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Newsletter von Maulkorbzwang und den Dogangels

*  Heute mal was schweres - lesen und wirken lassen -  zusammengestellt wurde dies von Kerstin - DANKE - lest und sagt eure Meinung dazu!

 

Ist sehr viel - aber sehr Interessant und .....................

Lest selber.............


Inhalt:
 

 

Seit Jahrzehnten schwelt, besonders in den USA, ein Konflikt darüber, was im Biologieunterricht zu lehren sei, die Theorie der Evolution oder die Entstehung des Lebens und der Arten durch Gott oder beide Sichtweisen nebeneinander. Befürworter der Evolutionstheorie betrachten diese als die einzige zu lehrende vernünftige Erklärung für die Entstehung des Lebens, dagegen bestehen Kreationisten darauf, daß auch die auf die Bibel sich gründende Schöpfungslehre vertretbar sei und gelehrt werden sollte.

Seit rund zwei Jahrzehnten ist dieser Konflikt besonders durch das Erstarken der bekennenden christlichen Bewegung und die Gründungen christlicher Schulen auch in Deutschland aktuell.

Abgesehen von den wissenschaftlichen und theologischen Argumenten für die verschiedenen Ansichten zeigen sich auch unterschiedliche ideologische Tendenzen bei beiden Parteien. Diese äußern sich z. B. darin, daß gelegentlich der Gegenseite deren Irrungen und Verwirrungen angelastet werden, die eigene Geschichte aber völlig unkritisch betrachtet bzw. unterschlagen wird. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen.

Schöpfung, Evolution, traditionell verhärtete Fronten

In einer Fachzeitschrift für den naturkundlichen Schulunterricht werden grobe Fehler und Engstirnigkeit einiger Vertreter des Kreationismus zur Bewertung der Schöpfungslehre im Schulunterricht herangezogen, und die Schöpfungslehre damit als unwissenschaftliche und gefährliche Ideologie, die oft mit politischen Einstellungen gekoppelt sei, gekennzeichnet. 1

Betrachtet man die Geschichte des Kreationismus und die damit verbundenen Gerichtsverfahren in den USA, so ist eine derartige Einstellung vielleicht verständlich. 2 3 Andererseits wurde aber auch die Evolutionstheorie mißbraucht oder falsch verstanden; dennoch, ihre Begründer und die Theorie selbst werden in hohen Ehren gehalten.



 

Ein Evolutionist beschreibt den Mißbrauch der Evolutionstheorie

Stephen J. Gould, überzeugter Evolutionist und erfolgreicher Forscher an der Smithsonian Institution in den USA, macht in seinen Büchern immer wieder auf einige menschliche Probleme aufmerksam: auf den Umgang mit wissenschaftlichen Theorien und Forschungsergebnissen, insbesondere wenn ihre Interpretationen auf den Menschen angewendet werden.

In Kürze: Prominente Wissenschaftler gingen den allgemeinen Ansichten der letzten zwei Jahrhunderte entsprechend davon aus, daß die verschiedenen Menschenrassen verschiedene Stufen der Perfektion einnehmen. Schöpfungslehre und Evolutionstheorie wurden jeweils in unterschiedlicher Weise dieser "allgemein bekannten Tatsache" angepaßt.

Gould stellt eine Reihe von bedeutenden Wissenschaftlern der Vergangenheit und ihre Ansichten zu diesem Punkt vor. So Louis Agassiz, der in der Mitte des 19. Jhd. die Afrikaner als den Weißen unterlegen ansah, und davon ausging, daß Gott die Weißen und Schwarzen als zwei unterschiedliche Spezies erschaffen habe. Zur widernatürlichen Vermischung der Gruppen kam es nach seiner Meinung dadurch, daß sich die jungen weißen Männer durch Mischlingsmädchen, die als Hauspersonal arbeiteten, an den Verkehr mit der dunklen Gruppe gewöhnten. 4

Im Gefolge der Auffassung, die dunkelhäutigen Rassen seien den Europäern unterlegen, kam dann aber auch der Darwinismus den Europäern und Weißen Amerikas, die den Europäer als die überlegene Rasse schlechthin ansahen, nur gelegen. Man ging davon aus, daß eine Entwicklung zum "Höheren", also eine Evolution, alles beherrscht, wodurch Rassenunterschiede und unterschiedliche Wertungen der Rassen verständlich seien.



 

Die Schritte der Evolution sind überall erkennbar und lebendig erhalten

Gould zeigt weiter: Die Embryonalentwicklung sollte nach Haeckel die Schritte der Evolution als eine Rekapitulation wiederholen: vom Zellklumpen zum Urfisch, zum Amphib, Reptil, Ursäuger, Affen und schließlich zum Menschen. Das Kind wieder zeige in seiner geistigen Entwicklung die Phasen der menschlichen Evolution: affenartige Uneinsichtigkeit, primitive Sprache und primitiver Werkzeuggebrauch, einfache intellektuelle und handwerkliche Fähigkeiten und endlich perfekte Reife. Auch die Gesellschaft zeige Evolution, von der primitiven Horde zur hochdifferenzierten Ständegesellschaft.

Die Menschenrassen entsprachen folglich nun verschiedenen Stufen der Evolution, auf der die eine oder andere Rasse stehen geblieben sei, was an ihrem Körperbau wie auch an ihrem Verhalten und ihren geistigen Fähigkeiten ablesbar sei: Affen, Hottentotten, Neger, Asiaten und Europäer, unter diesen wiederum die Germanen, Angelsachsen und eventuell Franzosen als Spitze der Evolution. Haeckel selbst und viele seiner Zeitgenossen vertraten die Ansicht, daß Frauen und Neger auf der geistigen Stufe der Kinder stehen geblieben seien. 5



 

Politik, Populationsgenetik und Evolutionsgedanke verbinden sich in der Praxis

Alfred Binet (1857-1911) entwickelte den Vorläufer des Intelligenztests, um zu zeigen, daß ein direkter Zusammenhang zwischen Schädelform, Schädelvolumen und Intelligenz bestünde. Er ging auch von einer Vererbung dieser Merkmale aus.

