- Aktuelles |
Dokument 1 von 18 I Nächster
Artikel
Quelle: STE I Ausgabe: 39 I 21-09-2000 I Seite: 56 I Autor/in: *GÜNTER HANDLÖGTEN* DAS HUNDE-CHAOS Nach dem Tod des sechsjährigen Volkan in Hamburg überboten sich die Länder mit hastig zusammengeschusterten Verordnungen. Jetzt blickt keiner mehr durch - und auf den Straßen ist die Hölle los Für die Drogenfahnder in Darmstadt war der schwarze Kurzhaarmischling "Blacky" ein wahrer Freund und Helfer. Mehr als 17 Kilogramm Cannabis, über fünf Kilo Heroin und 915 Gramm Kokain erschnüffelte der Rauschgiftsuchhund des Kriminaloberkommissars Reinhard Bender in über 300 Einsätzen. Doch dem Gift, das Unbekannte auf dem Privatgrundstück seines Herrchens auslegten, war die exzellente Spürnase nicht gewachsen. "Blacky" verendete kläglich. Ähnlich erging es dem weißen Jack Russel Terrier "Cäsar" des Düsseldorfer Rentnerehepaars Margit und Karl König, als er bei einer Schnüffeltour im Grafenberger Wald auf ein Stückchen Fleisch stieß. Er verschlang es - und starb innerhalb weniger Minuten vor den Augen seiner hilflosen Besitzer. Hundehasser hatten den Happen mit Rattengift und dem Pflanzenschutz mittel E 605 präpariert. Da war ein mit einem Elektrokabel an einen Gullydeckel gefesselter Pitbull-Rüde aus Berlin-Spandau besser dran, als er in die Havel geschmissen wurde. Weil das arme Tier im flachen Wasser landete, ersoff es nicht, sondern blieb knapp über der Oberfläche hängen. Dort schnappte der Hund, so gut es ging, durch einen Nylonmaulkorb so lange nach Luft, bis ihn die Feuerwehr rettete und ins Tierheim brachte. Seit Ende Juni ein Pitbull den sechsjährigen Volkan im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg totbiss und die Politiker bundesweit hastig neue Vorschriften erließen, herrscht Krieg in Deutschland zwischen Hundefreunden und Hundefeinden. Klagen von Hundebesitzern über tätliche Angriffe häufen sich. Selbst Dackel werden mit Steinen beworfen oder bespuckt. Auf dem Seitenstreifen eines Parkweges im Berliner Bezirk Lichterfelde fand eine Hundehalterin mit Nadeln gespickte Wurststückchen. In Hamburg rempelte ein Jogger auf der Grindelallee den Besitzer eines kleinen Mischlingsterriers heftig an und raunzte: "Verpiss dich mit deinem Nazi-Köter." In Berlin, Düsseldorf, Köln und vielen anderen Städten gehen die Halter regelmäßig auf die Straße, um gegen die Hundefeindlichkeit zu protestieren. Überall im Lande schießen Initiativen gegen die Hundeverordnungen wie Pilze aus dem Boden. Bei den Gerichten gingen mehr als 1000 Einzelklagen gegen die neuen Vorschriften ein. In Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen sind bereits Normenkontrollklagen eingereicht, die die Rechtmäßigkeit der Regelungen anzweifeln, weil sie alle Halter über einen Kamm scheren. Tierschutzverbände, Verhaltensforscher, verunsicherte Behördenvertreter und Politiker sprechen von einem regelrechten Wauwau-Wirrwarr: Jedes Bundesland hat eigene Regeln, Tierärzte und Hundeexperten verweigern ihre Mitarbeit an den kaum praktikablen Vorschriften, Tierheime sind überfüllt. OFFENBAR UM PLATZ zu schaffen, wurden in Mönchengladbach 13 Vierbeiner kurzerhand getötet: Rottweiler, Schäferhunde, ein Husky und der als äußerst friedfertig geltende Staffordshire-Rüde "Acki", der eigentlich in der populären WDR-Fernsehsendung "Tiere suchen ein Zuhause" vorgestellt werden sollte. Der Mülheimer Rechtsanwalt Martin Brandstädter erstattete Strafanzeige. Für den Juristen war das nämlich ein grober Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, nach dem es für die Tötung eines Tieres einen "vernünftigen Grund" geben muss. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft unter dem Aktenzeichen AR 160/00 gegen die Verantwortlichen dieser "Massenhinrichtung" im Tierheim. Die Hundehalter ärgern sich besonders über die unterschiedlichen Vorschriften. Wer mit seinem Tier von Flensburg nach Oberammergau fährt, muss gleich mehrere Hundegrenzen passieren. Welche Rassen Maulkorb tragen und welche an wie viel Meter Band angeleint werden müssen, ist in jedem Land verschieden geregelt (siehe Grafik). Hinzu kommt, dass einigen Kommunen die neuen Verordnungen noch nicht weit genug gehen. Nur weil sie hinter einer Katze hergerannt waren, verfügte die holsteinische Gemeinde Süsel gegen die als lammfromm geltenden Labrador-Retriever "Sanne" und "Rike" einen Leinen- und Maulkorbzwang. Dabei hatten sie viele Jahre behinderten Kindern als Spiel- und Lernhunde gedient. Im niedersächsischen Alfeld gilt für gefährliche Hunde sogar auf Privatgrundstücken eine Maulkorbpflicht. Damit will die Stadt ausschließen, dass Menschen angefallen werden, falls ein Tier entlaufen sollte. Auf Diskussionen, dass die Tiere durch Zäune am Entkommen gehindert werden könnten, wollten sich die Verantwortlichen wegen "der enormen Sprungkraft der Kampfhunde" erst gar nicht einlassen. Statt sich auf bundeseinheitliche Maßnahmen zu verständigen, bemängelt auch der Deutsche Tierschutzbund, überboten sich die Bundesländer darin, in der aufgeheizten Stimmung völlig unterschiedliche und möglichst drastische Hundeverordnungen zu erlassen. "Was wir erleben, ist Wildwest", schimpft der Kölner Journalist Peter-Christian Löwisch, Initiator der neuen Interessengemeinschaft Besitzer großer Hunde e.V. "Schließlich galten in Tombstone auch andere Regeln als in Silver City." Seinem Verein schlossen sich in kürzester Zeit über 200 Hundehalter an, darunter viele Hausfrauen, Journalisten, Rechtsanwälte und Tierärzte. NUR WEIL HALBKRIMINELLE HALTER von wirklich gefährlichen Hunden für Furcht, Schrecken und blutige Opfer gesorgt hätten, so artikulieren sie ihren Zorn, werde den Tieren die artgerechte Haltung und Besitzern die Lebensfreude genommen. "Wäre es nicht viel wirksamer, in diesem Milieu wachen Auges für Ordnung zu sorgen?", fragt die Kölner Kauffrau Birgit Klimkiewicz, Vizevorsitzende des Vereins. "Um hier einzuschreiten, hätten die Behörden keine neuen Verordnungen gebraucht." Der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) will mit einem Gutachten über schwere Unfälle mit Hunden und einem Hundeführerschein die öffentliche Diskussion um die mit flinker Feder geschriebenen Verordnungen ein wenig entschärfen. "Wir stehen mit Wissenschaftlern im Gespräch und gehen davon aus, dass es sich bei den teilweise tödlichen Vorfällen mit Hunden fast ausschließlich um Besitzer mit krimineller Energie handelt, die bei der Polizei aktenkundig sind", sagt Hauptgeschäftsführer Bernhard Meyer. Der anerkannte Verhaltensberater für Hund-Mensch-Beziehungen, Günther Bloch aus Bad Münstereifel, erinnert daran, dass die Tierschützer seit zwölf Jahren strengere Gesetze angemahnt haben. "Passiert ist nichts. Kein Heimtierzuchtgesetz, das skrupellose Züchter in die Schranken verweist, kein Vorgehen gegen Hundekämpfe im Milieu. Ausgerechnet ein bereits aktenkundig aggressiver und mit Leinen- und Maulkorbzwang bedachter Hund, dessen notwendige Konfiszierung die Hamburger Ordnungsbehörde verschlampt hatte, gab Anlass zu den völlig