
Bei nicht ideal passendem Beißkorb kommt es zu
Druckstellen bzw. zu Scheuerverletzungen der Haut,
die allenfalls das weitere Tragen eines Beißkorbes unmöglich
machen und damit, bei
strenger Auslegung des Beißkorbzwanges ein Ausführen des Hundes
nicht mehr möglich
erscheinen lassen. Beide
Aspekte sind als Verstöße gegen das Tierschutzgesetz
anzusehen. Verhaltensphysiologische
Aspekte: Ein
wichtiger Bestandteil der innerartlichen Kommunikation zwischen
Hunden stellt die
Mimik dar. Ein
Maulkorb ist in diesem Sinn als eine Art Maske anzusehen,
Hunde können gegenseitig ihre Mimik nicht mehr genau
erkennen und daher auch nicht richtig interpretieren, was
zu Missverständnissen zwischen Hunden
und damit allenfalls wiederum zu vermeidbaren Konflikten führen
kann. Da eine sehr häufige Ursache von Verletzungen von Menschen
durch Hunde das Eingreifen in eine Auseinandersetzung zwischen
zwei Hunden ist, wird somit durch
die Maßnahme eines ständigen Maulkorbzwanges die von
Hunden ausgehende Gefahr in
diesem Bereich erhöht. Zudem
ist damit ebenfalls
ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz gegeben. Hunde
erleben ihre Umwelt in erster Linie über ihren Geruchssinn; ihre
Methode die Gerüche ihrer Umgebung aufzunehmen besteht im Erschnüffeln
dieser Umgebung. Durch einen Maulkorb sind die Hunde massiv im
Schnüffeln beeinträchtigt,
was zu einer Reizverarmung führt und damit eine
wesentliche Beeinträchtigung einer artgemäßen Lebensqualität
darstellt. Auch auf
dieser Basis stellt
somit ein genereller Maulkorbzwang einen Verstoß gegen das
Tierschutzgesetz dar. Leinenzwang
in definierten Bereichen ist
somit nur vertretbar,
wenn genügend Plätze zur Verfügung
stehen, an denen sich Hunde frei bewegen können. Maulkorbzwang
ist nur bei gesunden
Hunden und zeitlich bzw. örtlich
befristet vertretbar, ein genereller Maulkorbzwang im
Einzelfall sollte wenn überhaupt nur als letzte Möglichkeit
der Sicherung von tatsächlich
als gefährlich erkannten Hunden eingesetzt werden und auch
in diesen Fällen nur zeitlich befristet
bis zur Absolvierung einer korrigierenden Ausbildung. Leinenzwang,
eine Fessel für Hunde
Herausgeber:
Interessengemeinschaft Deutscher Hundehalter e.V.
Auguststraße 5, 22085 Hamburg Inhaltsverzeichnis 7
Vorwort
Hunde an die Leine 9
Dipl.-Biologe Frank in der Wieschen,
Ethologe / Tierverhaltenstherapeut, Extertal
Ethologische Grenzen einer generellen Anleinpflicht 19
Dr. Dorit Feddersen-Petersen,
Fachtierärztin für Verhaltenskunde / Ethologin, Kiel
Ein schwerer Verstoß gegen das Tierschutzgesetz 24
Prof. Dr. Sylvia Greiffenhagen,
Sozialforscherin und Fachbuchautorin, Esslingen
Die Kirche im Dorf und die Hunde in der Stadt lassen! 28
Dr. Michael Werner,
Ethologe, München
Der Hund bringt Natur ins Haus 30
Wolfgang Apel,
Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Bonn
Kein genereller Leinenzwang 32
Prof. Dr. Jürgen Unshelm,
Lehrstuhl für Tierhygiene und Verhaltenskunde der
Ludwig-Maximilians-Universität, München
Verhaltensstörungen durch das Anleinen 33
Prof.
Dr. Günter Pschorn,
Präsident der bayerischen Landestierärztekammer
Auch ein Maulkorbzwang ist nicht artgerecht 35
Hans Kolo,
ehemaliger Präsident des Landesverbandes Bayern
des Deutschen Tierschutzbundes
Ein erzogener Hund ist auch ohne Leine angeleint 36
Kölner
Tierschutzverein,
Die beste Leine ist die intakte Beziehung zwischen
Mensch und Tier 42
Urs Ochsenbein,
Hundeexperte und Sachbuchautor, Zürich
Wenn das Wohlbefinden herabgesetzt wird 43
Repräsentative Umfrage
Hundehalter sind vernünftig
Vorwort Hunde
an die Leine ?