Goddard brachte Theorie und Testpraxis Binets zur Zeit des Ersten Weltkrieges nach Amerika, verband sie mit den Mendelschen Gesetzen der Vererbung und entwickelte den Intelligenztest, um damit zu verhindern, daß zu viele Minderintelligente in die USA einwanderten, und um die Vermehrung der Minderintelligenz in der Nation dadurch zu bremsen, daß Minderintelligenten und Schwachsinnigen die Fortpflanzung unmöglich gemacht würde. Er sah dies als eine zwingende Notwendigkeit an, da eine Demokratie ja auf Denkvermögen und Klarsicht des Volkes angewiesen sei, und dumme Menschen nicht die richtige Regierung wählen könnten. Dies klang einsichtig, denn der Darwinismus lehrt, daß nur die Weitergabe der hochwertigsten Erbmerkmale (heute auch als angepaßte Gene bezeichnet) zur Weiterentwicklung führt. Unabsichtlich mißverständlich angelegte Intelligenztests schienen auch zu zeigen, daß Einwanderer aus Ost- und Südeuropa sowie Juden überwiegend von minderer Intelligenz waren. Für diese Charakterisierung wurde der Begriff "moron" verwendet, ein Wort, das eigens dafür aus dem Griechischen neu aufgenommen wurde und sich seitdem in der englischen Sprache eingebürgert hat; so stark war der Einfluß dieser Theorien und ihrer Politik. Die Konsequenz waren Einwanderungsbestimmungen, die die Einwanderungsquote aus Ländern mit "minderwertigen" Rassen begrenzten, und Gesetze, die verhindern sollten, daß geistig zurückgebliebene Menschen Nachkommen in die Welt setzten. 6 Es muß wie Hohn klingen, daß ein weltbekannter Wissenschaftler wie Stephen J. Gould selbst Nachfahre einer dieser "moronen" Rassen ist.

1884 kam ein italienischer Arzt zu dem Schluß, Kriminalität sei das Resultat eines Artrückschlages: Der Mensch habe in seiner Evolution die tierischen Verhaltensformen des Egoismus, der Gewalttätigkeit etc. überwunden, aber primitive Gesellschaften der Wilden sollen diese noch besitzen. Kriminell gewordenen Europäer seien Opfer eines Artrückschlages (Atavismus), der diese sonst verlorenen Merkmale wieder hervorbrachte. Cesare Lombroso fand prompt eine Reihe von körperlichen Merkmalen, die die vermeintliche Primitivität der Kriminellen zeigten. Es sollten aufgrund dieser "wissenschaftlichen Erkenntnisse" Möglichkeiten gefunden werden, Kriminelle zu erkennen, um sie vorbeugend an ihren Untaten zu hindern, bevor sie ein Verbrechen begehen könnten. 7 8

In den USA wurden einige Menschen ohne ihr Wissen sterilisiert, um die Vererbung der minderwertigen Gene zu verhindern. Auch in Schweden wurde dies praktiziert; laut aktuellen Presseberichten findet zur Zeit in Schweden eine Aufarbeitung dieser Praxis statt, die bis 1950 betrieben worden sein soll.

Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland wurde daraus die Politik der Rassenvernichtung und -hygiene, "wissenschaftlich" begründet mit dem Kampf ums Überleben und der Selektion der überlegenen Erbmerkmale (survival of the fittest), wie Darwin es für die Evolution der Lebewesen postuliert hatte.18

Bei der Unterscheidung der Menschen in "primitiv" und "hochentwickelt" war es nicht leicht, sich auf klare Merkmale und einsichtige Theorien zu stützen, es fehlten klare Kriterien. Gould stellt einige Ansätze dar, die heute verkrampft und lächerlich wirken: so war Brinton 1890 z.B. der Ansicht, daß die Rasse, die die meisten Merkmale des Embryonen oder des Kindes hat, am wenigsten weit entwickelt sei. Prompt wurden solche Merkmale auch bei Afrikanern gefunden, die generell schon für "primitiv" gehalten wurden, z.B. die Distanz zwischen Penis und Nabel. Diese Distanz ist bei Kindern relativ klein, aber bei Erwachsenen größer. Auch bei Afrikanern sollte sie nach Untersuchungen dieser Zeit dann angeblich kleiner sein als bei Europäern. Man stützte sich besonders auf die weniger exakt erfaßbare Kultur der Völker, wobei die europäische natürlich als die höchste galt.

Bald kehrten sich die Kriterien um, nicht aber die Schlußfolgerungen. So stellte Bolk 1926 fest, daß der Weiße am höchsten entwickelt sei, weil er körperlich auf der Stufe eines Kindes stehengeblieben sei (genau umgekehrt wie oben). Andere Rassen reifen nach Bolk weiter und werden, wie die Menschenaffen, je nach Entwicklungsstufe weniger lernfähig und mehr "affen-ähnlich".7 9 Die verschiedenen Menschenrassen bleiben dabei nach dieser Vorstellung jeweils auf Stufen der Altersentwicklung der Menschenaffen stehen. (Daß manche Merkmale des erwachsenen Menschen vergleichbar sind mit den "unreifen" Merkmalen von Menschenaffen, ist heute allgemein anerkannt, jedoch unterschiedlich deutbar.)

