Todesstrafe für Isegrim Das Volk der Walfänger und Robbenjäger geht nun auch auf Wolfhatz. Trotz Schutzkonventionen gibt Norwegen den Graupelz zum Abschuß frei und stiftet damit internationalen Aufruhr : Wo soll der ehemals ausgerottete Räuber überleben, wenn nicht in der nordischen Ödmark ? In der rauen Götterwelt
des mythologischen Nordens war er einer, dessen Bösartigkeit
selbst die Helden fürchteten : Fenris, der riesige Wolf, verkörperte
die Kräfte des Chaos. Um Götterchef Odin zu verschlingen,
sprengte das eingefangene Untier alle Fesseln. Seine Nachkommen
gaben Odins Familie den Rest und schluckten obendrein noch Sonne
und Mond. Damit
war, nach der Götterdämmerung auf Erden die finstere Wolfszeit
angebrochen eine Epoche, von der sich nun das Volk der
Nordmannen , wie sich die modernen Norweger nennen,
aufs Neue heimgesucht sieht : Nachdem der graubraune Beutegreifer
auch in Skandinavien mit Flinte und Gift so gut wie ausgerottet
worden war, hat er in den weitläufigen Wäldern wieder Fuß
gefasst. Zögerlich
kamen zuerst nur einzelne, aus Russland eingewanderte Wölfe. Dann
aber, in den letzten zehn Jahren, richteten sich auch Paare und
Rudel im spärlich besiedelten norwegisch-schwedischen Grenzland
an. Auf
etwa 80 Tiere ist der Bestand mittlerweile angewachsen zur
Freude von Wildbiologen und Naturschützern. Doch Norwegens Bauern
und Jäger wollen ihren uralten Hass gegen den Räuber nicht
begraben : Weil ihnen der Graukopf gelegentlich die frei
umherziehenden Schafe von der Sommerweide stiehlt und am überreichen
Elchvorkommen teilhat, fordern sie die Todesstrafe : Wir müssen
sie wieder loswerden , sagt Ole Anton Braend, Bauer in der
abgelegenen Region Osterdalen, dessen Schafsherde im vergangenen
Jahr vom Wolf dezimiert wurde. Die
Hatz auf den Wolf, die der junge Landwirt fordert, hat die
Regierung in Oslo nun vergangene Woche beschlossen : Mit Hilfe von
Hubschraubern und Schneescootern sollen in Osterdalen zwei Rudel
verfolgt und abgeschossen werden obwohl norwegische und
schwedische Forscher in ihrem gemeinsamen Wolfsrapport
folgern, dass die grenzüberschreitende Spezies in
beiden Ländern immer noch akut bedroht sei. Das Überleben
könnte längerfristig nur eine Population von mindestens 200
Tieren sichern, meinen die Wissenschaftler, von denen der Norweger
Petter Wabakken, 54, dem heimlichen Räuber am hartnäckigsten auf
der Spur ist: In
über 20 Jahren hat der Biologe auf Skiern einige 10 000 Kilometer
zurückgelegt, um anhand der Fußstapfen den Bestand und die
Territorien zu erkunden. An seiner Hochschule in Evenstad in der
Provinz Hedmark, mitten im Konfliktgebiet , wird neuerdings die
Spurensuche durch Radiosender und Satelliten Ortungssysteme im
Halsband ergänzt, das betäubten Wölfen umgelegt wird. Ausgerechnet
auf Initiative Norwegens war 1982 die Berner Konvention zu Stande
gekommen, die Wölfe grundsätzlich unter Schutz gestellt hatte.
Doch das durch Öl reich gewordene Land, das jedem seiner 4,5
Millionen Einwohner 72 000 Quadratmeter Auslauf bietet, will die Wölfe
und ihre Sympathisanten mit einem zu knapp bemessenen Revier
austricksen : Der soeben veröffentlichte Plan für eine
Schutzzone
reserviert den Tieren vor allem Gebiete zwischen den Städten Oslo
und Kristinasand wo ohnehin seit 100 Jahren kein Wolf
gesichtet worden ist. Dort
hingegen , wo sich die Heimkehrer am erfolgreichsten vermehren, im
nördlichen Osterdalen mit seinen weit versprengten Kleinbauernhöfen,
soll ihnen der Garaus gemacht werden. Die
jetzt regierende Arbeiterpartei hatte den dort lebenden Hinterwäldlern
schon 1998 wolfsfreies Land versprochen. Doch als die Politiker
nun tatsächlich gegen den Wolf anrückten, hatten die keine
Ahnung, was sie lostreten würden
, sagt Vigo Ree von der norwegischen Vereinigung Unsere
Raubtiere. Als
Nation ohne soziale Intelligenz , als
kurioser Randstaat
und halbverrücktes Wikingerland werde nun
Norwegen im Ausland gesehen, berichtete die Osloer Zeitung
Aftenposten . Im
Lande selbst sei der Wolfskrieg
ausgebrochen. Die New York Times spöttelte in
einem Bericht :Schwedens guter Freund ist Oslos böser Wolf.
