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Niedersächsische Gefahrtierverordnung teilweise nichtig

Die niedersächsische Gefahrtier-Verordnung vom 05. Juli 2000 (GefTVO) ist teilweise nichtig. Diese Entscheidung verkündete heute der 11. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts als Ergebnis seiner mündlichen Verhandlung vom 21. Mai 2001. 

Antragsteller der vier entschiedenen Musterverfahren waren der Halter eines American Staffordshire Terriers, zwei Tierschutzvereine als Betreiber von Tierheimen, in denen sich Hunde der sog. Kategorien 1 und 2 der GefTVO befinden, sowie vier Antragsteller, die Rottweiler-Hunde züchten bzw. halten. Die jeweiligen Antragsteller haben die Verordnung in unterschiedlichem Umfang angegriffen. Ihre Anträge hatten in drei Verfahren teilweise (11 K 2877/00, 11 K 3268/00 und 11 K 4233/00), im zuletzt genannten Verfahren (11 K 4333/00) in vollem Umfang Erfolg.

Die vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Einvernehmen mit dem Niedersächsischen Innenministerium erlassene Gefahrtier-Verordnung definiert die Gefährlichkeit von Hunden in Anknüpfung an deren Zugehörigkeit zu bestimmten Rassen. 

Dabei wird in § 1 die Gefährlichkeit von Hunden einer 

1. Kategorie (Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Pitbull-Terrier mit Kreuzungen) unwiderlegbar vermutet. Für diese Hunde gilt ein striktes Haltungs-, Zucht- und Vermehrungsverbot, lediglich für die bei Erlass der Verordnung vorhandenen Hunde kann eine Ausnahme von dem Haltungsverbot erteilt werden, wenn diese den sog. Wesenstest bestehen, durch ihre Haltung im Einzelfall keine Gefahr für Dritte entsteht und der Hundehalter persönlich geeignet ist sowie über die notwendige Sachkunde verfügt. Bestehen die Hunde den Wesenstest nicht, ist in der Regel ihre Tötung anzuordnen. Auch nach bestandenem Wesenstest müssen sie unfruchtbar gemacht werden und dürfen außerhalb des privaten Bereichs nur mit Maulkorb und angeleint ausgeführt werden. Für Hunde einer

2. Kategorie (Bullmastiff, Dobermann, Dogo Argentino, Fila Brasileiro, Kaukasischer Owtscharka, Mastiff, Mastin Espanol, Mastino Napoletano, Rottweiler, Staffordshire Bullterrier, Tosa-Inu mit Kreuzungen) ist nach § 2 der Verordnung der Nachweis der Ungefährlichkeit in Form des sog. Wesenstests zugelassen. 

Haben diese Hunde den Test bestanden, hat sich ihr Halter als persönlich geeignet und sachkundig erwiesen und besteht durch ihre Haltung auch darüber hinaus keine Gefahr für Dritte, werden sie von dem ansonsten geltenden Maulkorb- und Leinenzwang befreit.

Den gegen die Gültigkeit der Verordnung angeführten formal-rechtlichen Bedenken ist der zuständige Senat ebenso wenig gefolgt wie den Zweifeln, die sich gegen die hinreichende Bestimmtheit einzelner Regelungen richteten; er hat die Verordnungs-Generalklausel des Niedersächsischen Gefahrtierabwehrgesetzes als tragfähige Ermächtigungsgrundlage angesehen.

Insbesondere gehe von den erfassten Hunderassen eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Gestalt des Lebens und der Gesundheit von Menschen und Tieren aus. Hinsichtlich der Hunde der 1. Kategorie werde in der Fachwissenschaft von Zuchtlinien, Defektzuchten und unbiologischen Zuchtauslesen berichtet, die sich durch eine besondere Aggressivität auszeichneten. Dieser Befund reiche aus, um dem gefahrenabwehrenden Verordnungsgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative eine Anknüpfung an die Zugehörigkeit zu den in Rede stehenden Hunderassen zu gestatten. Ein Gleiches gelte im Ausgangspunkt für die Hunde der 2. Kategorie u.a. wegen ihrer Größe, Massigkeit und Beißkraft.

Wie der Verordnungsgeber eine derart gegebene Gefahr abwende, stehe in seinem Ermessen. Dieses Ermessen werde jedoch begrenzt durch die hier betroffenen Freiheitsgrundrechte der Art. 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Grenzen hat der Verordnungsgeber nach Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts in vier Punkten überschritten. Dies führe jedoch nicht zu einer vollständigen, sondern nur zu einer teilweisen Nichtigkeit der GefTVO. In begrenztem Umfang hat sich das Gericht überdies mit einer Feststellung der Rechtswidrigkeit begnügt und Maßstäbe für eine übergangsweise Regelung bis zu einer möglichen Nachbesserung durch den Verordnungsgeber entwickelt.

Die problematische Nichteinbeziehung der gewerbsmäßigen Zucht und Haltung in die GefTVO hat das Oberverwaltungsgericht letztlich unbeanstandet gelassen, weil durch anderweitige Regelungen faktisch ein nahezu vergleichbarer Schutz erreicht werde.