Tatsächlich fand man, daß erwachsene Weiße schwarzen Kindern ähneln in bezug auf Gebiß, Hautfarbe, Größe des Gesichtsschädels im Verhältnis zu der des Hirnschädels, etc. Die Merkmale, die vorher das Gegenteil bewiesen hatten, waren uninteressant geworden, man machte sich die neuen Erkenntnisse zunutze5 10 und zog dieselben Schlußfolgerungen wie früher aufgrund anderer Merkmale.

Da in der postulierten Evolutionsreihe der Wirbeltiere von den Fischen zu den Säugern das Gehirn an Größe zunimmt, ging man davon aus, daß ein großes Gehirn auch beim Menschen hohe Intelligenz und hohen Entwicklungsstand anzeigen müßte. Bald fand sich die angebliche Bestätigung: Afrikaner haben das kleinste Gehirn, Europäer das größte. Frauenhirne sind kleiner als die der Männer etc.

Heute sind die Methoden, mit denen diese Ergebnisse gefunden wurden, sehr fragwürdig, noch fragwürdiger aber ihre Interpretation. Menschliche Intelligenz, soweit überhaupt zu erfassen, ist nämlich in weiten Grenzen unabhängig von der Gehirnmasse. Innerhalb einer Art läßt die Gehirngröße keine Rückschlüsse auf Intelligenz zu. 11



 

Auch heute beeinflußt der Evolutionsgedanke Menschenbild und Ethik

Wie sieht es nach dem Zweiten Weltkrieg aus? Ein bedeutendes französisches Werk der Zoologie12 zeigt die Formen des Unterkiefers der Primaten im Vergleich: unten der Schimpansenkiefer mit fliehendem Kinn und mächtigen Schneidezähnen, darüber folgen Kiefer mit zunehmender Kinnausprägung und kleiner werdenden Schneidezähnen: Kiefer eines Tasmaniers, eines Negers und schließlich, ganz oben, mit enorm vorragendem Kinn, der Unterkiefer eines Franzosen, der sich in Kinn und Schneidezähnen am stärksten von dem eines Schimpansen unterscheidet. Es fällt schwer, hier nicht das Gefühl zu bekommen, daß es sich um eine aufsteigende evolutionäre Reihe handelt - dabei hätte schon eine andere Reihenfolge oder die Auswahl von weniger extremen Beispielen dies verhindert.

1962 stellte Carleton Coon die Theorie auf, daß sich fünf menschliche Rassen unabhängig voneinander aus Homo erectus entwickelt hätten, mit den jeweiligen Charakteristika der Verhaltenstypen, die er in den Rassen zu erkennen glaubte. 13

Ardrey (1961, 1976) sieht den Menschen als Nachkommen eines fleischfressenden, aggressiven Primaten, dessen Linie sich von den friedlicheren, sich vegetarisch ernährenden Vormenschen abtrennte und somit die "Raubtier"-Gene für Mord und Totschlag in unsere Zeit hineinträgt.13

Auch Forscher, die dem Darwinismus kritisch gegenüberstanden, aber an eine Evolution durch andere Faktoren als Mutation und Selektion glaubten, sahen in den dunkelhäutigen Rassen Menschen, die sich nicht so weit entwickelt hätten wie die weiße Rasse, und den Affen näher standen. Ein deutscher Kolonial-Offizier ging davon aus, daß durch die Gewohnheit des Stehlens über viele Generationen hinweg, diese Praxis bei Afrikanern erblich bedingt sei.14

Die heutige Soziobiologie (seit ca. 1975) meint im Menschen die Erbanlagen, die auch Verhaltensweisen der Tiere diktieren, erkennen zu können: Überlebens- und Vermehrungsstrategien, die es den Genen eines Einzelnen oder einer Verwandtschaftsgruppe ermöglichen, sich in größtmöglicher Zahl fortzupflanzen.15

In einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift warnt der Primatologe Sommer vor "Moralaposteln", die auf die Widernatürlichkeit der Homosexualität hinweisen, indem er zeigt, daß "alle homosexuellen Praktiken, die es bei Menschen gibt, auch im Tierreich [vorkommen]".16 Er führt als Beispiele aber nur Strategien der Tiere an, die einigen wenigen Tieren einen Fortpflanzungsvorteil verschaffen. Sie kommen gewissermaßen mit einem "Trick" zur Fortpflanzung. Sie tarnen sich durch ihr Verhalten als Weibchen und werden so von einem starken Männchen als solche behandelt und in der Nähe von seinen Weibchen geduldet. Dies nutzen sie, um sich mit den Weibchen zu paaren. Das hat wohl kaum mit der sexuellen Orientierung des Menschen zu tun. Es scheint eher eine gesuchte Rechtfertigung für das erwachende Selbstbewußtsein und das Ringen um Anerkennung der Homosexuellenbewegung zu sein.



 

Ausblick: Mißbrauchte Theorie oder wissenschaftlich verpackte Ideologie?

Es zeigt sich, daß für jede Ideologie wissenschaftliche Kriterien gesucht werden - eine Vorgehensweise, die einem in vielen Bereichen begegnet. Es scheint, daß beim Menschen bevorzugt immer wieder solche Merkmale und Eigenschaften aus der vorausgesetzten Evolution abgeleitet werden, die in der jeweiligen vorherrschenden Denkrichtung der Zeit interessant sind (also gern aufgenommen werden). Es wird also eine Theorie mißbraucht, wie man alles mißbrauchen kann, auch eine Schöpfungslehre. Dabei werden aus dem Zeitgeist heraus Theorien entwickelt, die gesellschaftliche Grundmuster oder Vorurteile stützen. Aus solchen Vorgehensweisen dürfen jedoch keine vorschnellen Schlußfolgerungen über die zugrundeliegenden Theorien gezogen werden; eine differenzierte Betrachtungsweise ist notwendig.

