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13. November 2000 D E U T S C H L A N D |
Kuddelmuddel im
Hundekampf
Neuer Ärger für Kampfhund-Besitzer: Die Bundesregierung will ihnen Kontrolleure ins Haus schicken. Doch Vierbeiner-Lobbyisten machen mobil gegen das Chaos der Hunde-Verordnungen. In einigen Ländern haben sie bereits Erfolge vor Gerichten erstritten.
Läppische 414 Mark an Mieteinnahmen bringt das Objekt 17 den Hauseigentümern, dazu ständig Beschwerden der Nachbarn über Krach: So war das Mietverhältnis für die Gemeinnützige Wohnstättengenossenschaft Dortmund-Süd auch ohne Kampfhund schon auf den Hund gekommen. Nur hatte niemand einen Dreh gefunden, wie man die missliebige Mieterin loswerden könne. Jetzt liefert der verbreitete Hass auf die Bestie Kampfhund der Wohnungsfirma endlich ein Argument, die Bewohnerin an die kurze Leine zu nehmen: Nicht nur in Wohnsilos, auch in dem Reihenhaus sei die Haltung eines American Staffordshire Grund genug für eine fristlose Kündigung, meinen die Wohnstätten-Chefs. Ihre Meinung wollen sie kommende Woche vor dem Amtsgericht Dortmund durchsetzen - und damit das deutsche Kampfhunde-Chaos um eine Facette bereichern. Dass nämlich derselbe Vermieter in anderen Häusern Dobermänner und American-Staffordshire-Mischlinge duldet, passt zum allgemeinen Kuddelmuddel im bundesdeutschen Hundekampf. Der Dortmunder Rüde Cisco ist nur einer von vielen Hunden, die gegenwärtig die deutsche Justiz beschäftigen. Überall müssen Richter entscheiden, ob bestimmte Rassen diskriminiert werden, ob ein Bullterrier-Dackel-Bastard ein Kampfhund ist, ob Maulkörbe und Hundeleinen wider die Natur sind oder ob die neuen Hundehalter-Verordnungen gar gegen Verfassungsrechte verstoßen. Ende Juni glaubten Politiker, Stärke demonstrieren zu müssen, nachdem in Hamburg-Wilhelmsburg der sechsjährige Junge Volkan von zwei Kampfhunden totgebissen worden war. Die Länder erließen eilends Vorschriften, von denen sie spätestens wenige Wochen nach Verabschiedung selbst schon wussten, dass sie in vielen Punkten nicht praktikabel und erst recht nicht gerichtsfest sind (SPIEGEL 32/2000). Jetzt kassieren Gerichte landauf, landab Teile der Verordnungen, und eilig versuchen die Behörden nachzubessern. Die Bundesregierung brachte am Mittwoch einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, durch den nicht nur der Import bestimmter Rassen verboten werden kann. Kanzler Gerhard Schröder will sogar das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung einschränken: Kontrolleure vom Amt sollen bei verdächtigen Hundehaltern vorbeischauen dürfen. Die Konferenz der Innenminister beauftragte derweil ihre Fachleute erneut, das Kampfhunde-Chaos zu ordnen. Die Experten des Arbeitskreises I (Staatsrecht und Verwaltung) trafen sich vergangene Woche in Berlin und stritten mit Schwung. Nordrhein-Westfalen verlangte eine Haftpflichtversicherung für alle Hunde - abgelehnt. Okay, sagten die Beamten von NRW-Innenminister Fritz Behrens, dann wenigstens für die ganz gefährlichen Beißer. Da könne man sich einigen, meinte die Runde. Nur: Welche Rassen zählen zu den ganz gefährlichen? Heikles Thema - Entscheidung vertagt. In einem Kompromisspapier empfehlen die Fachleute den Ministern, was ihnen selbst so schwer fällt - die Regelungen "in zentralen Punkten anzugleichen", um "möglichst einheitliche Schutz- und Sicherungsmaßnahmen" zu erreichen. So sollte in ganz Deutschland eine Anleinpflicht in Fußgängerzonen gelten, Verstöße gegen "Ge- und Verbote sollten bundesweit mit empfindlichen Geldbußen geahndet werden" (Höchstgrenze: nicht unter 10 000 Mark), und gefährliche Hunde sollten mit einer "unveränderlichen Kennzeichnung" identifizierbar sein. Der jetzige Zustand ist auf jeden Fall unhaltbar: Denn eine Reise durch Deutschland ist für einen gesetzestreuen Hundehalter eine komplizierte Sache geworden (siehe Grafik). Wer mit einem Rottweiler in Schleswig-Holstein losfährt, darf nicht vergessen, seinen Liebling in Niedersachsen an