Gutachten zum Maulkorb - und Leinenzwang

Für den Internationalen Gerichtshof für Tierrechte,
Case postale 1668, CH-1820 Montreux / Suisse

Die Landeshundeverordnungen sehen für viele Rassen einen pauschalen Maulkorb- und Leinenzwang vor. Mit solch einer Verordnung werden den Hunden, die in einer Rassenlisten aufgeführt werden, Leiden zugeführt. 

Der Maulkorbzwang beeinflusst zwei elementare Bereiche verhaltensbiologischer Merkmale bei Hunden (Canis lupus f. familiaris):

1. Die hundische Diziplinierung 
2. Die Kommunikation mittels der Mimik und dem Ausdrucksverhalten.

Hundische Diziplinierung

Bei Hunden ist das Greifen mit dem eigenen Maul über das Maul des Artgenossen einer der stärksten Disziplinierungsformen, die es unter den Hunden gibt. Durch den Maulkorb wird vom Hund gerade diese Disziplinierungsform wahrgenommen. Wenn Hunde aber selbst für ein richtiges Verhalten ständig diszipliniert werden, so werden die Verhaltensbedürfnisse unbefriedigt bleiben, da die Anpassungsfähigkeit des Tieres ständig überfordert wird (weil vom Tier nicht mehr unterscheiden werden kann, was richtig oder falsch ist), auf diese Weise werden Ziele und Funktionen des Verhaltens immer wieder entkoppelt. Hunde werden dadurch inadäquad aggressiv. Für Hunde, die ständig einen Maulkorb tragen müssen, entfallen die Möglichkeit, ihre angeborener  Verhaltens - weisen ausführen zu können, was auf Dauer nicht ungefährlich ist, da so Aggressivität aus Frustration entsteht und sich über längere Zeit auch Verhaltensfehlentwicklungen entwickeln können, die durch eine "Therapie" oder durch eine entsprechende Konditionierung nicht mehr oder nur schwer beheben lassen.

Kommunikation mittels der Mimik und dem Ausdrucksverhalten

Der Maulkorb schränkt die hundische Kommunikation über die Mimik so sehr ein, dass es unter den Hunden zu Missverständnissen und Verhaltensstörungen kommen wird, da eine ungestörte Kommunikation, welche für die soziale Entwicklung und für den Sozialfrieden zwischen den Hunden lebenswichtig ist, nicht aufrecht erhalten werden kann. Hunde kommunizieren zu einem großen Teil durch Mimik und Körpergesten, also einer Körpersprache. Diese Missverständnisse entstehen, weil aus bestimmten Situationen heraus einzelne bekannte Signale (hier die Gesichtsmimik) nicht mehr erkannt werden, da der gezielte Bereich durch den Maulkorb abgedeckt wird. Es werden nur noch die Körpergesten isoliert gesehen. Nun verfügen Hunde über einen reichen Umfang an Ausdrucksmöglichkeiten, wobei die einzelnen Signale (Gesichtsmimik und Körperhaltung) sehr vielseitig kombiniert werden und so etwas wie eine Sprache bilden. Hieraus entsteht ein weites Feld des hundischen Ausdrucksverhalten. Hunde, die nicht richtig kommunizieren können, erleiden seelische Schäden und verkümmern, so dass sie sich nicht mehr artgerecht entwickeln können.

Kennzeichnend für die Übermittlung einer bestimmten Motivation ist stets der Gesamtausdruck, resultierend aus allen mimischen Kommunikationsformen. Je mehr Signale vorhanden sind , desto differenzierter ist auch das Ausdrucksverhalten und desto weniger Probleme gibt es unter den Hunden. Der Maulkorb schränkt das ohnehin schon reduzierte Ausdrucksverhalten bei einigen Rassen noch weiter ein. Die einzelnen Verhaltensnormen als Ausdrucksverhalten können nie isoliert gesehen werden, sondern werden ständig kombiniert. Auf dieser Weise wird vom Hund eine differenzierte Aussage an seine Umwelt mitgeteilt. Müssen Hunde den Sozialkontakt entbehren, weil sie einen Maulkorb oder immer an einer Leine geführt werden, so kommt es zur Genese von Deprivations - schäden (Verhaltensstörungen durch sozialen Erfahrungsentzug). Dieses wurde für Hunde nachgewiesen.
(FEDDERSEN-PETERSEN & OHL, 1995).

Zwar sehen unter bestimmten Voraussetzung die Hundeverordnungen für Hunde der Rassenliste eine Maulkorbbefreiung vor, wenn diese unter anderem einen Wesenstest durchlaufen haben. Problematisch sehe ich , wer solch eine Fachkompetenz inne hat, diese überhaupt durchführen zu können, wenn man bedenkt, welche komplexen Abläufe bei einer Wesensüberprüfung mitspielen
und zu beachten sind.