Andererseits darf auch nicht übersehen werden, daß die Evolutionslehre nicht nur nachträglich als Rechtfertigung für bestimmte rassistische Vorstellungen verwendet wurde, sondern daß sie selbst auch in einem Klima bestimmter rassistischer Vorstellungen entstand bzw. begünstigt wurde. Dies haben Desmond & Moore17 in ihrer voluminösen Darwin-Biographie anhand umfangreichem, größtenteils erst vor kurzem veröffentlichtem Quellenmaterial eindrucksvoll herausgearbeitet.

Inwieweit die Evolutionslehre als "seriöse Theorie" rassistisches Denken fördert oder ob sie dafür nur mißbraucht wurde, ist nicht leicht zu beantworten.



 

Anmerkungen

  1. Wuketits, Franz M. (1989) Evolutionslehre und Kreationismus: Wissenschaft kontra Ideologie. In: Praxis der Naturwissenschaften 8/38, S. 28-33.
  2. Anonym (1981) Darwin vs. Bible. In: Time, Dec. 21, 1981, S. 67.
  3. Dunne, Philip (1990) Dissident Dogma and Darwin's Dog. In: Time, Jan. 15, 1990, S. 84.
  4. Gould, Stephen Jay (1981) The mismeasure of Man. London, New York. Kapitel "American Polygeny and craniology", S. 30-72.
  5. Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. London, New York. Kapitel "Racism and Recapitulation", S. 214-221.
  6. Gould, Stephen Jay (1981) The mismeasure of Man. Kapitel "The Hereditarian Theory of IQ", S. 146-231.
  7. Gould, Stephen Jay (1981) The mismeasure of Man. Kapitel "Measuring Bodies", S. 122-135.
  8. Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel "Criminal as Nature's Mistake or the ape in some of us", S. 222-228.
  9. Bolk vertrat die Auffassung, daß der Mensch dadurch vom Affen zum Menschen geworden sei, daß er in seiner individuellen Entwicklung (Ontogenese) auf einem jugendlichen oder kindlichen Stadium stehenblieb und verfrüht geschlechtsreif und erwachsen wurde (Neotenie). Das Nicht-Stehenbleiben auf dem jugendlichen Stadium führe dann zu affenähnlicheren Formen. Von daher erklärt sich sein Kriterium zur Unterscheidung von "primitiv" und "fortschrittlich".
    Bolks Konzept von der Neotenie des Menschen gilt heute evolutionstheoretisch nach wie vor als diskutabel.
  10. Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel "Racism and Recapitulation", S. 214-221.
  11. Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel "History of the vertebrate brain", S. 186-191.
  12. Grassé, Paul-Pièrre & Benoit (1955) Traité de la Zoologie. Anatomie - systematique Biologie. Paris.
  13. Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel "Nonscience of human Nature", S. 237-242.
  14. von Paczensky, Gert (1979) Weiße Herrschaft. München, S. 135. Dies erinnert übrigens stark an den Lamarckismus, wonach im Laufe des Lebens erworbene Merkmale auf die Nachkommen vererbt werden.
  15. Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel "Biological Potentiality versus Biological Determinismus", S. 251-260.
  16. Sommer, Volker (1990) Das Tabu. In: Natur 10/1990, S. 55-58.
  17. Desmond, Adrian & Moore, James (1991) Darwin. München.
  18. Siehe auch Leserbrief aus Info 3/98

 


Dokumentation zu Art. 261bis StGB (Rassendiskriminierung)
Ein Psychophysiognomiker erkldrt in einem Kurs unter anderem +J|dische Nase; zeige +Entartung;. Vffentlichkeit? Einzelrichterin Bern-Laupen. Freispruch. Rechtskrdftig.

Sachverhalt
Im +Beobachter; erscheint in Artikel des Journalisten Philippe Welti, in dem dieser seine Beobachtungen anldsslich eines Kurses des Vereins f|r Menschenkenntnis an der Universitdt Bern schildert. Der Psychophysiognomiker Erwin Oertle habe unter anderem erkldrt: +Edel sei die deutsche Nase. Schlecht weg kommen bei der Naseneinteilung hingegen die j|dische und die arabische. +Die hdssliche Kr|mmung zeigt Entartung an. Solche Menschen sind oft habgierig, nur auf ihren eigenen Profit bedacht und versuchen andere Menschen zu dominieren.; Um ihre Ziele zu erreichen, wdren Menschen mit +j|dischen; Nasen sogar bereit, sich zu ducken. Vorsicht sei also geboten. Und |ber die +unentwicklete Negernase; habe Oertle gesagt: +Die Afrikaner leben ihrer Veranlagung gemdss unbek|mmert in den Tag hinein und sind gl|cklich, wenn man ihnen nicht viel Arbeit auferlegt.; Dhnliche Aussagen finden sich in einem Physiognomik-Lehrbuch aus den 80er-Jahren.

Verfahren
Die Bernische Erziehungsdirektion erstattet Anzeige. Oertle bestreitet die Aussagen. Der Untersuchungsrichter hvrt nur von Oertle angebotene ZeugInnen an. Tenor der ZeugInnen: Sie hdtten Oertles Aussagen nicht als rassistisch empfunden.

Sanktionen
Freispruch. Die Einzelrichterin spricht Oertle nicht nur wegen den widerspr|chlichen Aussagen frei, sondern weil die Dusserungen nicht unter die Rassismus-Strafnorm fallen w|rden. das Tatbestandsmerkmal +Vffentlichkeit; sei fraglich. Besondere Freude machte die Einzelrichterin dem Angeklagten und seinen anwesenden SympathisantInnen, dass sie die Physiognomik nicht als Ideologie, sondern als +Lehre, eventuell Wissenschaft bezeichnete und sich dabei auf Cesare Lombroso, den Begr|nder einer rassistischen Kriminalanthropologie berief. Nach Einblick in die Akten verzichtet der Staatsanwalt auf eine Appellation, obwohl sich eine neue Zeugin gemeldet hatte, welche die Angaben im +Beobachter;-Artikel bestdtigte.

