Dr.
Dorit Feddersen-Petersen, Universität Kiel
Gefährliche Hunde
"Kampfhunde" /
"Gefährliche Hunde"
"Gefährlichen
Hunden" liegen höchst unterschiedliche Genesen zugrunde,
impliziert sei hier sowohl die Verhaltensontogenese, die durch Phasen
ausgeprägter Sensibilität allen Umwelteinflüssen gegenüber
gekennzeichnet ist, in denen gerade auch der Umgang mit Sozialpartnern
in Konfliktsituationen oder bei Rivalitäten entscheidend "geprägt"
wird, als auch das zum Zeitpunkt eines Übergriffes bestehende soziale
Umfeld des Tieres mit allen Besonderheiten seiner Einbindung in
dieses. Und letztendlich sind Kenntnisse zum Geschehen, zur schweren Körperverletzung
oder gar Tötung eines Menschen oder eines Artgenossen bzw. Fakten darüber,
weshalb eine Auseinandersetzung mit einem Sozialpartner, eine
Begegnung eskalierte, einfach obligatorisch.
Vorliegende Definition "gefährlicher Hunde" (wie in den
HundeVO einiger Bundesländer praktiziert) sind vielfach stellenweise
zu unpräzise und allgemein gehalten, als dass sie im Rahmen zu
treffender Maßnahmen nach einem Vorfall (besser noch wäre: im
Dienste einer Prävention) von gefährlichen oder extrem belästigenden
Zwischenfällen mit Hunden ursächlich "greifen " könnten.
Es gibt Mensch-Hund-Beziehungen, die Indikatoren einer potentiellen
Gefährdung aufweisen, die über das "Restrisiko" der
Haltung eines (großen, sozial expansiven) Hundes hinausgehen. Denn Größe,
Kraft, wie auch bestimmte Verhaltensmerkmale eines Hundes sind für
das Zusammenleben mit bestimmten Menschen offenbar latent gefährlich.
Große Hunde oder Hunde bestimmter Rassezugehörigkeit deshalb
zunehmenden Haltungsrestriktionen zu unterwerfen oder sie gar zu
verbieten, "aussterben" lassen zu wollen, ist keine Lösung. Es
geht in aller Regel um bestimmte Mensch-Hund-Beziehungen.
Problematische Entwicklungen derselben Hunde verschwinden bei anderen
Hundehaltern sofort, wie in etlichen Fällen zu belegen war. Es ist
bekannt, dass es gerade Hunde sind, die bereits ein- oder zweimal auffällig
wurden, denen z.B. ein Leinenzwang verordnet wurde, die dennoch
schwere Verletzungen (z.T. mit Todesfolge) verursachten.
Die Beziehungsschiene Mensch/Hund ist von ganz entscheidender
Bedeutung. Denn Hunde kooperieren und konkurrieren mit ganz bestimmten
Menschen in ganz besonderer Weise. Das ist canidentypisch. Ein
Ausgleich zu dieser häufig ambivalenten Situation wird von bestimmten
Menschen nicht verstanden oder so manipuliert, dass sich inadäquates
Aggressionsverhalten ihres Hundes entwickeln muss. Ausserdem ist die
Stimmungsübertragung Mensch/Hund nicht zu vernachlässigen.
Der Ansatz bei bestimmten Haltern, das Erkennen von Gefahrenmomenten
am Beziehungsgeflecht Mensch/Hund wird oft unterschätzt bzw. es
unterbleibt ganz. Es sind, wie auch wissenschaftliche Untersuchungen
belegen, individuelle Mensch-Hund-Beziehungen, die den ersteren zur
Gefährdung seiner Umwelt werden lassen. (Lockwood, 1995).
Gefährliche Hunde sind stets individuell zu benennen, eine häufige
Genese ist die der sozialen Deprivation. Soziale Unsicherheit und
Angst begleiten das gesamte Hundeleben, wenn die Jugendentwicklung in
"Hundefabriken" ohne ausreichende Sozialisation an
Artgenossen und Menschen erfolgte.
Restriktiv in Zwingern aufgewachsene Hunde werden stets
"Schwierige", oftmals bissige Hunde. Es besteht - zumal in
der Jugendentwicklung eines Hundes (sensible Phasen, in denen
besonders einprägsam gelernt wird!) eine innige Wechselwirkung von
Umwelt und Erbgut, die den späteren Hund "formt".
So wird die Art und Weise, Konflikte zu lösen in dieser Zeit geübt,
im spielerischen Kontext. Isoliert oder reizarm aufgezogene Hunde
zeigen häufig situativ unangemessenes, übersteigertes Angriffs- wie
Abwehrverhalten, wodurch erhebliche Gefahrenmomente geschaffen werden.
Dieses geschieht am häufigsten aus sozialer Unsicherheit und Angst.
Beispiel: Dogge, eingesperrt in dunkle Schweineställe, in Gitterkäfige
mit verdrecktem Betonboden ohne Schlafplatz, diese menschenbezogenen
Hunde ausgesperrt aus allen sozialen Bezügen, diese lauffreudigen
Tiere ohne Bewegungsfreiheit, mager und frierend und psychisch fast
zerbrochen, das sind keine Horrorbilder aus Süd- oder Osteuropa, das
ist Wirklichkeit z.B.im nördlichen Brandenburg, so der Bericht einer
Gruppe, die sich der Tiere annimmt und ihr Schreiben an mich wie folgt
schliesst:" Auch die Amtstierärzte sind rat- und machtlos, sie hören
sich die vollmundigen Erklärungen der Hundebesitzer an, dass die
Hunde ja jeweils nur kurz in den Käfigen sitzen - und verlassen die
Gehöfte wieder...". Der gesetzliche Vollzug ist, wie immer
wieder beklagt wird, sehr oft unzureichend. Hunde, die im
Junghundalter eine Rangeinweisung entbehrten, vielmehr vermenschlicht
und verwöhnt wurden, neigen zu gestörtem Dominanzverhalten gegenüber
Menschen und Artgenossen. Ein Gefahrenpotential bilden also Hunde mit
hohem sozialen Status in ihrer Familie. Bei großen Hunden ist so eine
freie hierarchische Position hochgefährlich für alle
Familienmitglieder. Unzureichende Auslastung von Hunden, deren
Haltung ihren Rassebesonderheiten nicht ausreichend Rechnung trägt,
kann zu Verhaltensfehlentwicklungen aufgrund inadäquater, immer
gleicher Umgebung (Reizarmut) führen und in "plötzliche"
Attacken und Ernstkämpfe umschlagen.