Hunde und Menschen sind in der ganzen
Entwicklungsgeschichte in einem System der wechselseitigen Abhängigkeiten
verbunden. Dabei waren Hunde dem Menschen immer selbstverständliche
Begleiter und ein. wesentlicher Bestandteil des Lebens und wohl
auch der Lebensqualität. Es ist aufgrund einer umfangreichen
wissenschaftlichen Literatur heute unumstritten, dass einem Hund
ein prägender Einfluß im Bereich des Sozialverhaltens, der
kommunikativen Kompetenz, der Entwicklung von Verantwortungsgefühl
und der positiven emotionalen Stimulierung bzw. des Ausgleichs von
konfliktären Stimmungslagen zugesprochen wird.
Die Folge ist, daß sich Hundehalter gegenüber
Nicht-Hundehaltern durch ein höheres Ausmaß an
Kontaktfreudigkeit, Fürsorglichkeit, Ausgeglichenheit, Aktivität,
Sensibilität und Emotionalität unterscheiden .
Fernerhin kommt Hunden als sogenannten Co-Therapeuten in
Psychiatrie, Psychotherapie, in der Prophylaxe und Rehabilitation
von Kreislauferkrankungen, in der Kindertherapie, aber auch bei
anderen Risikogruppen der Gesellschaft eine wesentliche Bedeutung
zu
Gerade für Kinder spielt der Hund im Rahmen von sozialen
Erziehungszielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Von
besonderer Bedeutung sind Hunde auch für ältere, insbesondere
alleinstehende Menschen. Wie man weiß, nimmt die Anzahl älterer
Menschen an der Gesamtbevölkerung ständig zu; schon heute sind
47 Prozent der Seniorenhaushalte (ab 60 Jahre)
Ein-Personen-Haushalte.
Die zentralen Risikofaktoren des alten Menschen, die seine
Lebensqualität und seine Lebenserwartungen in erheblichen Umfange
beeinträchtigen und bei deren Prophylaxe bzw. Milderung Hunde
einen erheblichen Beitrag zu leisten vermögen, sind u.a.
Vereinsamung, fehlende soziale Akzeptanz, Gefühlsverarmung,
Unterforderung, Alltagsärgernisse, Angst, Defizit an Körperkontakt.
So ist der Hund zu einem fest integrierten Bestandteil
unserer heutigen Gesellschaft geworden und gehört als einziges
Heimtier zum ständigen öffentlichen Bild. Daher auch steht der
Hund bzw. die Hundehaltung gelegentlich in der Kritik. Innerhalb
dieser Diskussion ist es vor allem die Forderung nach einer
generellen Anleinpflicht für Hunde in der Öffentlichkeit, die
erhoben wird. Doc ein solcher pauschaler Zwang geht von sehr
vordergründigen Vorstellungen aus, ohne dem Hund, seinem Halter
und letztlich auch der Gesellschaft gerecht zu werden.
Wissenschaftler (Ethologen, Kynologen), Tierärzte und
Tierschützer beziehen daher in den folgenden Beiträgen Stellung
und begründen, warum sie einen generellen Leinenzwang ablehnen. Dr.