die Leine zu nehmen. In Brandenburg könnten Ordnungshüter fragen, wo denn der notwendige Mikrochip implantiert sei, nordrhein-westfälische Polizisten könnten bald den Nachweis der Sachkundeprüfung verlangen. "Was wir hier erleben", sagt ein Beamter des baden-württembergischen Innenministeriums, "ist der Auswuchs des Föderalismus, der Kokolores ist". Ob sie sich nun in der "Aktion gegen Hundehass", in der "Interessengemeinschaft für bedrohte Hunderassen" oder der IG "MenscHund" organisiert haben - überall betreiben Hundefreunde Lobbyarbeit gegen den Paragrafen-Quatsch: Sie bearbeiten Öffentlichkeit und Politiker, überziehen die Gerichte mit Klagen. Für die "Interessengemeinschaft verantwortungsbewusster Hundehalter" hat der Hamburger Rechtsanwalt Ulrich Wollenteit ein 36-seitiges Gutachten mit dem Ergebnis erstellt, dass die Hamburger Verordnung in vielen Teilen rechtswidrig sei. Besonders die "Rasselisten" würden einer "fachwissenschaftlichen Überprüfung" nicht standhalten - eine Einschätzung, der sich in der Zwischenzeit andere Juristen angeschlossen haben. Im Auftrag von sieben Kampfhund-Besitzern hat Wollenteit die Stadt Hamburg nun verklagt. Die Fachleute in den Innenministerien wissen es längst: Das Ende der Rasseneinteilung ist programmiert. So gilt der Staffordshire Bullterrier etwa in Berlin und Sachsen-Anhalt als gefährlich. In Wahrheit, behauptet Claudia Hämmerling, Hunde-Fachfrau der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, sehe der in England auch "Babysitter dog" genannte Rassehund so ungefährlich aus, wie er sei - "wie ein dicker, aufgeplusterter Dackel" eben. Und es gebe kein Gutachten, das diese Spezies als gemeingefährlich brandmarken würde. "Durch Klageandrohungen", berichtet die Dortmunder Rechtsanwältin Nadja Warmer, habe man bereits erreichen können, dass der vergleichsweise harmlose Rhodesian Ridgeback nicht auf den Kampfhunde-Listen einiger NRW-Städte auftauche. Gute Chancen dürfte auch Silke Kubitza mit einer Klage gegen die Stadt Oberhausen haben. Laut Verordnung der Kommune bedarf das Halten ihres zwölf Monate alten Cara, eines Beauceron, einer "ordnungsbehördlichen Erlaubnis". Dies verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, glaubt Kubitzas Essener Anwalt Florian Gießler. Es zeuge von "völliger Unkenntnis", gerade diese ruhigen französischen Schäferhunde in die Verordnung aufzunehmen. Beschlüsse von Verwaltungsgerichten in Hessen, Brandenburg und Bremen, die einige Punkte der Vorschriften auf Eis legten, haben die Klagefreudigkeit von Frauchen und Herrchen weiter befeuert. Das Oberverwaltungsgericht in Potsdam setzte etwa die Maßgabe des Innenministers außer Kraft, die das Halten gefährlicher Hunde mit der Auflage verbunden hatte, diese "kastrieren oder sterilisieren zu lassen". Auch andere Details erregen Hundebesitzer. So verlangt Hessen für bestimmte Rassen einen Wesenstest. Den sollen Gutachter des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH) abnehmen - denen Kritiker Unkenntnis vorwerfen. So dürften zwar Arbeiter, die im Nebenamt VDH-Prüfer seien, den Test abnehmen, moniert der Büdinger Rechtsbeistand Hans-Jürgen Habermann - nicht aber fachkundige Tierärzte. Dass Deutschlands Gehsteige allein durch die Verordnungen sicherer geworden sind, das glaubt ohnedies kaum jemand. Ausgesetzte Hunde halten die Zahlen in der Beißstatistik weiter hoch, und: "Wer aggressive Viecher will", sagt die Grünen-Politikerin Hämmerling, "der lässt sich andere Rassen züchten - ein Dorado für illegale Hundevermehrer." Bestätigt wird sie von einem Vorfall in Bayern - dem Land des Hardliners Günther Beckstein (CSU), das bisher als nahezu kampfhundefrei galt. Ende Oktober stürmten 50 Polizisten einen Hunde-Trainingsplatz in München. Die Beamten beschuldigen die Halter, die Kampfhunde durch Schläge auf Kopf oder Genitalien gezielt "mannscharf gemacht" zu haben. UDO LUDWIG http://www.spiegel.de/spiegel/nf/0,1518,103232,00.html
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