Fallbeispiele
Folgende Fallbeispiele, die von mir im Zuge forensischer Gutachtertätigkeit
analysiert wurden, zeigen, kurz dargestellt und zur Bestimmung der Häufigkeit
ihres Vorkommens vorsichtig kategorisiert, dass Beißzwischenfälle
sehr vielschichtig und im familiären Beziehungsgeflecht
verursacht sind. Hunde, die auf sogenannte Hyperaggressivität gezüchtet
oder einer
Aggressionsdressur unterworfen wurden, spielten in den jährlich ca.
30 zu begutachtenden Fällen der letzten 15 Jahren eine untergeordnete
Rolle.
Aktita
Inu
Staatsanwaltschaft Köln
1997 Verwarnung wegen fahrlässiger Körperverletzung,
Bestimmung einer Geldstrafe in Höhe von DM 600,-- Hund an der
langen Leine und "nicht beaufsichtigt" fällt ein Kind an;
Bisse in Kopf-, Nacken- und Schulterbereich. Erhebliche
Fleischverletzungen an Kopf und Nacken. (Weiterer Vorfall, der nicht
angezeigt wurde: Verletzungen im Kopfbereich eines anderen Kindes)
Mangelnde Aufsicht und Verantwortung, mangelhaftes Wissen zum
Hundeverhalten:
ca. 26 %
der jährlich begutachteten Fälle in den letzen 15 Jahren.
Rottweiler
Landgericht Schwerin 1996
der, bis auf kurze Ausläufe, die ihm nicht einmal täglich
zugestanden werden, in einem Drahtkäfig eingesperrt lebt, der nicht
einmal einige normale Schrittfolgen erlaubt, vielmehr nur
Drehbewegungen um die eigene Achse sowie kurze Gliedmaßenverschiebungen
nach rechts, links, vorne und hinten, verletzt einen Mann
lebensgefährlich, als die Käfigtür versehentlich offen bleibt
und sein Halter sich mit dem Opfer prügelt. Beide stehen unter Alkoholeinfluss.
Der Hund wird in das Tierheim Dorf Mecklenburg abgegeben und
letztendlich getötet.
Die Mischlingshunde 'Lucas' und 'Jerry' werden vor dem Angriff eines Menschen
auf eigenem Territorium durch eine lange Lederleine an ihren Halsbändern
über einen längeren Zeitraum aneinandergebunden gehalten (siehe Ordnungsverfügung
vom 7.11.1997).
Körperverletzungen, die mit extrem tierschutzwidriger Haltung in
Zusammenhang stehen:
ca. 20%
der jährlich begutachteten Fälle in den letzen 10 Jahren.
Dobermann
Amtsgericht Syke,1998 der
an der kurzen Leine mit Besitzer und dessen Sohn geht, greift eine
Frau an, die den kleinen Jungen mit ausgestreckten Armen laut begrüßen
will. Das Verhalten der Klägerin geht über das, was als
"Restgefahr" in jeder Interaktion mit einem Hund oder
in bezug auf einen Hund liegt, hinaus und hätte von ihr
vermieden werden können. Das Verhalten ist vom Hund zu decodieren
wie ein plötzlicher Angriff des Kindes. Zu Hund bestand kein Vertrauensverhältnis. Körperverletzungen
von Kindern durch Hunde mit ähnlicher Vorgeschichte und ähnlichem
situativen Kontext:
ca. 15%
der jährlich begutachteten Fälle in den letzten 5 Jahren.
Deutscher Schäferhund
Amtsgericht Ahlen, 1997
beisst unmittelbar nach einem Tierheimaufenthalt ein Kind.
Es hat weder eine Beratung der neuen Besitzer stattgefunden (mit dem
dringend notwendigen Hinweis, Hund und Kind nicht alleine zu lassen!),
noch sind die Besitzer gefragt worden (sind Kenntnisse sowie Möglichkeiten
zur Haltung eines großen Hundes vorhanden u.a.?) . Schwere Körperverletzungen,
die eine entsprechende Vorgeschichte wie einen vergleichbaren
situativen Kontext aufweisen:
10%
der Gutachten in den letzten 10 Jahren
Zwei Kangals
Landgericht Lünen 1998
die ein Gelände bewachen sollen, sind nach einem Training mit
Elektrostimulation (6 Wochen Aufenthalt in einer Hundeausbildungsstätte)
ängstlich und bissig geworden, verletzen den Sohn des Besitzers auf
eigenem
Gebiet; sie wenden sich aus der Defensive gegen jedermann und können
deshalb nur noch einzeln im Zwinger gehalten werden.
Unfälle, die eine ähnliche Vorgeschichte nach "harter
Ausbildung" in Abwesenheit der Besitzer aufweisen:
ca.
9% der begutachteten Fälle in den letzen drei Jahren
Rottweiler
attackiert Besucher (Abbiss eines Fingers), als ihn dieser als soziale
Maßregelung über den Fang fasst, reaktiv auf das Anknurren des
Hundes. Besitzer sind nicht im Raum.
Vernachlässigung der Aufsichtspflicht (Besitzer) sowie inadäquate
Behandlung
eines fremden Hundes durch das Opfer auf hundlichem Territorium.
Gutachten über Körperverletzungsdelikte ähnlicher Genese:
ca. 8% in
den letzten 10 Jahren.
Deutscher Schäferhund
Staatsanwaltschaft Frankfurt 1998 Verwarnung wegen fahrlässiger Körperverletzung,
Bestimmung einer Geldstrafe von DM 1200,--
Beim Entgegenstrecken der Ausweispapiere fasst der angeleinte
Diensthund
mehrmals hintereinander zu, zerreißt eine Lederjacke und verletzt den
Mann.
Körperverletzungen, die auf Ausbildungsfehler zurückzuführen sind
:
ca. 7% der
begutachteten Fälle in den letzten 10 Jahren.
Jagdhund, Rasse Deutsch-Drahthaar
Landgericht Stade, 1998) tötet
eine Katze nahe dem Grundstück ihres Halters, Kinder und etliche
Erwachsene Personen sind zugegen. Das Töten dauert lange (ca. 10-15
Minuten). Freispruch 1 2. Instanz.
Ähnliche Tiertötungen durch Jagdhunde, die eindeutige
Tierschutzrelevanz
aufweisen:
ca. 3% der
Gutachten jährlich in den letzen 15 Jahren.
American Staffordshire Terrier
Landgericht Frankfurt/ Main 1997 tötet eine Frau, die zufällig die Tür
zur Wohnung des Halters passiert, durch sie seine Lebensgefährtin
nach einem Streit gerade geflohen war. Der American Staffordshire war
bereits einmal auffällig geworden (Beissvorfall) und unterlag dem
Leinenzwang.
Der Besitzer wurde wegen fahrlässiger Tötung zu 1 1/2 Jahren Haft
verurteilt (2. Instanz).