Dorit Feddersen-Petersen Fachtierärztin
für Verhaltenskunde, Ethologin, Kiel Ein
schwerer Verstoß gegen das Tierschutzgesetz
Der Paragraph des bundesdeutschen Tierschutzgesetzes, der
sich mit der Haltung, Pflege und Unterbringung von Tieren
auseinandersetzt, ist der Paragraph 2, die sogenannte
Tierhalternorm. Er besagt, dass derjenige, der ein Tier hält,
betreut oder zu betreuen hat, dieses seiner Art und seinen Bedürfnissen
entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht
unterbringen muss; er darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer
Bewegung nicht so einschränken, dass diesem Schmerzen oder
vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Mit
dieser Formulierung hat der Gesetzgeber den neueren Erkenntnissen
der Verhaltensforschung Rechnung getragen. Die Begriffe Leiden und
Schäden sind dabei keineswegs allein an körperliche Schäden
gekoppelt auszulegen: Leiden ist auch für Tiere eine vom
Individuum erfahrbare Befindlichkeit (Tschanz, 1981), was
bedeutet, dass Hunde als Lauftiere mit einem (rasseabhängig, aber
auch interindividuell unterschiedlich stark) ausgeprägten
Bewegungsdrang leiden, wenn ihrem angeborenen Bewegungsbedürfnis,
wie im Falle eines Leinenzwangs (Anleinpflicht), so gar nicht
Rechnung getragen wird. Der Begriff artgemäß ist dabei so
zu verstehen, dass auch die rassespezifischen Unterschiede
innerhalb einer Art zu berücksichtigen sind. Diese Unterschiede
sind gerade in bezug auf Haushunde beträchtlich. Für
ausgesprochene Laufhunde, wie etwa die Siberian Huskies, viel
Jagdhunderassen, Terrierrassen und natürlich die Windhunderassen,
zeigt sich diese Eigengesetzlichkeit ihrer angeborenen
Verhaltensweisen sehr früh in der Entwicklung, was eindeutig als
Indiz für ein Bedürfnis, dem in der Haltung und Behandlung
(Laufmöglichkeit) Rechnung zu tragen ist, gewertet werden muss
(siehe: Feddersen-Petersen, Hunde und ihre Menschen,
Frankh-Kosmos). Für
etliche Rassen würden mit einer Ausdehnung des Leinenzwangs im
Stadtbereich die Mindestansprüche bezüglich ihrer rassegerechten
Haltung und Behandlung auf das empfindlichste missachtet werden,
was als schwerer Verstoß gegen den Paragraphen 2 des
Tierschutzgesetzes zu werten ist. Was
geschieht für das Tier?
Wenn
zielorientierte Verhaltensweisen (die angeboren sind) ihre
angestrebten Funktionen nicht erfüllen können Beispiel: der
Hund ist laufmotiviert, wird jedoch an der Leine geführt oder er
befindet sich überwiegend im Zimmer -, sind reaktiv letztendlich
Verhaltensstörungen programmiert: Bei
einer Entkopplung von Zielen und Funktionen müssen die
Verhaltensbedürfnisse unbefriedigt bleiben und die Anpassungsfähigkeit
solcher Tiere, die dann nach anderen Verhaltensstrategien suchen,
die erfolglos bleiben, wird überfordert. Schließlich werden
Verhaltensstörungen manifest, die als missglückte
Anpassungsversuche des Hundes aufzufassen sind, sozusagen als
Ersatzlösung für das verhinderte Erreichen des angestrebten
Zieles (Beispiel: Zerstörung der Wohnungseinrichtung oder
Entwicklung von zwanghaften Verhaltensweisen (Stereotypien), etwa
ständiges Bellen u.v.a). Solche Störungen resultieren immer
dann, wenn Tiere missglückte Anpassungsversuche an völlig
artwidrige Umweltbedingungen unternehmen, quasi versuchen, in eine
neue Reizsituation zu gelangen, somit einen Ausgleich über das
Appetenzverhalten suchen. Stets angeleinte Hunde sind deshalb
insgesamt angespannter und unausgeglichener, sie fordern so auch
weit häufiger Rangauseinandersetzungen heraus als freilaufende
Artgenossen. Einige sind aggressiv, andere extrem unsicher,
wodurch wieder Gefahrenmomente (Angstbeißen) entstehen können.
Hinzu kommt, dass alle Hunde hochsoziale Lebewesen sind,
die durch Leinenzwang daran gehindert werden, sich in artgemäßer
Weise mit anderen Hunden auseinander zu setzen (Imponiergesten,
Umeinanderlaufen, Anal- und Nasalkontrolle, Sozialspiele u.v.a.
werden erschwert oder behindert oder ganz unmöglich gemacht
und immer ist der Mensch dabei und beeinflusst seinen Hund, der
durch diesen verlängerten Arm
zum dominanten Menschen in der Regel angriffsbereiter ist
als unbeeinflusst!).