überzogenen Eilverordnungen, die viele Tausende normale Hundehalter diskriminieren." Das sieht der 45-jährige Wirtschaftswissenschaftler Joachim Kurz aus Hamburg ähnlich. Er lebt mit seiner Familie in einem Villenvorort im Norden der Stadt - mit viel Platz für seinen vierjährigen Pitbull "Karli", der jeden Besucher an der Gartenpforte schwanzwedelnd begrüßt. "Keine politische Entscheidung hat mein Leben so verändert wie die neue Hundeverordnung", sagt er. "Ich führe "Karli` nur noch dort aus, wo ich keine Menschen treffe. Weil ich einfach Angst habe, dass sie ihn mir wegnehmen. Dabei ist mein Hund bisher lediglich durch seine Liebesbedürftigkeit aufgefallen. Dass die Gefährlichkeit von Hunden nicht von der Rasse abhängt, muss sich doch herumgesprochen haben." Ähnlich sehen das Dieter und Brigitte Heussler, deren Staffordshire-Mischlinge Emily und Nelly in einer niedersächsischen Kleinstadt bei den Nachbarkindern beliebt sind. Prohibition habe nie funktioniert, bekräftigt der 39-jährige Sprecher der Tierschutzvereinigung "Vier Pfoten e.V.", Tom Haubrich. Bei seinem 100 000 Mitglieder zählenden Verein haben sich in jüngster Zeit auffällig viele Besitzer von so genannten Kampfhunden Rat suchend aus Bayern gemeldet - dem einzigen Bundesland, das von sich behauptet, nach acht Jahren rigider Vorschriften nahezu "Kampfhunde"-frei zu sein. "Alles Quatsch", sagt Haubrich. "Hunde und Halter führen dort ein Doppelleben hinter großen Mauern, gehen nur noch nachts spazieren." DIE STÄDTE UND GEMEINDEN sind mit der Umsetzung der Verordnungen schlichtweg überfordert. "Wenn man kein Personal hat, kann man auch keine Kontrolle machen", gibt ein Berliner Amtstierarzt unumwunden zu. Schließlich seien seine Mitarbeiter nicht nur für Kampfhunde zuständig, sondern auch für die Lebensmittelkontrolle. "Wir können nur Verstöße ahnden, wenn sie uns gemeldet werden." Kein Wunder, dass acht Wochen nach Inkrafttreten der neuen Verordnung in Berlin fast jeder zweite "Kampfhund" noch nicht registriert war. Von den geschätzten 5000 meldepflichtigen Tieren waren nach Ablauf der gesetzten Frist erst rund 2900 bei den Veterinärämtern angemeldet worden. Der Stadt blieb nichts anderes übrig, als den säumigen Haltern eine weitere Schonfrist anzubieten. Wie schwer sich die Behörden tun, musste der 39-jährige Polizeihauptkommissar Joachim Höpner aus Brühl erfahren. Er wurde von seiner Stadtverwaltung schriftlich aufgefordert, sich innerhalb von vier Wochen zu melden. Weil "Anna", seine achtjährige Staffordshire-Hündin, auf der Liste eins der gefährlichen Hunde stehe, müsse er ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und ein "überwiegend besonderes Interesse am Halten des Hundes" nachweisen. "Das kann ich aber nicht, ich bin kein Schlossbesitzer", lautete seine Antwort. Völlig überraschend trat die Behörde den Rückzug an: "Wir haben uns geirrt. Der Nachweis wird nur benötigt, wenn es sich um eine Neuanschaffung handelt." Die Ordnungshüter in Nordrhein-Westfalen wissen bis heute nicht, wie sie die Anleinpflicht für alle mindestens 20 Kilogramm schweren und 40 Zentimeter hohen Hunde kontrollieren sollen. "Da müsste ja jeder Polizist eine Waage haben", sagt die Sprecherin der Stadt Köln, Inge Schürmann, leicht amüsiert "Das Regelwerk wurde von Bürokraten erstellt." Für Verwirrung in Niedersachsen, Hessen, Hamburg, Baden-Württemberg und Berlin sorgt zusätzlich der so genannte Wesenstest. Potenziell gefährliche Hunde sollen dort in nachgestellten Alltagssituationen unter Beweis