Der Hund war mit großer Wahrscheinlichkeit auf Menschentötung
abgerichtet
worden, was jedoch nicht mit letzter Sicherheit nachzuweisen war.
Halter und
Hund leben im "Milieu".
Ähnliche Fälle (Verletzung, keine Tötung):
2-3% der Gutachten
pro Jahr in den letzten fünf Jahren. Junge Männer, sportlich,
die imponieren wollen. "Halbstarken-Image" bzw.
"Szene-Hunde".
Rassezugehörigkeit und daraus
resultierende "Gefährlichkeit"
Verhaltensbiologisch ist die "gefährliche Rasse" nicht zu
benennen, es ist naturwissenschaftlich so unsinnig wie unbewiesen,
einer Hunderasse a priori, also ohne Berücksichtigung der
feindifferenzierten Verzahnung von genetisch bedingten
Handlungsbereitschaften und denobligatorischen Lernvorgängen, eine
gesteigerte "Gefährlichkeit" zuzuschreiben.
Rassenkataloge, die "Hunde mit gesteigerter Gefährlichkeit"
auflisten, sind irreführend, weil der Objektivität entbehrend, sie fördern
darüber hinaus einen Hundemissbrauch, indem sie bestimmte Rassen für
eine bestimmte Klientel erst attraktiv machen. Rasseaufzählungen
erschweren die Hundehaltung zudem ungemein, da
Nachbarschaftsverleumdungen die Gerichte ganz unnötig beschäftigen
und schließlich, gesteigert von Beschimpfungen von Passanten, den
betreffenden
Hundehaltern psychisch derart zusetzen, dass diese ihre Hunde ins
Tierheim abgeben - ein für die meisten Tierheime zunehmendes wie
zunehmend schwer oder unlösbares Problem. Die betreffenden
Hundeindividuen nehmen Schaden (es gibt Tiere die 5-7 mal ihren Halter
wechseln oder von vornherein nicht vermittelbar sind), werden jetzt
mit großer Wahrscheinlichkeit zu Problemhunden, die schwer einschätzbar
und gefährlich reagieren. Die Bezeichnung "Kampfhund"
sollte sicht mehr benutzt werden, da sie reißerisch ist und die
falschen Gruppen "bedient".
Es sei betont, dass natürlich nicht alle Hunderassen gleich sind in
ihrer Verhaltenssteuerung, auch werden sie nicht als Tabula Rasa
geboren, ihr Verhaltensinventar wie z.B. bestimmte Reaktionsnormen können
sehr unterschiedlich und durchaus rassekennzeichnend sein, sind also
durchaus genetische determiniert, entwickeln sich jedoch in ständiger,
feindifferenzierter Wechselwirkung mit allen Reizen des hundlichen
Umfeldes. Und so kommt es zu höchst unterschiedlichen Verhaltensausprägungen
bei Tieren einer Rasse. Dies gilt gerade für das
Aggressionsverhalten.
Bei biologisch ausgerichteter Zucht und ebensolcher Aufzucht,
Ausbildung und Haltung, müssen auch Rassen mit einer relativ jungen
Kampfhundevergangenheit keineswegs gefährlicher sein als andere große
und kräftige Hunde, können vielmehr ausgeglichen und berechenbar im
Verhalten sein. So eignen sich etwa American Staffordshire Terrier gut
zur Arbeit als Trümmersuchhunde. Sie gehören zu Menschen mit
vertieften Kenntnissen zum hundlichen Verhalten und Erfahrungen mit
Hunden eben dieser Rassezugehörigkeit.
Die Werbung für Bull-Rassen mit Wellensittich auf dem Kopf und den
Babies auf dem Rücken sollten fehlen, denn Hunde dieser Rassezugehörigkeit
müssen keine Ersthunde für Familien mit Kindern im Krabbelalter
sein. Dies gilt ebenso für andere große Rassen, die bei uns
zunehmend modern werden, fatalerweise bei gerade völlig ahnungslosen
Hundehaltern, die Hunde schlicht nach ihrem Extérieur aussuchen.
Zusammenfassende Überlegung und Ausblick
Vergleichende Untersuchungen unter definierten Umweltbedingungen wie
zum Entstehen sozialer Beziehungen an über 20 Hunderassen (darunter
auch American Staffordshire Terrier, der Bullterrier, Fila Brasileiro
und andere auf den Pauschallisten geführte Rassen sowie Jagdhunde-
und Schutzhundrassen) entbehren der Daten für eine generell höher
anzusetzende Gefährlichkeit der Haltung einer bestimmten Rasse.
Es gibt keine "gefährlichen Hunderassen", es gibt gefährliche
Hundeindividuen. Der Begriff "gefährlicher Hund" ist unabhängig
von der Rassezugehörigkeit zu benennen, vielmehr rasseneutral für
Individuen über bestimmte Merkmale zu bestimmen (der Situation nicht
angemessenes Aggressionsverhalten, Angriffe und ungehemmtes
Beissen (ohne Beisshemmung) von Sozialpartnern (Artgenosse, Mensch und
anderen Tierarten).
Hund und Mensch bilden stets ein "Beziehungsgespann": Jede
Hundezucht wie
Hundeentwicklung, jedes Hundeverhalten wird vom Menschen entscheidend
beeinflusst, der überwiegend ursächlich verantwortlich ist für gestörte
Beziehungen zum Tier. Es sind die Züchter (Massenzuchten!) und
Besitzer bzw. das gesamte soziale Umfeld, das Hunde gefährlich werden
lässt.
Analysen der Genesen von schweren Beissvorfällen weisen auf
soziologische Probleme, das Bedürfnis von Menschen über den Mißbrauch
von Hunden zu imponieren, Angst einzuflössen und ihr Ego aufzuwerten.
Die "Aggressionszüchtungen", in der Regel Kreuzungen
(sogenannte "Hinterhof-Züchtungen"), sind als Symptom
gesellschaftlicher Probleme zu werten. Das neue Tierschutzgesetz
verbietet Aggressionssteigerungen, züchterisch wie über
entsprechende Konditionierung. Die entsprechenden Paragraphen müssen
nur zur Anwendung kommen.
Hilfreich wäre eine Kennzeichnungs- und Registrierpflicht für alle
Hunde, nicht allein diejenigen, die unter dem Patronat VDH gezüchtet
werden. Es muss verhindert werden, dass ein Jeder, also auch ein
Mensch ohne Fachkenntnis und Verantwortung, sowie einer, der nur am
Hund verdienen will, züchten darf. Also sollte ein
Heimtierzuchtgesetz erlassen werden, die hierfür erforderlichen
rechtlichen Voraussetzungen sind zu schaffen. Auch eine Hundehalter VO
sollte endlich erlassen werden. Wir müssen, entfernt von emotionalen
"Lösungsansätzen im Schnellverfahren", zu objektiven
Fakten, zu einer objektiven Darstellung der Gefährdung durch Hunde
und deren Ursachengefüge finden.