Aus den Erwdgungen
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Anmerkung
Das Bundesgericht hat, so Marcel Alexander Niggli (Rassendiskriminierung, N 699), +auch bei geschlossenen Veranstaltungen Vffentlichkeit immer dann angenommen, wenn ein unbestimmter bzw. unkontrollierter Personenkreis zugelassen wurde;. Oertles Kurse wurden vffentlich ausgeschrieben und auch der Zutritt nur f|r einen Vortrag war mvglich. Oertles Verteidiger griff in seinem Plddoyer den Journalisten heftigst an und unterstellte ihm mangelnde Kompetenz wie auch unehrenhafte Motive. Fazit des Medienmagazin +Klartext;: +Medienschaffende, die |ber die rechtsradikale Szene, |ber mvgliche rassistische Gruppierungen und Sekten berichten, sollten sich daher unbedingt im Klaren sein, dass die Betroffenen im Prozessfall alles daran setzen, die BotInnen und ihr Medium auf die Anklagebank zu bringen. Wo in der tdglichen Berichterstattung ein Beleg reicht, ein Zeuge gen|gt, muss im Falle von Antirassismusvorw|rfen und Sektenbeobachtungen jede Aussage doppelt und dreifach abgesichert werden. Denn immer werden die Gurus aller Art - wie beim Oertle-Prozess in Bern - ihre AnhdngerInnen aufbieten kvnnen, die bei 'bestem Wissen und Gewissen' die Unschuld ihres Vorbilds beschwvren; schliesslich haben sie - so das Leitmotiv der Berner Zeugenaussagen - 'seine Dusserungen nicht als rassistisch empfunden';. (Klartext, 6/1997, S. 31)

 


Einmal Mörder - immer Mörder

Sondereinsatzkommandos erzwingen genetische Fingerabdrücke. Anwälte kritisieren Stigmatisierung.

Eingriffe verfassungswidrig n Von Kurt Schrage Düsseldorf (taz ruhr) - Die Düsseldorfer Landeskriminalbeamten vom Dezernat 52 kamen unangemeldet.

Geradewegs marschierten die Männer in die Brackweder Einzelzelle des zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilten Michael Heckhoff. Sie forderten den 40jdhrigen Mülheimer auf, eine Speichelprobe entnehmen zu lassen. Falls er dagegen protestiere, werde das Sondereinsatzkommando der Bielefelder Polizei vorstellig. Der richterliche Beschluß zur Entnahme von Kvrperzellen werde dann mit kvrperlicher Gewalt durchgesetzt. Heckhoff, der nach der Werler Geiselnahme 1992 vor geraumer Zeit vom Wuppertaler Hochsicherheitstrakt in den Trakt von Bielefeld-Brackwede I "verschubt" wurde, willigte zdhneknirschend ein.

Die LKA-Beamten machten einen gründlichen Rachenabstrich und verpackten Heckhoffs Speichelprobe in einem Plastikrvhrchen, um die Probe zur Analyse des Erbmaterials (DNS) ins gerichtsmedizinische Labor des Landeskriminalamtes zu bringen. Daß dieser Eingriff "verfassungswidrig" gewesen sei, davon ist Heckhoffs Rechtsbeistand, der Dortmunder Anwalt Reinald Imig, überzeugt. Es handele sich bei der Sammlung genetischer Informationen von Gefangenen um eine "lebenslange Stigmatisierung". Au_erdem kvnne ein Mi_brauch der Daten generell nicht ausgeschlossen werden. Gesetzliche Grundlage für den Gen-Scan liefert Ex-Innenminister Manfred Kanthers (CDU) DNA-Identitdtsfeststellungsgesetz vom 7. September 1998. Demnach können Gerichte von Paragraph 81g der Strafprozeßordnung Gebrauch machen und von verurteilten Straftdtern einen genetischen Fingerabdruck verlangen. Die individualspezifischen Besonderheiten in der Erbsubstanz der üblichen Verddchtigen speichert das Bundeskriminalamt in zentralen Gendateien. Sinn der neuen Methode ist unter anderem die Aufkldrung ungelöster Straftaten: Nach Kapitalverbrechen, gefdhrlicher Kvrperverletzung, schwerem Diebstahl, Erpressung und Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung sollen sichergestellte Gewebeproben (Haare, Speichel, Blut, Sperma) zu 98 Prozent einen Tdter überführen kvnnen. In Kanthers Katalog fehlen die Tdterprofile der Kriminellen aus den Chefetagen. Im Aussehen erinnern die molekulargenetischen DNS-Schnittmuster an Codestreifen von Supermarktware. So belaufen sich die Kosten für die Ware "gldserner Schwerverbrecher" - je nach Qualitdt einer DNS-Analyse - zwischen 2.000 und 8.000 DM. Warum aber in gro_ angelegten Reihenuntersuchungen Gendaten von Gefangenen erhoben werden, die wie die Geiselnehmerduos Heckhoff / Knickmeier, Rvsner/ Degowski in frühestens 15 Jahren das Gefdngnistor passieren dürfen, dazu mvchte das Düsseldorfer Justizministerium keinen Kommentar abgeben. Mit Prävention ist das jedenfalls nicht zu erklären. Konstruiert klingen die Gründe des Amtsgerichtes Bielefeld: Heckhoff "ist als gefährlich einzuschdtzen und hat bislang eine derart starke Neigung zur Begehung von Gewaltverbrechen an den Tag gelegt, da_ zu besorgen ist, da_ er wieder straffdllig wird". Wann "wird er wieder straffdllig?" 2015, 2020? Was geschieht mit dem Gen- Profiling, wenn er im Gefängnis stirbt? Werden die Daten dann vernichtet oder bleiben sie erhalten? Darüber gibt das Gericht keine Auskunft. Vielmehr zeigt es sich darüber "besorgt", da_ der Gefangene Heckhoff den "humanen" Strafvollzug wahrscheinlich ungebrochen überstehen wird. Einer Resozialisierung mi_traut das Gericht offensichtlich. Mit Kanthers Gendatei sind rückwdrtsgewandte Kriminologen und Verhaltensgenetiker ihrem Traum, "biologische Determinaten" für sozialaggressives Verhalten zu benennen, ein ganzes Stück näher gekommen. Der Gründer der deutschen kriminologischen Gesellschaft, Armand Mergen, weiß schon lange, daß "der geborene Mörder mordet, weil er nicht anders sein kann, als er ist. Das biologische Merkmal, das ihn zum Täter bestimmt, verbirgt sich in seinem Erbgut." Aus Sicht der oberen Mittelschicht haben Kriminalbiologen schon immer die Degeneration von sozial gedchteten Kriminellen belegen wollen. Der italienische Psychiater Cesare Lombroso glaubte, den "geborenen Verbrecher" (1871) am Körperbau zu erkennen. Für ihn war die Prostituierte das weibliche Pendant zum männlichen Mörder. Erkennungszeichen des kriminellen Typus waren laut Lombroso abstehende Ohren, zusammengewachsene Augenbrauen, schmale Lippen, hervorstehende Eckzdhne, Tätowierungen und "molekulare Verdnderungen der Gehirnsubstanz". Lombrosos Lehre fand unter prominenten deutschen Psychiatern und Juristen viele Anhdnger.