Hunde müssen lernen, miteinander umzugehen. Wie sollen sie
das, wenn sie stets oder überwiegend angeleint sind? So ist es
nicht erstaunlich, dass unter angeleinten Hunden stets die ausgeprägtesten
Aggressionen zu beobachten sind. Es kommt zu einem sozialen
Erfahrungsentzug, der als Folge dann wirklich bissige Hunde
erzeugen kann (siehe: Feddersen-Petersen, Hunde und ihre
Menschen). Das Gegenteil der Absicht wird also erreicht
Problemhunde werden geschaffen. Eine Beherrschung eines
Hundes allein durch das Anleinen ist abzulehnen: Hundehalter mit
gut sozialisierten und an Artgenossen wie Menschen gebundenen
Tieren brauchen ihre Hunde nicht dauerhaft anzuleinen. Ihre Hunde
reagieren vorhersagbar. Was aber geschieht, wenn sich gestörte,
an der Leine zerrende, unsichere Hunde, die Artgenossen nie
richtig kennengelernt haben, losreißen? Dann sind Beißereien
vorprogrammiert.
Ein gut sozialisierter und gut dominierter (erzogener) Hund
macht, auch wenn er groß ist, keine Probleme beim Führen im Großstadtbereich,
wo man ihn vernünftigerweise in der Innenstadt etwa an die Leine
legen sollte (das ist ja auch kein Leinenzwang!) Er sollte jedoch
stets gut ausgelastet sein (sich austoben, laufen) und nur danach
in die Stadt geführt werden, wenn es denn nötig ist. Kleine
unerzogene Hunde an der Leine oder auf dem Arm fordern große oft
zum Angriff heraus. Auch auf Besitzer von Zwergrassen sollte
dahingehend eingewirkt werden, dass sie ihre Hunde erziehen. Prof.
Dr. Sylvia Greiffenhagen Sozialforscherin
und Fachbuchautorin, Esslingen Die
Kirche im Dorf und die Hunde in der Stadt lassen!
Der amerikanische Verhaltensforscher Allan Beck erkannte
schon vor Jahren: Es gibt Menschen, die Hunde lieben, und es
gibt Menschen, die Menschen hassen, weil sie Hunde lieben.
Zu den Menschen, die Hunde lieben, gehören fast alle
Kinder. Bei den Hassern gibt es zwei Gruppen: Diejenigen, die sich
durch Hunde belästigt oder bedroht fühlen, und diejenigen, die
an sich nichts gegen Tiere haben. Im Gegenteil, sie lieben die
Vierbeiner. Aber sie meinen, in der Stadt Hunde zu halten, sei
Tierquälerei, und deshalb hassen sie die Tierhalter.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ein strenges
Hundeverbot auf Spielplätzen versteht sich von selbst. Aber fragt
man die Stadtreinigungs- und Gartenbauämter deutscher Städte,
dann zeigt sich, dass die Sauberkeitsfachleute Hundedreck als ein
absolut zweitrangiges Thema klassifizieren. Ärger und immer mehr
Kosten verursachen nicht die Hinterlassenschaften der Vierbeiner,
sondern der Zweibeiner: Plastik, Papier, Kaugummireste,
Glasscherben. Hinzu kommt die tägliche Zerstörung von
Spielplatzgeräten, Bänken und Zäunen. Also bitte die Kirche im
Dorf und die Hunde in der Stadt lassen!
Eine weitere Attacke gegen Stadthunde und ihre Besitzer
kommt auf leisen Pfoten, scheinbar ganz tierfreundlich daher: Das
Stadtleben macht die Hunde kaputt und degeneriere sie zu
vermenschlichten Wesen. Grundfalsch diese Behauptung: Es gibt
Rassen, die weniger Bewegung brauchen und mit ihrer städtischen
Umgebung durchaus zufrieden sind. Außerdem setzt diese Rede einen
Begriff von Degeneration voraus, der die biologische Situation
verkennt.
Der Hund ist wie kein anderes Tier vom Menschen geprägt.
Er hat, wie sein Herr, einen Kulturprozeß durchlaufen, der ihn
von seiner Urform (über die es ohnehin Streit gibt) weit entfernt
hat. Ebensowenig wie ein Großstadtbewohner Ähnlichkeit mit dem
Neandertaler hat, gleicht der Hund dem Wolf oder dem Dingo. Wer
den heutigen Hund degeneriert nennt, muß auch den Menschen als
degeneriert bezeichnen.