Der Schlüssel liegt im Verständnis der Entwicklung des schrecklichen
Geschehens. Auffällig ist u.a., dass Hunde, die Menschen schwer
verletzen, bereits zwei oder gar drei mal auffällig geworden waren,
was aber weit zu wenig beachtet und geahndet worden war.
Eine weit konsequentere Ausschöpfung vorhandener Gesetze hätte
etliche Wiederholungsvorfälle verhindert - so die Tötung der Frau in
Frankfurt und würde überwiegend ausreichen (gemeinsam mit den
bereits aufgeführten Vorschlägen), Probleme mit Menschen und ihren
Hunden weit besser in den Griff zu bekommen.
Jeder Entwicklung zum "gefährlichen Hund" liegt eine
individuelle soziale Konstellation zugrunde. Innerhalb dieser kann
grob kategorisiert werden. Konditionierungen von Hunden, die
vorsichtig einem bestimmten Typus zuzuschreiben sind, liegen in der Förderung
oder Umleitung oder Extinktion eines bestimmten erlernten Verhaltens.
Hunde, die sich durch gezielte Zuchtwahl auf "übersteigerte
Aggressivität" auszeichnen, sind in bestimmten Fällen nicht
mehr therapierbar. Es sind Hunde, deren Aufmerksamkeit beim Erscheinen
von Artgenossen gar nicht mehr zu gewinnen ist, die nur noch durch das
Kämpfen zu motivieren sind. Oder solche, die schlicht nicht einzuschätzen
sind, immer wieder ohne Vorwarnung und biologisch nachvollziehbarem
Grund angreifen.
Biologie der Aggression
Eine einheitliche Definition für Aggression liegt nicht vor. Der
Begriff subsumiert viele verschiedene Verhaltensweisen, die ein
Individuum direkt oder indirekt, körperlich oder seelisch schädigen.
Es kommt vom lateinischen "aggredi" (an etwas herangehen) -
bezieht sich biologisch betrachtet auf den Erhalt von Handlungsfreiräumen
bei Tieren, die in geschlossenen, individualisierten, hierarchisch
strukturierten Gruppen leben, wie für Caniden typisch.
"Aggredi" bedeutet: hier komme ich, mach Platz (wo sich ein
Körper befindet kann kein anderer sein), und bezieht sich sehr oft
auf die Darstellung und - falls nötig - Verteidigung eines sozialen
Status. Die Abgrenzung "innerer Antrieb" oder "äusserer
Reiz" ist mässig. Es sei kurz auf zwei extreme Positionen
eingegangen, die heute nurmehr wissenschaftshistorischen Wert haben,
dennoch im Fall der "endogenen Produktion aggressiver
Energien" immer wieder beispielhaft zur Rechtfertigung von
"Aggressionsdressuren" bemüht werden:
Konrad Lorenz nimmt eine Extremposition in Richtung auf den Pol
"innerer Antrieb" ein. Vereinfacht dargestellt geht er von
der Existenz eines Aggressionstriebes aus, der spontan Energie und
Verhaltensneigungen für Aggression erzeugt. Nach dieser Theorie wird
das tatsächliche aggressive Verhalten allerdings auch erst nach
Auftreten eines geeigneten artspezifischen Reizes durch den AAM geäussert,
doch ist die Bedeutung dieses Auslösers in gewisser Weise
zweitrangig. Je nach der Stärke der endogenen (durch den Instinkt)
erzeugten Aggressionsenergie (um so stärker, je länger die letzte
Auslösung des aggressiven Verhaltens durch einen Auslösereiz zurückliegt),
kann der auslösende Reiz unspezifischer werden. Bei extrem
aufgestauter Aggressionsenergie reicht nach Lorenz nahezu jeder Reiz
aus, um Aggressionsverhalten auszulösen. Im Extrem kann aggressives
Verhalten sogar ohne jegliche äußere Provokation auftreten.
Die theoretische Gegenposition wird von den
Reiz/Reaktions/Theoretikern eingenommen (insbesondere in der Tradition
der Lerntheorien und des Behaviorismus nach WATSON und SKINNER),
welche die Determinanten benachbarter Verhaltensweisen vorwiegend in
der externen Reizung des Organismus suchen, der nach ihrer Überzeugung
die weitaus größere Bedeutung bei der Verhaltenssteuerung zukommt.
Der Streit um die Verhaltensdeterminanten in bezug auf inneren Antrieb
oder äussere Reizung war mehr als ein akademisches Problem oder
Haarspalterei: Die Folgerung für die Verhaltensvorhersage und
insbesondere die Modifikation oder Manipulation aggressiven Verhaltens
sehen höchst unterschiedlich aus. Kann nach Lorenz das durch innere
Antriebe verursachtes Verhalten spontan erfolgen, wenn im Organismus
eine entsprechend starke Verhaltensbereitschaft vorliegt, weil das
aktuelle Verhalten dann durch die äusseren Reize nur ausgelöst zu
werden braucht, muss nach den Reiz-Reaktions-Modellen auch die
Verhaltensbereitschaft durch Umweltreize erst erzeugt werden. Lorenz
postulierte, da ständig neue aggressive Energie durch auslösende
Reize für ein relativ harmloses aggressives Verhalten, um eine
Eskalation zu verhindern - nach Ansicht der Reiz-Reaktions-Theoretiker
war dies eine völlig falsche Strategie, da durch die Häufung von
Auslösereizen erst recht eine aggressive Verhaltensbereitschaft
erzeugt würde. Dieser Lerneffekt konnte bereits in den 60er Jahren
durch Scott und Fuller (1965 bestätigt werden.
Heute wissen wir, das Aggression viel ursächlicher ist, vererbt wird
jeweils nur eine Reaktionsnorm, gleichsam ein Angebot an die Umwelt.
Ergo: Innerhalb dieser Norm entscheiden dann die verschiedenen
Umwelteinflüsse, in welcher Weise die vom Erbmaterial ausgehenden
Informationen im Einzelfall verwirklicht werden. Es besteht eine ständige
Wechselwirkung von Umwelt und Erbgut. Rituale der Konfliktlösung
werden dabei gerade in der Zeit der sensiblen Phase (3.-12. Woche) der
Jugendentwicklung gelernt - die Voraussetzung für dieses soziale
Lernen sind für eine normale Welpen- und Junghundeentwicklung
obligatorisch.