Da verwundert es kaum, daß noch heute Bochumer Jurastudenten von Jürgen Baumanns Strafrecht, Allgemeiner Teil, das Menschenbild vermittelt bekommen, daß "es wirklich den geborenen Verbrecher gibt".

"Es gibt den geborenen Sittlichkeitsverbrecher, den Psychopathen (...).

Es gibt den Kleptomanen, der immer wieder Diebstähle begehen wird, den Asozialen, der immer wieder wegen Landstreicherei und Bettelei aufgegriffen wird (...)."

Alles graue Theorie?

Nein. Praktischen Anschauungsunterricht bekommen Bochumer Jurastudenten wdhrend der Kriminologievorlesungen von Hans-Dieter Schwind (CDU). Der Ex-Justizminister Niedersachsens und Professor für Kriminologie prdsentiert immer wieder seinen 1.- und 2.-Semestern einen inhaftierten Lebensldnglichen und eine Prostituierte.

Da Kriminologie sich als empirische Wissenschaft darstellt, stehen Schwind als Vergleichsgruppe ein Hausmeister und eine Putzfrau zur Verfügung. Die StudentInnen dürfen dann mal raten, wer was ist. Lombroso will never die.

 

Kurt Schrage


Kriminologische Theorien zur Verbrechensentstehung

Körperliche Konstitution

  • Lombroso: These vom geborenen Verbrecher
    • Der Verbrecher befindet sich auf einer anthropologisch niederen Stufe der Menschheit. Er stellt einen Rückfall in frühe menschliche Entwicklungsstadien dar. 35% der nach anatomischen Kriterien untersuchten Gefängnisinsassen verkörperten diesen Menschentypen.
    • Als "Kriminaltherapie" schlug Lombroso die lebenslage Internierung oder Beseitigung vor. Bei Jugendlichen sollte versucht werden, die schädlichen Anlagen sinnvoll zu nutzen: Mordlustige zum Militär, geschlechtlich allzu erregbare Frauen zu Prosituierten.
  • Vererbung: Es gibt erbliche physische und psychische Bedingungen, die die Neigung zu strafbaren Handlungen erhöhen
    • Zwillings- und Adoptionsstudien
      • bei Zwillingen: Ausgangsthese, daß eineiige Zwillinge in stärkerem Maße identische kriminelle Lebensläufe aufweisen, konnte bestätigt werden.
        • Problematisch ist hierbei jedoch, daß Zwillinge in der Regel identisch erzogen werden und sich alleine aus der Zwillingseigenschaft eine besondere Erziehung ergibt
      • Adoptionsstudien: Kriminalität korreliert stärker mit dem biologischen Status des Vaters aber auch mit dem sozioökonomischen Status des Adoptivvaters.
        • Methodologische Kritik: Viele der untersuchten Jugendlichen hatten zuvor Heimaufenthalte hinter sich.
        • Adoptiveltern neigen eher zu einem nachgiebigen - schädlichen - Erziehungsstil.
  • bestimmte genetische und hormonelle Störungen führen zu Auffälligkeiten, die sich auch in Kriminalität äußern können -> trotzdem kein zwingender Zusammenhang feststellbar


 

Psychoanalytische Ansätze

  • Freud: Psychoanalyse erfaßt Täter als Individuum und Psychologie der strafenden Gesellschaft als kollektiver psychischer Mechanismus
  • der Mensch ist von Natur aus asozial und in seinem Treiben hemmungslos; durch Erziehung (äußere Zwänge) wir eine innere Kontrolle aufgebaut und die Triebe / Wünsche werden ins Unterbewußtsein verdrängt
  • ES (Sitz der elementaren Triebe, gehört zur Grundausstattung); ÜBER-ICH (Moral-, Wert- und Normvorstellungen, muß durch Sozialisation ausgebildet werden; ICH (Gedächtnis, Wahrnehmung, Denken, etc. Steuerung des ES mit Hilfe des ÜBER-ICHs)
  • durch fehlerhafte Erziehung kann es zu Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung kommen, die zu Kriminalität führen können; Kriminalität "entsteht" also in der Kinderheit
    • Aichhorn: Soziales Verhalten setzt ein starkes ÜBER-ICH voraus. Durch schwankende Erziehung, Ablehnung durch die Eltern oder Beziehungsstörungen zwischen den Eltern wird Ausbildung des ÜBER-ICHs behindert.
  • die Gesellschaft kann eigene Schwächen und Triebe auf den Täter als Sündenbock projizieren