Städter sind heute der Natur auf bedenkliche Weise
entfremdet. In Italien verbinden Kinder mit dem Wort Glühwürmchen
nur noch Prostituierte, und deutsche Stadtkinder kennen schon längst
keine Nutztiere mehr. Demnächst werden nicht einmal Ferien auf
dem Bauernhof noch echte Erfahrung mit Tieren vermitteln: Einen
modernen Stall darf kein Kind mehr betreten.
Früher gab es viele Tiere in der Stadt, und die Menschen
hatten bis in unser Jahrhundert hinein Gelegenheit, sie zu
erleben: Kleintiere im Hof, Pferde in vielerlei Funktionen. Es gab
Tiermärkte und Tierherden, von denen städtische Tornamen noch
Kunde geben. Heute sind vor allem neben Mäusen,
Meerschweinchen, Vögeln und Zwergkaninchen Hund und Katze übriggeblieben.
Diese Verarmung betrifft besonders Kinder und alte
Menschen. Kinder lernen im Umgang mit Tieren Rücksicht, Fürsorge
und eine Menge jener Sekundär-Tugenden, die wir zu Recht nicht
mehr mit Strenge und Strafen einbleuen wollen: Pünktlichkeit,
Sauberkeit, Ordnungssinn. Kinder erfahren Tiere als Tröster in
Konflikten, die sie mit Erwachsenen haben. Ein Hund ist zeitweilig
der beste Freund und unersetzbar.
Wer ein Heimtier hält, lebt gesünder und länger. Wer
Tiere hält, bleibt im Alter lebendiger und offener für seine
Umwelt; alte und apathische Menschen in Pflegeheimen werden durch
ein Tier auf der Station wieder aktiv.
Tiere tun vor allem einsamen Menschen gut und solchen, die,
aus welchen Gründen auch immer, am Rand unserer Gesellschaft
leben: körperlich und seelisch Kranke, auch Obdachlose.
Stadtstreicher bekommen deshalb in einigen Städten das
Hundefutter vom Sozialamt bezahlt.
Der Umgang mit Tieren ist eine Grunderfahrung der Menschen.
Wir wissen, dass uns etwas fehlt, wenn wir uns nur mit
Selbstgemachtem umgeben und die Natur nicht mehr an uns
heranlassen. Durch die Heimtiere halten wir Anschluß an eine
Welt, die uns immer ferner wird.
Tiere entziehen sich unserer Gewohnheit, mit den anderen
nach der Soziologie des Akkusativs umzugehen: Beraten und
Beschulen, Beaufsichtigen und Bewachen, Begutachten und Betreuen.
Tiere brauchen Toleranz, Geduld und Einfühlungsvermögen. Sie
funktionieren nicht wie ein Auto aber gehören deshalb
wirklich nur Autos in die Stadt? Dr.
Michael Werner Ethologe,
München Der
Hund bringt Natur ins Haus
Sogar Menschen sind ein Teil der Natur. Alle Nahrung, von
der wir leben, entsteht aus biologischen, also natürlichen Vorgängen.
Selbst Gentechnik baut auf Natur auf.
Wir Menschen aber neigen zu einer maßlosen Selbstüberschätzung.
Wir meinen, die Götter in unserer erschaffenen Kunstwelt zu sein.
Dabei übersehen wir gern, wie krank sie ist.
Auch ein Hund ist noch Natur, bei aller Züchtung und
Domestikation, also nicht vom Menschen gemacht. Wer sich einen
anschafft, holt sich also ein Stück Natur ins Haus.
Und genau davor haben heute viele Angst. Aus Entfremdung
von der Natur ertragen viele Mitbewohner künstlicher Umwelten die
Begegnung mit allem nicht mehr, was unabhängig vom Menschen
besteht, sicher auch aus schlechtem Gewissen nach soviel
gedankenloser Zerstörung. Die Abschaffung der Natur ist eine
Verdrängung. Früher sind Kinder mit Tieren aufgewachsen und
konnten im weiteren Leben selbstverständlich mit ihnen umgehen.
Heute wird man mit Computern und Autos groß. Natur macht nur mehr
Angst oder wird nur schön gefunden, wenn man sie auf der
heimischen Mattscheibe oder durch die getönten Fenster eines
Ausflugsbusses sehen kann.