Theorie des Droh- und Kampfverhaltens
heute
Das einfachste Mittel einen Konflikt zu lösen, wäre
der Kampf mit dem Konkurrenten. Unter Artgenossen sind auch bei
Haushunden Kommentkämpfe (Kämpfe mit Turniercharakter, die nicht
beschädigen) vorherrschend. So treten keine Verletzungen auf. In der
klassischen Ethologie wurde die Seltenheit von Beschädigungskämpfen
gruppenselektionistisch im Sinne eines Arterhaltungsprinzipes
gedeutet. Die eigentliche Verletzung oder Tötung eines Artgenossen
wurde als Unfall oder krankhafte Abweichung gesehen. Heute wird die
Evolution von Kampfverhalten und das Vorherrschen von Kommentkämpfen
allein unter Annahme einer Individualselektion erklärt:
Gruppenselektionistische Erklärung der Evolution von Kommentkämpfen
Man denke sich als Gruppen, in denen alle Mitglieder Kommentkämpfer
sind, die dann mit solchen konkurrieren, in den Beschädigungsbeissen
vorherrscht.
Es ist plausibel, dass sich die Kommentkämpfer durchsetzen werden.
Diese Überlegungen jedoch vernachlässigen das Auftreten von
Mutationen. Maynard Smith et al. (1974) betonen, dass immer dann, wenn
in einer Population, in der alle Mitglieder eine der
Verhaltensstrategien zeigen (z.B. Kommentkämpfer sind) und die
jeweils andere Strategie als Mutante auftritt (z.B. Beschädigungskämpfer),
sich diese Mutante schnell durchsetzt. Es entsteht eine
Mischpopulation, bei den Mutanten kommen in einem bestimmten Häufigkeitsverhältnis
vor, eine evolutionsstabile Strategie entsteht.
Quintessenz dieser spieltheoretischen Überlegungen ist jedes
Individuum ist auf eine bestimmte Kampfstrategie festgelegt, und diese
wird sich über den Kampferfolg in der
Fortpflanzungswahrscheinlichkeit niederschlagen, so dass die
erfolgreichere Strategie in der nächsten Generation von mehr
Individuen gezeigt wird als in dieser Generation.
Die Kontrahenten haben während einer Auseinandersetzung stets die Möglichkeit,
dass es zur Eskalation kommt. Und in diesem Punkt müssen sie sich
entscheiden, abhängig von 3 Faktoren:
A) von dem Nutzen den die Ressource für sie hat
B) von den Gewinnchancen
C) von den möglichen Kosten, etwa durch Energieverbrauch und
Verletzungen.
In dieser Kosten/Nutzen-Analyse müssen die Gewinnchancen wie möglichen
Kosten auf einer Einschätzung des Gegners basieren. Da die meisten
Auseinandersetzungen mit Drohsignalen beginnen und oft auch nur durch
Drohungen entschieden werden, muss die Gegnereinschätzung zunächst
auf seinen Drohsignalen beruhen. Sie können Anzeiger seiner
Kampfkraft als auch seiner Kampf- bzw. Eskalationsbereitschaft sein.
Dieses gilt explizit für Hunde. Basiswissen ihrer Verhaltensbiologie
ist eine Voraussetzung, um Aussagen über ihre "Gefährlichkeit"
machen zu können.
Inwieweit ist nun zu erwarten, dass die Motivation oder die
Bereitschaft zu kämpfen aufgrund der Drohsignale eingeschätzt werden
kann? Der "Zermürbungskrieg" oder das "Durchhaltevermögen"
wird von Wölfen wie Hunden im Zuge von Rivalitäten ständig
praktiziert. Dabei besteht die Möglichkeit, dass zwei Rivalen die
gleiche Kampfkraft besitzen und ausschliesslich Drohsignale zeigen.
Eskaliert der Konflikt nicht, können die Tiere immer nur weiter
drohen und die Entscheidung darüber, wer das Streitobjekt erhält, fällt
dadurch, dass einer der beiden schlicht aufgibt. Wer länger durchhält,
gewinnt also. Eines der Ergebnisse dieses Modells besagt, dass es
nachteilig ist, dem Gegner die eigene Durchhaltebereitschaft
anzuzeigen, weil so eigene Chancen verringert werden.
Der Rivale kann dann seine eigene Durchhaltebereitschaft steigern und
den Kampf gewinnen. Demnach hätte die Evolution zu Drohsignalen führen
müssen, die in ihrer Form konstant, also von typischer Intensität
sind und dem Empfänger keine Informationen über das weitere Vorgehen
des Senders geben. Dennoch sind gerade die Drohsignale bei Wölfen
sehr ausgeprägt differenziert.
Starke Konflikte eskalieren, indem sie durch Beißen ausgetragen
werden (Ernstkämpfe). Diese werden häufig den Kommentkämpfen gegenübergestellt.
Tatsächlich scheint es keinen sprunghaften Wechsel vom Komment- zum
Ernstkampf zu geben, sondern eine abgestufte Steigerung der
Auseinandersetzung. Es resultiert als ein "War of nerves",
bei dem auch Verletzungen auftreten können, die zum sofortigen Rückzug
des verletzten Tieres führen. Und bei wiederholten Begegnungen mit
individuellem Wiedererkennen kann das ehrliche Signalisieren der
Intention dem Bluffen mit Drohsignalen stereotyper Intensität überlegen
sein. Deshalb gibt es bei Wölfen und Haushunden sowohl graduierte
Signale, als auch eine stereotype Mimik mit schnellem Zubeissen, je
nachdem, wie es die Situation erfordert.
Dennoch, es klafft immer noch eine Große Lücke zwischen den oft sehr
simplen Modellen zum Aggressionsverhalten und der weitaus komplexeren
Realität. Wölfe wie Haushunde müssen ja mit der Schwierigkeit
leben, in Gruppen zu kooperieren, in denen jedes Tier gleichzeitig
seinen Ressourcenzugang erreichen muss. Individuen, die auf ein
kooperatives Zusammenleben mit den anderen Gruppenmitgliedern
angewiesen sind, werden also immer wieder auch zu Konkurrenten. Diese
Problematik besteht auch zwischen Hunden und Menschen, die ja
unverzichtbarer Sozialpartner wurden.
Zum auffälligsten Verhalten von Wölfen und Hunden gehört
zweifelsohne das Droh- und Kampfverhalten, die Kompetition (Streit),
die zusammen mit der Kooperation, dem Zusammenarbeiten der Tiere,
Voraussetzung für die Etablierung wie Aufrechterhaltung einer
sozialen Hierarchie ist.
Früher wurde der Wolf als typisches Beispiel dafür beschrieben, dass
Tiere mit besonders gefährlichen Waffen über besonders wirksame
Hemmechanismen zur Verhinderung ernster Verletzungen verfügen. Konrad
Lorenz missdeutete das von Fischel gezeichnete Halsdarbieten eines
Hundes als Demutsgeste und schrieb ihm beißhemmende Wirkung zu, die
den Abbruch des Kampfes bedingt und zur Sicherung des Arterhalts beiträgt.