 

Lerntheorien

  • Straffälligkeit wird gelernt wie anderes Verhalten auch
  • Eyseck: Straffälligkeit ist Ergebnis mißlungener Konditionierung, wobei Extrovertierte schlechter konditionierbar sind als Introvertierte
  • Beobachtungs- und Modellernen: Verhaltensmuster werden übernommen
  • Konditionierung kann auch durch Strafandrohung erfolgen
  • operante Konditionierung: Lernen durch Erfolg
  • Sutherland: Theorie der differentiellen Kontakte: Lernen vollzieht sich in erster Linie in Gruppen (-> Subkulturtheorien) und ist orientiert an den dort geltenden Normen
    • nicht alle Kontakte sind gleich wichtig für das Lernen; besonderes Gewicht haben die Personen, mit denen man sich am stärksten identifiziert (Verstärkung -> Konditionierung)
  • Experimentelle Bestätigung: Kinder konnten beobachten, wie Erwachsene mit einem Gummihammer auf eine Clownpuppe einschlugen. Selber mit der Puppe allein gelessen, taten sie das selbe. Besonders aggressive gingen die Kinder mit der Puppe um, wenn sie von den Erwachsenen für ihr Verhalten, belohnt wurden. Kinder, die ohne entsprechende Vorbilder mit der Puppe allein gelassen wurden, spielten friedlich mit ih.
  • Kritik:
    • zu einfaches Menschenmodell
    • Affekt- und Triebtaten werden überhaupt nicht erfaßt
    • warum kommt es überhaupt zur Bildung von Gruppen?
  • praktische Bedeutung:
    • Verhaltenstherapie geht davon aus, daß auch richtiges Verhalten erlernbar ist
    • Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen im Strafvollzug um Lernen zu verhindern


 

Halt- und Bindungstheorien

  • Erklärungsbedürftig ist nicht das abweichende sondern das konforme Verhalten
  • Hirschi:
    • attachment to meanigful persons
    • commitment to converional goals
    • involvement in conventional activities
    • belief in social rules


 

Theorie des Kulturkonfliktes

  • Konflikt zwischen zwei Kulturen
    • die eine Kultur gebietet ein Verhalten, die andere verbietet es (z.B. Blutrache)
  • mittelbarer Kulturkonflikt
    • Benachteiligung von Fremden führt bei diesen zu Problemen bei der Persönlichkeitsbildung


 

Subkulturtheorie

  • am Rande von Großstädten gibt es gangland, in denen andere Normen herrschen und durch sozale Kontrolle aufrecht erhalten werden
  • Cohen: spiegelbildliche Negation von Mittelstandsstandards
    • sinnloser Vandalismus, Diebstahl gegen die reichen und feinen Leute
    • peer-group bietet Vaterersatz; hohes Maß an Solidarität und Konformität
  • Kritik:
    • ist nur auf (amerikanische) Großstädte zugeschnitten
    • Straßenbanden fehlen in vielen Ländern, die dennoch hohe Jugendkriminalität haben
    • bleibt offen, ob Gangs Ursache oder Ergebnis für / von Kriminalität ist


 

Anomietheorie (Mertons)

  • es herrscht Einigkeit über die erstrebenswerte Ziele: Wohlstand, Status, Erfolg und die legitimen Mittel: Intelligenz, Leistungsbereitschaft
  • die kulturellen Ziele werden von allen geteilt, die legitimen Mittel stehen aber nicht allen offen
  • bei den Mitgliedern der Unterschicht entsteht deshalb ein anomischer Druck
    • Zu Kriminalität kommt es also erst, wenn die Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, die individuelle Bedürfnisbefriedigung zu kontrollieren. Kriminalität ist ein Symptom für das Auseinanderklaffen von kulturell vorgegebenen Zielen und sozial strukturierten Wegen, auf denen diese Ziele zu erreichen sind.
  • Kritik:
    • ist gesellschaftsbezogen, erklärt nicht das Individuum
    • ist auf Eigentums- und Vermögensdelikte zugeschnitten; erklärt vor allem nicht die "white collor"-Kriminalität
    • empirisch hätte die Kriminalität bei Einwanderern (keine legitimen Mittel) am höchsten sein müssen, was sie nicht war


 

Theorie der differntiellen Gelegenheit

  • Weiterentwicklung der Anomietheorie
  • Ansatz: Auch der Zugang zu illegitimen Mitteln kann versperrt sein
  • innerhalb der Unterschicht gibt es Gruppen
    • conflict subculture (Einwanderer, die sowohl von den legitimen, als auch den illegitimen Mitteln abgeschnitten sind -> Gewaltdelikte)
    • retrealist subculture (echte outsider -> Drogendelikte)
    • criminal subculture (erfolgreiche Kriminelle mit Zugang zu kriminellen Lernmilius und Informationen über günstige Gelegenheiten, auch mit Kontakten zu legalen Bereichen)


 