stellen, dass sie für das Zusammenleben mit Menschen geeignet sind. "Mummenschanz und Kasperkram" sei das, sagt der Mediziner Dirk Schrader, der in Hamburg eine tierärztliche Klinik unterhält. "Meine Hunde würden einen solchen Wesenstest nie bestehen." Weil es bislang keine präzisen Bestimmungen gibt, wie die Vorgabe der Behörden umzusetzen ist, kommt es zuweilen zu grotesken Situationen. Um vor Journalisten zu demonstrieren, wie harmlos ein Staffordshire-Rüde sein kann, fasste ein Sachverständiger in Berlin nach den Beinen des Hundes, drehte ihn auf den Rücken und tätschelte seinen Bauch. Dann griff er nach den Hoden. Während einige Männer das Gesicht verzogen, blieb der Hund ganz cool und knurrte nicht einmal. "Dieses Tier", so das Urteil des Sachverständigen, "ist wesensfest." "Wenn die Hundehysterie dazu führt, dass die Menschen nicht mehr vernünftig miteinander umgehen, dann hat die Politik etwas falsch gemacht", sagt der schleswig-holsteinische FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Sein Parteifreund Jürgen Möllemann, Vorsitzender der Freien Demokraten in Nordrhein-Westfalen, demonstrierte vorletzten Sonntag auf einer Hundewiese in Witten gemeinsam mit Hundehaltern gegen die neuen Vorschriften der grünen Umweltministerin Bärbel Höhn. Nur schlechtes Wetter verhinderte mal wieder sein werbewirksames Einschweben mit dem Fallschirm. DIE MASSIVEN PROTESTE bewirkten immerhin, dass einige Bundesländer zurück rudern und ihre Regelwerke überdenken. Die von Hessens CDU-Innenminister Volker Bouffier ("Es geht nicht um Tierschutz, es geht um Menschenschutz") herausgegebene neue Eilverordnung wurde innerhalb von sechs Wochen zweimal entschärft. In Nordrhein-Westfalen dürfen Tierheime Kampfhunde der Kategorie eins schon wieder ganz offiziell vermitteln, deren Haltung eigentlich grundsätzlich verboten ist. Rund 5,4 Millionen Mark will sich die hochverschuldete Hansestadt Hamburg die Durchsetzung der Hundeverordnung kosten lassen. Mit diesem Geld sollen die Einrichtung und der Betrieb einer Halle zur Unterbringung herrenloser gefährlicher Hunde sowie die Arbeit von Kontrollteams zur Einhaltung der Hundeverordnung bezahlt werden. Wie sehr es aber auch dort mit der Umsetzung hapert, zeigte eine eigens für die Presse veranstaltete Großaktion der Ordnungskräfte auf einer bei Hunden und Haltern beliebten Alsterwiese. Weil weit und breit kein gefährlicher Vierbeiner zu sehen war, gingen die Behördenvertreter auf Dackel, Pudel und Golden Retriever los. "Sie haben Ihren Hund auf dieser Wiese anzuleinen, denn dies ist eine öffentliche Grünfläche", ordneten sie an. Rund 30 Hundebesitzer scherten sich aber kaum darum und gaben vor laufenden Kameras Statements ab: "Wo, bitte, sollen unsere Hunde auslaufen, wenn nicht auf dieser Wiese, wie seit 50 Jahren?" Tierheimchef Wolfgang Poggendorf hat angesichts der mit den verschärften Bestimmungen verbundenen und für viele unerschwinglichen Kosten - allein die jährliche Steuer für gefährliche Hunde wurde in Hamburg von 180 auf 1200 Mark und in der Ruhrgebietsstadt Essen von 276 auf 1656 Mark pro Jahr erhöht - schon einen neuen Trend ausgemacht: Pitbulls oder American Staffordshire Terrier, so prognostiziert er, werden schon bald ein Statussymbol für gut betuchte Bürger wie die American Express Goldcard sein. " Uns liegen schon erste Anfragen von Villenbewohnern der feinen Elbchaussee vor. Das haben wir vorher noch nie gehabt." [Die Teile dieser Nachricht, die nicht aus Text bestanden, wurden entfernt]
|