Dieses ist sicherlich falsch.
Halsdarbieten als Unterwerfungsgeste gibt es nicht bei Hunden, wohl
aber die "aktive" und "passive" Demut, die durch
Lecken der Mundwinkel bzw. Einnehmen der Rückenlage den Aggressor
beschwichtigt. Das Halsdarbieten entsteht, wenn der überlegene Hund
betont wegsieht, ist also ein Imponierausdruck.
Beschädigungskämpfe und auch Tötungen von Artgenossen bei Wölfen
kommen regelmässig vor. Dennoch handelt es sich um relativ seltene
Ereignisse und die meisten Kämpfe bei Wölfen haben einen
ritualisierten Charakter. Viel häufiger als durch kämpferisches Kräftemessen
entscheiden Wölfe ihre Konflikte allein durch Kommunikation. Diese
aggressive Kommunikation hat bei den meisten Haushunden abgenommen.
Zusammenhänge mit reduziertem Ausdrucksverhalten aufgrund eines Extérieurs,
welches Signalen jeglichen Ausdruckswert genommen hat, da sie schlicht
nicht mehr sichtbar sind (durch Bewollung, Faltenbildung, starke
Belefzung u.a.) sowie Auswirkungen züchterischer Manipulation des
Aggressionsverhaltens sind wohl ursächlich wirksam. Bei Hunden vom
"Pitbull-Terrier-Typus" eskalieren Konflikte u.U. deshalb
schneller, weil die Kooperationsbereitschaft Artgenossen gegenüber
aufgrund früherer Selektion auf Angriff und Kampf herabgesetzt sein
kann, was zudem eine Kommunikation bezüglich der aggressiven
Motivation oder Intention unterdrückte, weshalb "überraschender"
zugebissen wird.
Unsere Untersuchungen an American Staffordshire Terrier, Bullterriern
und "Pit Bulls" (es handelte sich um Kreuzungen) ergaben
jedoch für die Rassen große Unterschiede innerhalb der untersuchten
Würfe und belegten die große Bedeutung des sozialen wie unbelebten
Umfeldes, somit der Aufzucht- und Haltungsbedingungen für das
Verhalten der Tiere in Konkurrenzsituationen, während die heute auf
Angriffsbereitschaft und Kampf selektierten Kreuzungstiere als
verhaltensgestört zu bezeichnen waren, bedingt durch genetische
Defekte wie eine extrem hundewidrige Aufzucht (frühe Isolierung,
Konditionierung bereits der Welpen auf Kampfverhalten). Diese
verhaltensgestörten Hunde konnten einmalig analysiert werden, sie
wurden im "Milieu" gezüchtet und konditioniert - und
stellen ein soziologisches Problem dar. Andere Hunde der Rassen vom
"Pitbull-Terrier-Typus" zeigten zwar weniger langandauernde
aggressive Kommunikation, waren jedoch keineswegs gefährlicher bei
guter Sozialisation an Menschen und Artgenossen.
Wölfe ( und - mit Abstrichen - Haushunde) verfügen somit über zwei
Verhaltenscharakteristika, die seit ca. zwanzig Jahren heftig
diskutiert werden: Sie kämpfen meist gehemmt, die Kämpfe eskalieren
selten zum Beschädigungskampf.
Sie zeigen intensitätsabgestufte Drohsignale (anstatt nur ein
Drohsignal stereotyper Intensität einzusetzen) Wie werden diese
Strategien bei der Regulation konkreter Konflikte wirksam? Die
Sozialstruktur der Wölfe (und in weit größerem Ausmaß diejenige
der Hunde) weist eine erhebliche Variabilität auf: Wölfe leben
allein oder zu zweit, zumeist in Gruppen von 5-8 Mitgliedern, mit mehr
als zwei adulten Tieren. Ein Rudel kann bis 36 Tiere umfassen. Rudel
stellen m.o.w ausgedehnte Familienverbände dar, eine soziogenetische
Einheit.
Die Kooperation bezieht sich auf die Aufzucht von Jungtieren durch
heranwachsende oder bereits geschlechtsreife Jungtiere. Auch die Jagd
erfordert eine Zusammenarbeit, die bei Wölfen sehr differenziert und
durch subtile Aufgabenverteilungen gekennzeichnet sein kann. In beiden
Bereichen sind die Partner gleichzeitig auch Konkurrenten, denn überwiegend
zieht nur ein Weibchen erfolgreich Junge auf und um Nahrung wird
ebenfalls konkurriert.
Bei Nahrungsmangel und in der Fortpflanzungszeit kommt es zu einem
Anstieg der Häufigkeit von Droh- und Kampfverhalten. Dann wird
asymetrisches Verhalten zwischen jeweils zwei Tieren die Regel:
Zwischen ihnen besteht eine Dominanz-Subdominanz-Beziehung. Alle
Beziehungen der Tiere untereinander ergeben in ihrer Gesamtheit eine
Rangordnung . Ranghohe Tiere können in Situationen der
Nahrungsknappheit zuerst und am meisten fressen und zumeist pflanzen
sich nur ranghöchstes Männchen und Weibchen fort.
Rangniedere Rudeltiere werden von den Alpha Tieren an der
Fortpflanzung gehindert. Rangniedere Weibchen zeigen i.d.R. einen
normalen Östruszyklus mit Ovulation, so dass die ausbleibende
Reproduktion durch eine Hinderung an der Kopulation erfolgt.
Es gibt bei Wölfen unterschiedliche Strategien der Unterdrückung des
Sozialverhaltens gleichgeschlechtlicher Rudelmitglieder für beide
Geschlechter:
Männchen intervenieren in der Fortpflanzungszeit bei allen sexuellen
Interaktionen zwischen Alpha-Weibchen und anderen Männchen und
trennen diese; das Verhalten des Alpha Weibchens dagegen hat eher den
Charakter "unprovozierter Feindseligkeit". Das
Alpha-Weibchen zeigt allen Weibchen gegenüber, sowohl in der
Fortpflanzungszeit als auch davor und danach, dominantes
Ausdrucksverhalten, das weitgehend von sexuellen Interaktionen unabhängig
ist und "unterdrückt"
ihre Konkurrentinnen so. Es wird jedoch bei beiden Geschlechtern meist
rein ritualisiert gekämpft, selten beschädigend.
Gewinner und Sieger stehen von vornherein fest: die Alpha Tiere setzen
sich immer durch. Allerdings können Dominanzbeziehungen auch in Frage
gestellt werden und bei Auseinandersetzungen um die höchste
Rangposition, und damit um die Möglichkeit zur Fortpflanzung
resultieren regelmäßig Beschädigungskämpfe.