Wesensüberprüfung

Ebenso wie bei uns Menschen kann man bei Hunden eine unterschiedliche Empfindlichkeit für Stress finden. Während einige Individuen sich durch kaum ein Ereignis aus der Ruhe bringen lassen, reagieren andere schon bei sehr kleinen Störungen deutlich ‚gestresst‘, welches sich sehr
unterschiedlich auf das Verhalten des Tieres auswirkt. Hinzu kommt ebenfalls die Stresssymptome des Halters, wenn er sich einer Wesensüberprüfung unterziehen muss. 

Bei einer Wesensüberprüfung sind:
Einfluss von Umweltbedingungen des Hundes, altersabhängige Stress - Empfindlichkeiten sowohl beim Menschen als auch beim Hund, altersbedingte Gedächnisstörungen, Störungen der Sinnesleistungen, die das sog. Normalverhalten des Tieres beeinträchtigen und Fragen zu reduzierten, rassespezifischen Ausdruckssignalen sind zu beachten. Ebenfalls muss dem Hund die Kontrolle von Stress zugestanden werden, d.h. Signale des Hundes, die zeigen, dass er sich überfordert fühlt, sollten keinesfalls ignoriert werden. Stress hat aber vor allem eine angststeigernde Wirkung: Noradrenalin und auch Cortisol bewirken durch ihren stimulierenden Einfluss auf die Amygdala, dass schneller Angstverhalten ausgelöst wird als unter Nicht-Stressbedingungen. Stress bewirkt letztlich nicht nur, dass möglicherweise unwichtigen Reizen eine zu hohe Bedeutung eingeräumt werden, sondern es ist zusätzlich auch möglich, dass diese Informationen emotional viel intensiver erlebt werden, als unter Nicht-Stressbedingungen. Diese Faktoren beeinflussen das Ausdrucksverhalten sowie auch die Reaktionen des Tieres in seiner unmittelbaren Umwelt beträchtlich.

Die mangelnden Kenntnisse einiger Verhaltenstester über diese komplexe Abläufe von Stresssymtome haben dazu geführt, dass einige Tiere unbegründet eingeschläfert wurden, während andere Tiere, die ein inadäquates Aggressionsverhalten vorweisen immer noch – trotz eines
Wesenstestes, frei herumlaufen können und Menschen dadurch gefährdet werden. Die Beurteilung des individuellen Aggressionsverhaltens eines Hundes in bestimmten Situationen ist überaus Zeitaufwendig und setzt fundierte ethologische Kenntnisse beim Verhaltenstester voraus.
Dennoch stellen solche "Beurteilungen" auch jeden Ethologen vor schwer lösbare Probleme.

Tierschutzrelevanz:
Die §§ 1 und 2 des TschG von 1998 weisen besonders auf die Bedeutung ethologischer Erkenntnisse hin, um den art- und rassegemäßen Bedürfnissen der Hunde gerecht zu werden ( "Tierhalternorm" ) . Ein genereller Leinenzwang wie der Maulkorbzwang verstößt gegen diese §§ und kann somit in keiner Weise befürwortet werden. Für Hunde, die auffällig wurden, die gebissen haben, ist er eine nötige, vom Tierschutzgedanken dennoch unbefriedigende Maßnahme. Ein ständig mit Maulkorb und Leine "beschränkter" Hund, wird seine Störungen nicht ablegen, sie vielmehr verstärkt weiter entwickeln.

Jürgen Arndt

Lohmar, den 05.05.2001


Literaturverzeichnis:

ARNDT,J (1998) Kommunikation Zwischen Mensch und Hund.
Ausbildungsleitfaden für Rettungshundeführer.
ARNDT,J (1999) Körpersprache des Hundes. Ausbildungsleitfaden für
Rettungshundeführer.
ARNDT,J (1999): Situationsanalyse und Techniken zur Problemlösung in der Hundeausbildung. In: Der Rettungshund. Arbeitshandbuch für Hundeführer und Ausbilder. RH - Verlag, Lohmar: 6.3.1- 6.3.8. ISBN-Nr.: 3 - 9807052 - 0- X.
FEDDERSEN-PETERSEN, D. (1989) Hundepsychologie, Kosmos Verlag ISBN
3-440-05589-2
FEDDERSEN-PETERSEN, D. (1992) Hunde und Ihre Menschen, Kosmos Verlag ISBN 3-440-05855-7
FEDDERSEN-PETERSEN, D. (1999): Ethologie des Hundes. In: Der Rettungshund. 
Arbeitshandbuch für Hundeführer und Ausbilder. RH - Verlag, Lohmar:
2.2.1.1 - 2.2.1.46. ISBN-Nr.: 3 - 9807052 - 0- X.
FEDDERSEN-PETERSEN, D. und OHL,F (1995) Ausdrucksverhalten beim Hund,
Gustav FischerVerlag ISBN 3-334-60867-0
OHL.F. (1999): Hunde im Stress. In: Der Rettungshund. Arbeitshandbuch für Hundeführer und Ausbilder. RH - Verlag, Lohmar: 3.4.1.1 - 3.4.1.45. ISBN-Nr.: 3 - 9807052 - 0- X.

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