Nicht vereinbar mit höherrangigem Recht sei aber - erstens - das in § 1 Abs. 1 GefTVO für Hunde der 1. Kategorie vorgesehene strikte Haltungs-, Zucht- und Vermehrungsverbot ohne Zulassung eines Nachweises der individuellen Ungefährlichkeit des jeweiligen Hundes. Dieses Verbot sei aus Gründen der Gefahrenabwehr nicht erforderlich, um das angestrebte Ziel eines verbesserten Schutzes vor gefährlichen Hunden zu erreichen. Ein gleichermaßen wirksames, aber milderes Mittel bestehe in einem - gegebenenfalls in Zeitabständen bzw. bei einem Halterwechsel zu wiederholenden - Wesenstest der einzelnen Tiere. 

Entsprechende fachwissenschaftliche Äußerungen lägen vor. Gerade der im Land Niedersachsen entwickelte Test genieße in der Fachwissenschaft große Anerkennung. Auch habe sich nach den bisher vorliegenden Tests nur ein ganz geringer Teil der untersuchten Hunde als unfähig zu sozialem Verhalten erwiesen. Um einen dem anzuerkennenden Regelungsziel des Verordnungsgebers abträglichen, letztlich nicht hinnehmbaren regelungslosen Zustand zu vermeiden, sei jedoch von einer Nichtigerklärung des § 1 Abs. 1 GefTVO abzusehen. Stattdessen sei die Vorschrift lediglich für rechtswidrig zu erklären. 

Sie bleibe bis zu ihrer Ersetzung durch eine rechtlich unbedenkliche Regelung - längstens bis zum 31. Dezember 2001 - vorläufig weiter anwendbar mit der Maßgabe, dass die Vorschriften für vorhandene Hunde - also insbesondere die Regelung über den abzulegenden Wesenstest - Anwendung fänden. Für nichtig zu erklären sei allerdings das Gebot der Unfruchtbarmachung der Hunde, die den Wesenstest bestanden hätten (§ 1 Abs. 4 GefTVO), da eine übergangsweise weitere Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht gerechtfertigt werden könne.

Zweitens liege ein weiterer Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darin, dass Hunde der 1. Kategorie auch dann, wenn sie den Wesenstest bestanden hätten, außerhalb des privaten Bereichs weiterhin ständig einen Maulkorb tragen müssten. Diese Maßnahme könne sich fachwissenschaftlichen Äußerungen zufolge gegebenenfalls sogar aggressionsfördernd auswirken.

 Die betreffende Vorschrift (§ 1 Abs. 6 Satz 2 GefTVO) sei hinsichtlich der Maulkorbpflicht für Hunde mit bestandenem Wesenstest für nichtig zu erklären.

Drittens verstoße die vorgeschriebene Tötung von Hunden der 1. Kategorie, die den Wesenstest nicht bestanden hätten, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil eine derartige Maßnahme für Hunde der 2. Kategorie in derselben Situation nicht vorgesehen sei, diese vielmehr nur einem Maulkorb- und Leinenzwang unterlägen. Obwohl viel dafür spreche, dass die Tötung der betreffenden Tiere im einen wie im anderen Fall geboten sei, sei dem Gericht insoweit eine eigene Regelungsbefugnis versagt. Es könne nur die Tötungsvorschrift für die Hunde der 1. Kategorie (§ 1 Abs. 5 GefTVO) für nichtig erklären. Auch für diese Hunde bleibe aber ein ständiger Maulkorb- und Leinenzwang bestehen (§ 1 Abs. 6 Satz 2 GefTVO).

Viertens sei eine weitere nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung darin zu erblicken, dass der Verordnungsgeber in den Katalog der Hunderassen der 2. Kategorie neben sog. klassischen Kampfhunden von den sog. Schutzhunden nur die Rassen Rottweiler und Dobermann, insbesondere aber nicht die Deutschen Schäferhunde aufgenommen habe. Das vom Verordnungsgeber für seine Regelung angeführte Kriterium der Schadensauffälligkeit treffe nach den dem Gericht vorliegenden sog. Beißstatistiken und wissenschaftlichen Stellungnahmen ebenso für Schäferhunde, aber auch für Doggen und Boxer zu.

Da sich nach dem verfolgten Regelungskonzept hiernach die Erfassung weiterer Schutzhunderassen habe aufdrängen müssen, das Gericht sich jedoch nicht an die Stelle des Verordnungsgebers setzen dürfe, komme wiederum nur in Betracht, die Erfassung der Rassen Dobermann und Rottweiler mit ihren Kreuzungen (§ 2 Abs. 1 i.V.m. Anlage 1 Nrn. 2, 9 und 12 GefTVO) für nichtig zu erklären.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssachen hat das Oberverwaltungsgericht die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht

- Pressestelle -

Lüneburg, 30. Mai 2001

 


 


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