In Norwegen kämen nun die in Schweden protegierten Wölfe auf die
Schlachtbank, empörte sich das britische Magazin BBC Wildlife. Schwedens
Umweltminister Kjell Larsson, daheim Wolfs-Larsson genannt,
drückte in einem Brief an seine norwegische Amtskollegin tiefe
Besorgnis über das Schicksal der zottigen Grenzgänger aus. Höchste
diplomatische Ebene erreichte der Disput mit einem Treffen der
Ministerpräsidenten beider Länder, auf dem Norwegens Jens
Stoltenberg störrisch am Abschuss von etwa 20 Wölfen festhielt
:Wenn es um die Verwaltung von Wal oder Raubtier geht, tun wir,
was wir für richtig halten. Auf
die Pflege nationaler Traditionen berufen sich die Norweger,
wenn sie, trotz Moratorium der Internationalen Walfang Kommission
, die Meeressäuger vor ihren Küsten nach selbst freigesetzten
Quoten harpunieren. Auszahlen soll sich diese Pflege, so wurde im
januar bekannt, durch den Export von Walspeck nach Japan : 500
Tonnen Blubber, der in Japan als Delikatesse gilt, lagern
seit Jahren in Kühlhäusern auf den Lofoten. Als
schützenswertes Brauchtum gilt auch das alljährliche Robbentöten
im März : Seit die aus der Mode gekommenen grauen Felle der
erwachsenen Seehunde sich in den Lagern stapeln, prämiert der
Staat, entgegen allen Zusagen auf Schonung, den Fang der weißen
Robbenbabys. Wer
die bodenständigen Jäger schilt, muss im Land der Fjorde mit
ruppigen Reaktionen rechnen. So musste der frühere staatliche
Robbenfanginspektor Odd Lindberg vor Prügel und Beschimpfung ins
schwedische Exil fliehen, nachdem er 1988 in einem Rapport für
das Fischereiministerium angeprangert habe, dass Robbenbabys
lebend gehäutet würden. Bilder von zappelnden, blutüberströmten
Robben gingen damals um die Welt. Als
Extremist gilt in seiner Heimat auch Raubtier-Schützer Ree,
wenngleich der 50-Jährige als Tiermaler hoch geschätzt ist. Ree,
einziges Ehrenmitglied der Königlich Norwegischen Gesellschaft für
Biologie, kämpft seit 1984 für die Wölfe : Damals verfolgten
seine Landsleute ihren einzigen, aus Schweden eingewanderten Wolf
anderthalb Jahre lang. Der endlich zur Strecke gebrachte Isegrim
wurde bis nach Oslo zum Parlament geschleppt, die Heldentat mit
Champagner begossen. Den ausgestopften Bürgerschreck stellte sich
schließlich eine Bank in Trondheim in ihre Halle. Als tierisches
Dekor muss in Norwegen auch so mancher Bär herhalten, der in
Hotelfoyers und Restaurants hoch aufgerichtet die Zähne bleckt. Die
großen Vier Bär, Luchs, Vielfraß und Wolf sind
alle gemeinsam nur in Osterdalen heimisch, das an den Nationalpark
Rondane mit seinen runden Zweitausender-Bergkuppen grenzt. Die
Wälder sind dort mit Elchen vollgepackt, sagt Ree. Obwohl der
Wolf sich, als Zubrot, weniger Schafe holt als der einzelgängerische
Luchs oder auch der in Mitteleuropa längst ausgestorbene kräftige,
marderartige Vielfraß , gilt doch der Wolf als schlimmster Feind.