Im Rahmen von Konkurrenz (auch im Zusammenhang mit Nahrungskonkurrenz)
setzen Wölfe also Drohungen ein, und sie kämpfen, gelegentlich auch
ungehemmt mit der Folge schwerwiegender (tödlicher ) Verletzungen. Ähnliche
Entwicklungen gibt es auch bei Hunden, die einen hohen sozialen Status
innerhalb einer Gruppe, so der Familie, innehaben. Von etlichen
Menschen wird diese gefährliche Problematik gar nicht oder doch viel
zu spät registriert. In jedem Konflikt stehen die Tiere dabei
vor dem Problem, dass sie zur Durchsetzung ihrer Interessen, ihre
Opponenten sowohl als Kontrahenten als auch Partner betrachten müssen.
Natürlich ist nicht gemeint, dass Wölfe und Hunde über
Kosten-Nutzen-Bilanzen reflektieren, vielmehr ist ihre
Verhaltenssteuerung auf diese Ambivalenz ausgerichtet.
Daraus ergeben sich folgende Fragen:
Wie wirkt sich diese Ambivalenz von Konkurrenz und Kooperation auf das
Droh- und
Kampfverhalten aus? Wie ist der Zusammenhang zwischen Droh- und
Kampfverhalten und Dominanz? Welche Funktion hat Drohen in
ritualisierten Kämpfen, wenn sie zwischen Tieren mit
etablierten Dominanzbeziehungen stattfinden und kein
aktueller Ressourcenzugang resultiert?
Entwicklung des Droh- und Kampfverhaltens bei Wölfen und Haushunden
Erfahrungen haben für das Verhalten eines Tieres in einer
Auseinandersetzung große Bedeutung. So müssen Welpen die Bedeutung
der Signale, gerade die der Aggressiven Kommunikation erst lernen.
Durch die Konsequenz der Missachtung empfangener Drohsignale aber auch
durch die auf eigenes Beissen folgende Reaktion eines Geschwisters in
Form von Zurückbeissens und Drohen wird wohl die Funktion von
Drohgesichtern immer genauer gespeichert.
Hier gibt es nicht nur selten ein Manko in der Hundezucht: Individuen
bestimmter
Rassezugehörigkeit, z. B. Bullterrier, werden "isoliert
zusammen" gehalten, in kleinen Drahtkäfigen, und dieses über
vier bis acht Stunden nach eigenen Beobachtungen. Sie werden auch als
Welpen viel zu früh abgesperrt, voneinander und der Mutterhündin
getrennt, wenn sich Auseinandersetzungen anzubahnen beginnen.
So ist nicht erstaunlich, wenn derart restriktiv aufgewachsene und in
kleinen "Transportkäfigen", die allein den Sichtkontakt zum
Gruppenmitglied erlauben und jegliche Interaktion verhindern,
gehaltene Individuen einer Rasse, der nach einigen Landesverordnungen
"Kampfhundeeigenschaften" zugesprochen wird, ihrem Ruf
gerecht werden. Allerdings sind es hier, wie in aller Mehrzahl der Fälle,
tierschutzrelevante Haltungsbedingungen, die der ausgeprägten Unverträglichkeit
der Hunde untereinander ursächlich zugrunde liegen. Soziales Lernen
wird so gar nicht ermöglicht.
Im sozialen Bereich kommt den Sozialspielen eine Bedeutung zu, deren
großer Umfang erst im letzten Jahrzehnt erkannt wurde: Sie
bezieht sich auf den Prozess der Sozialisation, auf die Entwicklung
und Verbesserung sozialer Kommunikaton, auf die Kontrolle der eigenen
Aggression, auf die Entwicklung sozialer Bindungen und das Einüben
"sozialer Rollen" in den sehr fein strukturierten sozialen
Organisationsformen der Wölfe und Hunde. Sozialspiele gibt es bei
Adulten, um Aggressionen umzulenken. Obligatorisch sind Spielsignale,
die metakommunikativ ankündigen:"what follows is play"
(Bekoff, 1984)
Besonders bei sozial lebenden Tieren ist es bedeutsam, eine
Vorinformation über die
voraussichtliche Verhaltensweise eines anderen zu haben. Intentionen
(Stimmungsbewegungen, die die Verhaltensabsicht kommunizieren,
sozio-kommunikative Signale) Diese Signale fehlen bei etlichen Hunden,
weil ihr Einsatz schlicht nicht gelernt werden konnte. Ihr Fehlen
vergrößert das Risiko einer Eskalation der Auseinandersetzung
zwischen Hunden ganz beträchtlich.
Entwicklung von Dominanzbeziehungen
Dominanz ist eine Eigenschaft von Beziehungen und nicht von
Individuen, ein Fakt, der immer wieder fehlinterpretiert wird. Auch
die Bestimmungkriterien und Definition von Dominanz sind umstritten.
Dominanz wird unterschieden nach:
1. der Häufigkeit von Angriffen in einer Gruppe
2. der Häufigkeitsverteilung von aktiver und passiver Unterwerfung,
also von
Signalen der Unterwürfigkeit
3. dem Gewinn einer Futterressource oder anderen Ressourcen,
4. dem Ausdruckverhalten
Punkt 1
erweist sich für Wölfe und Hunde als untauglich, da in bestimmten
sozialen Situationen die subdominanten Tiere häufiger die dominanten
Tiere angreifen als umgekehrt.
Punkt 2
betrachtet nur das Verhalten der subdominanten Tiere und erlaubt damit
auch nur begrenzte Aussagen.
Punkt 3 + 4
führen zu einem Zirkelschluss: Wenn die Funktion der Dominanz im
bevorzugten
Ressourcenzugang gesehen wird, kann dieser nicht selbst zum
Bestimmungskriterium werden. Wenn also das Tier, das den Knochen
gewinnt, als dominant bezeichnet wird, so kann die Antwort auf die
Frage auf welche Weise dieser Gewinn erreicht wird, nicht mehr
"Dominanz" lauten. Ähnliches gilt dann für das
Ausdrucksverhalten, wenn eine Aussage über den Zusammenhang von
Dominanz und den Einsatz von Signalen in der Kommunikation angestrebt
wird.
Dominanz bedeutet, dass in einer Zweierbeziehung A regelmäßig die
Freiheit von B einschränkt bzw. sich selbst ein hohes Maß an
Freiheit zugesteht, ohne dass B effektiv etwas dagegen tut, sondern B
akzeptiert seine Einschränkungen.