Ein anderes Lebewesen stellt seine eigenen Ansprüche. Wenn
man heutzutage meint, sie einfach übergehen zu können, und Tiere
behandelt wir Maschinen, die sich nach Bedarf einsetzen,
zwischendurch abschalten und beliebig umbauen lassen, dann ist das
eine gefährliche Einstellung: 1.
Unser Verhältnis zur Natur und damit unser aller
Lebensgrundlage wird weiter zerstört. Menschen, die so
aufgewachsen sind, können nicht mehr verantwortlich entscheiden.
Politiker, die einen Leinenzwang vertreten, haben offenbar nicht
die leiseste Sachkenntnis, schlimmer, sie merken nicht einmal,
dass hier Sachkenntnis möglich und nötig wäre. Wir sollten sie
dafür bedauern was für eine arme Kindheit müssen sie
durchgemacht haben! 2.
Wer verlernt, lebende Wesen zu verstehen, der behandelt am
Ende auch Menschen nur noch als Wirtschaftsfaktoren. Der eigene
Hund zu Hause kann den Blick für den Unterschied zwischen Leben
und Funktionieren lehren. Und davon hängt für uns und unsere
Zukunft sehr viel ab; ein Leinenzwang ist also auch eine soziale
Frage.
Es geht also nicht nur um Bequemlichkeit in einer Plastik-
und Betonumwelt, sondern um naturfeindliche Zensur. Tiere soll es
nur noch als putzige Plüschfiguren geben. Am Ende wird dann
vielleicht jede Hundehaltung überhaupt verboten, wie in Reykjavik
(Island). Der Hund, der frei herumläuft, findet eher ein
Versteck, wo sein Häufchen nicht stört, als wenn er gezwungen
ist, immer eng bei Fuß zu laufen. Noch wichtiger: Er kann keine
gesunden eigenständigen Beziehungen zu Menschen oder zu anderen
Hunden entwickeln. Er beißt eher als einer, der frei laufen kann.
Ein Kampfhund wird nicht geboren, sondern durch bösartige
Erziehung erst dazu gemacht. Daran ändert auch die Leinenführung
nichts. Auch ein Auto ist nichts an sich Böses, sondern wird
durch unvernünftige Raser erst gefährlich. Niemand wird deshalb
das Autofahren überhaupt verbieten. Um bei diesem Beispiel zu
bleiben: die Zahl der Personenschäden im Straßenverkehr ist um
so unvergleichbar viel höher als die durch Hundebisse, dass nach
der angewandten Logik jegliches Autofahren sofort verboten werden
müsste. Auch daran sieht man die völlig verzerrten Maßstäbe,
mit denen von Naturphobie-kranken Politikern heutzutage gearbeitet
wird. Repräsentative
Umfrage Hundehalter
sind vernünftig In
einer repräsentativen Erhebung hat das Mafo-Institut, Schwalbach,
festgestellt, dass sich der überwiegende Teil der Hundehalter
auch ohne Leinenzwang in der Öffentlichkeit korrekt verhält. Der
Untersuchung zufolge leinen vier von zehn Hundehaltern (41
Prozent) ihre Hunde grundsätzlich an. Und fast jeder zweite
führt den Hund in bestimmten Situationen an der Leine: beim Gang
über die Straße, wenn andere Hundehalter oder Leute
entgegenkommen. Nur in etwa jedem zehnten Hundehalter-Haushalt (12
Prozent) wird der Hund eigentlich nie angeleint, wobei die
Wohnsituation dies auch gar nicht erfordert.
Der Hund als Belästigungs- oder Störfaktor spielt so gut
wie keine Rolle. Selbst Nicht-Hundehalter geben zu 87 Prozent an,
bei der Begegnung mit einem Hund sich weder gestört noch belästigt
zu fühlen.
Die Repräsentativerhebung zeigt auch, dass Hund als
Bereicherung der eigenen Umwelt erlebt werden. Jeder zweite
Deutsche (52 Prozent) freut sich, wenn er einen Hund sieht, nur 11
Prozent ist das eher unangenehm. Jeder dritte (32 Prozent)
mag Hunde sogar sehr gern, lediglich die verschwindende
Minderheit von 2 Prozent mag Hunde überhaupt |
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