Wie einst im Märchen sieht das Landvolk seine Kinder bedroht. Jäger
glauben, dass ihre ausgebüxten Hunde der wilden Bestie zum Opfer
gefallen sind. Eine
Waldeigentümerorganisation hat sich gar in den Kopf gesetzt, dass
das Ungeheuer in Norwegen von Naturschützern ausgesetzt wurde :
Ein Steckbrief mit Wolfskopf geht nun im Internet um, der
demjenigen 203 000 Kronen ( etwa 48 500 Mark ) Belohnung
verspricht, der mit Beweismaterial eine Anklage auf
Faunakriminalität möglich macht. Mit
einer Klage geht hingegen die 1300 Mitglieder starke
Vereinigung Unsere Raubtiere gegen den Abschuß vor. Die
Gesellschaft, der jetzt wöchentlich 30 neue Wolfsfreunde
zuwachsen, hat zwar Verständnis dafür, dass der Staat seine
Waldbauern in der Wildmark fördern möchte : Anders als im
angrenzenden Schweden, wo nur dichter Wald wächst, halten die
Osterdallandleute mit ihren inselartigen Höfen die
Kulturlandschaft offen. Wir könnten auf einer Öl-Bohrinsel
mehr Geld verdienen sagt Bauer Jo Overgaard, aber wir sind
hier verwurzelt. Doch die traditionsbewussten , EU-resistenten, mit Gewehr, Handy und E-Mail ausgerüsteten Landwirte machen, so argumentiert Raubtierfreund Ree, nur 0,5% unserer Bevölkerung aus. Die Bauern und Schafhalter, meint Ree, haben nicht das Recht , eine Tierart auszulöschen, die seit Tausenden von Jahren hier gelebt hat und uns allen gehört. Am ganzen
Konflikt seien die norwegischen Art der Schafhaltung und ihre
Subventionen schuld. Das meint auch Biologe Rasmus Hansson vom
norwegischen World Wide Fund for Nature (WWF), der sich der Klage
angeschlossen hat. Können wir
uns eine Haltung leisten, die keine Beutegreifer verträgt ? Nicht
einmal hundert Wölfe, das ist doch ein Witz. Die Schafe
werden im Juni, nach der Schneeschmelze, mitsamt den Lämmern aus
dem Stall in die Wälder geschickt ohne Hirten, ohne Hunde,
die etwa in den italienischen Abruzzen oder auch im wolfsreichen
Rumänien die Räuber erfolgreich fern halten. Die schwedischen
Nachbarn schützen ihre Tiere mit Elektrozäunen. Schon ein
Wechsel des gefährdeten Weidegrundes, so haben Experimente der
Hochschule in Hedemarken gezeigt, könnte das Problem der
norwegischen Bauern lösen : Die territorial gebundenen Wölfe
folgten dann den Schafen nicht nach, die Attacken blieben aus.
Aber, so WWF- Biologe Hansson, unsere Leute sind stur, die
wollen so weitermachen. Manchen, wie
Bauer Braend, dem Wölfe gleich 20 Schafe töteten oder
verletzten, trifft es hart. Doch von den im ganzen Land gehaltenen
2,4 Millionen Schafen werden 94% unversehrt im Herbst in die Ställe
heimgeholt. Von den 130 000 Tieren, die verloren gehen, stürzen
die allermeisten ab, ertrinken in Sümpfen oder Seen oder
vergiften sich durch ein spezielles Liliengewächs : Über die
jammert keiner, sagt Ree. Geschrei gibt es nur über 30 000,
die zu Lasten der Raubtiere gehen und nur einen kleinen
Bruchteil wiederum davon greift sich der Wolf : etwa 800 Schafe
alljährlich. Das er es
wirklich war, müssen Inspektoren bestätigen. Erst dann wird die
Entschädigung gezahlt : 1785 Kronen für jedes erwachsene Schaf,
fürs gerissene Lamm 895 Kronen. Die hohen Subventionen, die
ohnehin für jedes Tier geleistet werden, machen die Schafe im
Wolfsrevier zu den teuersten weltweit : Sie kosten, so hat
die Zeitung Verdens Gang ausgerechnet, den Steuerzahler
4000 Kronen pro Stück. Weniger großzügig
geht Norwegen mit seinem international bekannten Wolfsforscher
Wabakken um, der an seiner Hochschule erst im vergangenen Jahr
eine volle Stelle bekam. Wabakken bemüht sich, den Konflikt zu
entschärfen, indem er die örtliche Beölkerung am Wolfstracking
teilnehmen lässt. Er selbst stand dabei einmal unversehens einem
Wolf gegenüber : Das aufgeschreckte Tier lief weg. Seither
beschäftigt den Biologen eine Frage : Der Wolf, so Wabakken,
könnte den Menschen leicht töten, warum tut er es nicht ?
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