An den
Präsidenten des Landtages NRW
Herrn Ulrich Schmidt
Postfach 10 11 43
40002 Düsseldorf
10. April 2002
Sehr geehrter Herr Schmidt,
zum 19. April 2002 bin ich zu einer öffentlichen Anhörung vor den
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz des
Landtages Nordrhein-Westfalen geladen und gleichzeitig um die Abgabe
einer Stellungnahme zum Entwurf eines Hundegesetzes für das Land
Nordrhein-Westlaen gebeten worden. An der Anhörung kann ich leider aus
terminlichen Gründen nicht teilnehmen. Eine detaillierte Stellungnahme
ist von mir ebenfalls nicht zu erwarten und zwar aus zwei Gründen:
1. Das Gesamtkonzept, das diesem Gesetzentwurf zu grunde liegt, halte
ich für so grundlegend falsch, dass ich es bei dieser Aussage belassen
möchte. Es macht wenig Sinn, den verzweifelten Versuch zu unternehmen,
hier und da ein wenig nachbessern zu wollen, wenn die Grundaussage nicht
stimmt, dass sich nämlich die Gefährlichkeit eines Hundes aus seiner
Rassezugehörigkeit bzw. aus seinem Körpergewicht oder seiner
Widerristhöhe ergibt. Ich möchte dies nicht ein weiteres Mal detailliert
darstellen, lege aber diesem Schreiben eine meiner zahlreichen
Veröffentlichungen zu diesem Thema bei.
2. Es ist inzwischen so unübersichtlich viel und gebetsmühlenhaft sich
wiederholend zu dem Problemkreis des "gefährlichen Hundes" geschrieben
und gesagt worden, dass ich es für ausgeschlossen halte, hier noch
irgend eine neue Idee entwickeln oder einbringen zu können. Das einzige,
was mir hierzu noch einfällt, ist der Vorschlag, alles bisher
Geschriebene in Ruhe zu lesen, sachbezogen zu diskutieren und dann einen
zweckdienlichen Entwurf zu erstellen. Jede weitere Stellungnahme, die
immer wieder zu einer Wiederholung vorhergehender Stellungnahmen gerät,
ist verlorene Zeit.
Einige Fragen, die mich nicht nur beschäftigen, sondern irritieren und
vielleicht sogar ängstigen, möchte ich dennoch ansprechen:
Wie ist es möglich, dass sich in einer Zeit, in der wirklich große
Probleme anstehen, Menschen, die Verantwortung für die Gesellschaft
tragen, jahrelang und offenbar unverdrossen mit einem Randproblem
beschäftigen, dass angesichts des täglichen Wahnsinns, der unser Leben
begleitet, überhaupt nicht bemerkt würde, wenn wir es nicht künstlich
bemerkenswert machten? Es möge niemand den Vorwurf erheben, mich ließen
von Hunden getötete Kinder kalt. Aber wir bewegen uns hier in einem
Gefährdungsbereich, der nicht einmal in Promille zu berechnen ist. Wie
wäre es, wenn die durch diese lächerlichen Hundeverordnungen gebundenen
Schaffenspotentiale freigesetzt würden und für den Schutz von Tausenden
misshandelter, missbrauchter und im Straßenverkehr getöteter Kinder
eingesetzt werden könnten?
Wie ist es möglich, dass allen Ernstes Wissenschaftler aufgefordert
werden, zu dem vorliegenden Gesetzentwurf Stellung zu nehmen, der nach
wie vor die Gefährlichkeit eines Hundes an falschen Kriterien fest
macht, obwohl in sämtlichen wissenschaftlichen Gutachten, die Ihnen
vorliegen, dieses als falsch dargestellt und begründet wurde? Weshalb
werden wir gefragt, wenn die Antwort gar nicht interessiert und wenn die
weltweit einhellige Meinung zu dieser Frage keinerlei Entscheidungshilfe
darstellt? Dieser Vorwurf ist nicht die Reaktion eines beleidigten
Menschen, der seine Meinung nicht durchsetzen konnte. Es ist vielmehr
das Entsetzen darüber, mit welcher
Ignoranz Lehrmeinungen bei der Entstehung von Gesetzesvorlagen außer
Acht
gelassen werden.
Wie ist es möglich, dass niemandem auffällt, wie unnötig ein
Landeshundegesetz ist, da das gesetzliche Instrumentarium unseres
Staates ausreicht, um Menschen vor dem gefährlichen Paar Mensch-Hund zu
schützen. Tun wir doch bitte nicht so, als sei diese Gesellschaft
plötzlich vor Hunden zu schützen, denn die Hunde sind noch genau so, wie
wir sie seit Jahrhunderten kennen. Zu schützen ist die Gesellschaft vor
dem völlig
durchgeknallten Menschentyp, der seinen Hund zum Killer deformiert hat.
Ein "Hundegesetz" brauchen wir nur dann, wenn wir weiterhin am
eigentlichen Problem vorbei arbeiten wollen, wenn wir den normalen
Hundehalter kriminalisieren wollen und wenn wir Hunderassen oder
Hundetypen diskriminieren wollen.