Dominanz bezeichnet also eine Regelhaftigkeit in einer dyadischen
Beziehung. Sie ist dann gegeben, wenn A bestimmte Verhaltensweisen
gegenüber B häufiger zeigt, als zufällig zu erwarten wäre. Dabei
handelt es sich um Verhaltensweisen, die die Verhaltensmöglichkeiten,
insbesondere die Bewegungsfreiheit, von B einschränken. A reagiert
dabei auf das Verhalten von B, ohne durch dessen Verhalten eingeschränkt
zu werden. B duldet die Einschränkung ohne deutliche oder effektive
Gegenwehr. Tatsächlich ist Dominanz wesentlich vom Verhalten B's abhängig,
da dessen Reaktion die Effektivität der Verhaltensweisen von A
bestimmt. Dominanz ist andererseits die von B akzeptierte
Verhaltensfreiheit von A, z.B. die Freiheit, B's Individualdistanz zu
missachten oder diesen zu verprügeln etc.
Als Kennzeichen für Dominanz gelten alle Häufigkeiten von
Verhaltensereignissen, denen Hund A Hund B einschränkt oder A sich
frei gegen B verhält.
Folgende Verhaltensweisen werden als dominantes Verhalten
zusammengefasst:
Wegverstellen, "Blickfixieren" oder "Festhalten",
Bewegungskontrolle,
Runterdrücken. In die Ecke drängen, Zwicken, Verprügeln
(gehemmtes Beschädigungsbeissen), Verdrängen. Über die Schnauze
Beissen und Queraufreiten stellen zwar keine deutliche Einschränkung
dar, sind aber durch klare Duldung des Rezipienten gekennzeichnet
(=dominanzanzeigendes Verhalten)
Aktive und passive Unterwerfung als Ausdruck der Akzeptanz und
Subdominanz.
Körperhaltungen wie "high posture" und "low
posture" gelten als deutliche
Anzeiger für Dominanz. Für alle Ereignisse gilt, dass nur
"erfolgreiches"
Verhalten von A gezählt wird, d.h. B. zeigt keine oder keine
effektive Gegenwehr. Diese Dominanzparameter müssen nicht für sämtliche
Interaktionen
zweier Tiere (Dyaden) nachweisbar sein, in jeder dyadischen Beziehung
aber,
in der ein Dominanzverhältnis etabliert wurde, müssen die gelisteten
Verhaltensweisen absolut undirektional sein.
So kann es sein, dass zwischen zwei Tieren kaum Interaktionen
stattfinden, weil beide durch ein drittes in ihrer Bewegungsfreiheit
weitgehend eingeschränkt sind. Aus den Dominanzbeziehungen wird dann
auf die Rangordnung oder Hierarchie rückgeschlossen. Es handelt sich
dabei um die Gesamtheit aller Dominanzbeziehungen. Rangordnungen können
grundsätzlich verschieden sein.
Betrachtet man beispielhaft eine Gruppe von drei Tieren, so sind drei
prinzipielle Rangordnungen denkbar: Wenn das Individuum A über B
dominant ist und B über C, C aber seinerseits A dominiert, so liegt
eine Dreiecksbeziehung vor (circulare Rangordnung). Gibt es keine
solche Dreiecksbeziehung, so nennt man eine Rangordnung transitiv.
Dies wiederum ist zu unterscheiden in die pyramidale Form, bei der A
über B und C dominiert und die lineare Form A über B und C und
ausserdem B über C.
Drohdauer und Hemmdauer
Drohungen, die in ihrer Wirkung effektiv sind, hemmen
den Empfänger in seinem Verhalten. Besteht dieses Verhalten in einer
Annäherung, so besteht die Hemmung darin, dass der Signalempfänger
stehen bleibt oder, allgemeiner formuliert, in seinem Bewegungsablauf
verharrt. Dieses wird besonders deutlich, wenn die Dominanzbeziehungen
instabil ist oder wenn das subdominante Tier regelmäßig von dem
dominanten verprügelt wird. In beiden Fällen könnte das
Eskalationsrisiko ein wichtiger Faktor für die relativ langen
Drohungen und Hemmdauern sein.
Drohungen nach einer Eskalation sind regelmäßig länger als vorher.
Erfahrungen spielen also eine Rolle. Haushunde zeigen prinzipiell wölfisches
Verhalten, die große Variabilität bezieht sich auf Besonderheiten
des Zusammenlebens mit Menschen wie untereinander
(domestikationsbedingte Änderungen) und Rassebesonderheiten
(Schutzhunde, Wachhunde, Hunde mit Verhaltensauffälligkeiten, die
sich auf eine frühere Zuchtauswahl auf Kampfbereitschaft zurückführen
lassen, Jagdhunde u.a.) aus dem Bereich des Aggressionsverhaltens.
Folgerungen aus den Biologischen Fakten zum Droh und Kampfverhalten
von Wölfen und Haushunden
Die aufgeführten Gesetzmäßigkeiten für das Auftreten von Droh-
und Kampfverhalten sind tief in jedem Haushund verwurzelt - und sie
sollten bekannt sein, da so die Genese von Zwischenfällen verständlicher
und damit vielfach vermeidbar wird. Es ist nicht immer leicht
hinzunehmen, daß die Mehrzahl aller durch Hunde verursachten
Verletzungen des Menschen oder von Artgenossen durch ein völlig
normales Hundeverhalten verursacht wurde, vorhersehbar gewesen wäre
und letztendlich durch Fehler oder Wissensmängel des Hundehalters
oder auch des Opfers ausgelöst wurde. Völlig normales Hundeverhalten
muss durch Training im Sinne der Lebensumstände des Menschen
modifiziert werden. Damit werden Belästigungen wie Gefährdungen
durch Hunde verringert oder gar auf ein Minimum reduziert. Mit
Verhaltensstörungen haben hundetypische Beziehungen wie daraus
resultierende Verhaltensweisen nichts zu tun, sie wären dem (den
Menschen) störenden oder auch ihn gefährdenden Verhalten
zuzuordnen. Hunde sind ausserordentlich anpassungsfähig und
lernen gut. Verhaltensregulationen wie z.B. eine klare konsequente
Zuweisung des sozialen Status im familiären Sozialgefüge sind die
beste Gewähr, Unfälle mit Hunden zu vermeiden. Physische Auslastung
der Hunde wie die Möglichkeit, ein soziales Leben zu führen, kommen
hinzu. Der "Therapie" verhaltensauffälliger Hunde, etwa auf
medikamentöser Basis, ist mit größter Sorgfalt und nur mit solidem
ethologischen Basiswissen zu begegnen. Normales Hundeverhalten, das störend
wirkt, bedarf keiner Antidepressiva. Hunde durch Medikamente
"anpassungsfähiger und ruhiger" zu therapieren, entbehrt
der Achtung vor dem Tier. Für Menschen, die den phlegmatischen,
ruhigen Hund wollen, gibt es Stofftiere.
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