Wie ist es möglich, dass zur Verteidigung dieses Gesetzentwurfes
argumentiert wird, es sei nicht richtig, dass ein Hund erst beissen
müsse, um seine Gefährlichkeit zu zeigen. Ja, wie denn anders? Wenn er
nicht beisst, ist er auch nicht gefährlich. Im übrigen ist
vernünftigerweise gerade dieser Grundsatz die Basis sämtlicher
Bestrafungen in unserem Staat:
Ein Mörder muss erst morden, um als Mörder wahrgenommen zu werden und
ein Vergewaltiger muss erst vergewaltigen, um als Vergewaltiger erkannt
zu werden. Käme den verantwortlichen Politikern der Vorschlag, alle
Männer hinter Gitter zu bringen, nur weil sie potentielle Vergewaltiger
sind, nicht auch etwas absonderlich vor?
Im übrigen stellt sich die Situation im Falle des Hundes als Verursacher
von Unfällen noch differenzierter dar, als dies beim menschlichen
Kriminellen der Fall ist: Natürlich stellt ein Hund ein grundsätzliches
Gefahrenpotential dar, denn er hat Zähne. Gleiches gilt aber auch für
das Auto, denn es besitzt einen Kraftmotor und gleichermaßen für das
Küchenmesser, denn es weist eine scharfe Klinge auf. Alle drei
Werkzeuge, und der Hund ist ein solches, werden aber erst gefährlich,
wenn der eigentliche Täter, nämlich der Mensch, sie zweckentfremdet
verwendet und ihr Gefahrenpotential missbraucht. Wir werden also
begreifen müssen, dass wir uns zur Abwendung von Gefahren für den
Menschen viel mehr auf den Hundepartner "Mensch" zu fokussieren haben,
als auf den Menschenpartner "Hund".
Im übrigen ist die Behauptung, dass ein Hund erst getötet oder schwer
verletzt haben müsse, um als gefährlich ausgemacht zu werden, in den
weitaus meisten Fällen falsch, denn Recherchen zeigen immer wieder, dass
ein Hund nicht von einem Moment zum anderen vom lieben Streicheltier zur
tötenden Bestie mutiert. Schwere Unfälle mit Hunden haben in der Regel
eine Vorgeschichte. Ich hielte es aus diesem Grunde für extrem wirksam
im Sinne einer Schadensvermeidung, wenn Beamte der Ordnungsämter sich
zukünftig an den Treffpunkten zweifelhafter Mensch-Hund-Paare umsähen,
statt ganz normale, aber große, schwere oder bestimmten Rassen
zugehörige Hunde zu verwalten. Derartige Treffpunkte gibt es in allen
größeren Kommunen. Mit Ausnahme der Ordnungsämtler kennt sie jeder
Bürger.
Wie ist es möglich, dass ein Landtagsausschuss, in dessen Zuständigkeit
auch der Tierschutz gehört, einen Gesetzentwurf vorlegt, der ohne
Zweifel tierschutzrelevante Massnahmen enthält? Wie, frage ich mich, nun
nicht mehr nur ängstlich, sondern voller Angst, mag es wohl in anderen
Sparten der Politik zugehen, von denen ich nichts verstehe; und das sind
die meisten? Sind etwa die aufgestellten Spielregeln, nach denen mein
Leben in der Gesellschaft abläuft, ausnahmslos durch Ignoranz und
Sinnlosigkeit gekennzeichnet?
Wie ist es möglich, dass sich niemand auf die einfachsten und
realisierbaren Wege besinnt, um die Gefahr, die für Menschen von Hunden
ausgehen kann, zu minimieren? Hierzu gehörte ein recht unkompliziertes
Instrumentarium, nämlich
- die Kennzeichnungspflicht für sämtliche Hunde,
- die Haftpflichtversicherung für sämtliche Hunde,
- der Sachkundenachweis für Hundehalter
- das frühe Einschreiten der Ordnungsämter bei relevanten
Auffälligkeiten
und schließlich im Falle des schweren oder gar tötlichen Unfalles
- das Töten des Tieres
- eine Freiheitsstrafe für den Halter, denn bezahlen kann er in der
Regel ohnehin nicht und
- ein lebenslanges Haltungsverbot für Hunde.
Natürlich wird es auch mit diesen Massnahmen nicht gelingen, jedes
Unglückabzuwenden. Es ist aber unschwer vorhersagbar, dass die
Wirksamkeit im
Gegensatz zu dem vorliegenden Gesetzentwurf um ein Vielfaches
erfolgversprechender sein wird.
Das Land Nordrhein-Westfalen war mit seiner alten
"Gefahr-Hunde-Verordnung"
beispielhaft und führend , wenn man im Kanon der Hundeverordnungen der
Länder eine Scala mit einer Graduierung von "angemessen und vernünftig"
bis "unangemessen und unvernünftig" angelegt hätte. Nun führt es wieder,
aber jetzt von der hinteren Seite!
Das Bemühen, die Bürger vor gefährlichen Hunden zu schützen, ist
inzwischen zu einem durch und durch peinlichen Selbstläufer degradiert
worden. Mit diesem Gesetzentwurf ist es gelungen, ein an sich ernstes
Problem ins Lächerliche umzukehren. Und das ist der Sache sicher nicht
dienlich. Ich besitze genügend politische Erfahrung, um zu wissen, dass
diese momentane Schieflage nicht mit einem Handstreich in vernünftige
Bahnen gelenkt werden kann. Es sollte aber um der Sache willen unser
aller Bestreben sein, in vert retbaren Schritten zu einem Weg zurück zu
kehren, der realisierbar und dem Problem angemessen ist. Ich werde mich
sehr freuen, wenn ich dem Landtagsausschuss bei dieser sicher nicht
leichten Aufgabe helfen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Helga Eichelberg
Hier als Original Dokument
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