Etikettierungsansätze; Theorie vom labeling apprach

  • "Wir verurteilen die Tat nicht weil sie ein Verbrechen ist, sondern sie ist ein Verbrechen, weil wir sie verurteilen."
  • die Normen, die ein Verhalten als kriminell einstufen führen kein Eigenleben, sondern existieren nur in der konkreten Interaktion von Menschen
    • bei Konflikten kommt es auf die Definitionsmacht der Beteiligten an, ein Verhalten als abweichend zu kennzeichnen -> These von der sozial selektiven Sanktionierung
  • die Identität eines Menschen entsteht durch Zuschreibungs-, Definitions- und Etikettierungsvorgänge in sozialer Interaktion
    • Zuschreibungen (Dieb, Rumtreiber) bleiben nicht ohne Einfluß auf das Selbstbild des Betroffenen
  • die Gesellschaft schafft mit ihren Zuschreibungen erst die Voraussetzungen für kriminelle Karrieren
    • Bsp: nicht ehelich geboren
      • ätiologische Sicht: Fehlen des Vaters verhindert Über-Ich-Bildung; Berufstätigkeit der Mutter führt zu gefährlichen Kontakten; fehlende elterliche Kontrolle wirkt sich negativ auf Beruf aus -> Kriminalität
      • labeling: Nichtehelichkeit steht für den Beginn einer erhöhten sozialen Kontrolle
  • Kritik:
    • Wenn Kriminalität das Ergebnis von Zuschreibung ist, dürfte es kein Dunkelfeld geben.
    • Der Labeling-Ansatz übersieht, daß es sich bei dem "abweichenden Verhalten", das der Stigmatisierung vorausgehet, häufig um Normbrüche handelt, über deren Einschätzung als "kriminell" Einigkeit in der Gesellschaft besteht.


 

Mehrfaktorenansätze

Unravaling Juvenile Delinquency (S. und E. Glueck) 1950

  • Untersuchung von 500 delinquenten und 500 unauffälligen Jugendlichen zwischen 11 und 17 (Durchschnitt 14,5) Jahren, Nachuntersuchung nach 15 und 31 Jahren
  • Erhoben wurden Daten aus dem soziokulturellen Bereich, körperlichen Bereich, Intelligenz, psychischen Bereich
  • bestimmte Variablen korrelierten besonders stark mit Straffälligkeit
    • die Addition bestimmter Faktoren soll besonders hohe Korrelation aufzeigen
    • die meisten Faktoren sind rein äußerlich (Erziehung durch den Vater, Zusammenhalt der Familie)
  • führte zur Erstellung von Prognosetafeln mit 90%iger Genauigkeit
    • bei 500 Delinquenten und 500 Nichtdelinquenten, werden 900 richtig zugordnet -> Verhältnis 9 : 1
    • bei einem Verhältnis D : ND von 5 : 100 (was eher der Realität entspricht), werden von 1000 Jugendlichen von den 50 Delinquenten 45 richtig erkannte, bei den 950 Nichtdeliquenten werden 10% = 95 falsch zugeordnet -> Verhältnis 1 : 2


 

Die Cambridge Study in Delinquent Development (D. J. West) 1970 Kohortenstudie

  • 411 Jugendliche im Alter von 8 bis 9 Jahren werden bis zum 24 Lebensjahr beobachtet
    • im Gegensatz zu den Gluecks nicht retrospektiv
    • keine Stigmatisierung
  • 5 Schlüsselfaktoren mit besonderer Vorhersagekraft: niedriges Familieneinkommen, große Familie, mangelhafte Erziehung, niedrige Intelligenz, straffälliges Elternteil
  • mehr als 3 Schlüsselfaktoren führen mit 50%iger Wahrscheinlichkeit zu Straffälligkeit
  • Probleme
    • statistische wie bei den Gluecks
    • wenig aussagekräftige Merkmale


 

Kriminalität und Massenmedien

  • Katharsishypothese:
    • Das Ansehen von Gewalt führt bei den Zuschauern zu einem Aggressionsabbau.
    • Das Betrachten von Gewaltszenen führt zu Gewaltphantasien, die aus Angst vor innerer und äußerer Vergeltung nicht realisiert werden. Das Anschauen hat hierbei die Funktion einer Ersatzbefriedigung.
  • Inhibitationsthese:
    • Im Ansatz wie die Katharsishypothese.
    • Das Ansehen von Gewalt führt jedoch nicht zu einer Aggressionsabfuhr, sondern ruft Schuldgefühle und Furcht vor Vergelung hervor, es kommt deshalb zu einer Aggressionsunterdrückung.
  • Stimulationsthese
    • Das Ansehen von Gewalt führt zum Erlernen gewalttätiger Verhaltensmuster. Die Theorie basiert dabei auf den allgemeinen Lerntheorien.
  • Habitualisierungsthese
    • Wie die Stimulationsthese; der Schwerpunkt liegt jedoch nicht beim Erlernen, sondern beim Gewöhnen an Gewalt.
    • Der Konsum von Gewalt führt zu einer Abnahme an Sensibilität gegenüber Gewalt.
  • Anomietheorie
    • Die Massenmedien geben die gesellschaftlichen Ziele vor. Zugleich zeigen sie, wie man diese Ziele mit gesellschaftlich nicht gebilligten Mitteln erreichen kann.
    • Gewaltdarstellungen fungieren als verfehlte Konfliktlösungsmodelle zum Abbau des anomischen Drucks.


 

Wohnumfeld und Kriminalität

  • Ansatz ist weniger das Individuum oder die "große" Gesellschaft als vielmehr das Wohnumfeld. Von besonderem Interesse ist hierbei, wie es dazu kommt, daß ein Wohngebiet von gering zu hoch kriminell belastet umschlägt.
  • "broken-windows"-Hypothese
    • Das äußere Umfeld - zerbrochene Fenster, Graffiti etc. - führen dazu, daß sich die "Rechtschaffenden" zurückziehen und die Straße immer mehr kriminellen Personen überlassen. Hierdurch entsteht letztendlich ein Teufelskreis: Die, die es sich leisten können ziehen weg, kriminell auffällige Personen ziehen zu - ein Viertel kippt um.
    • Um diesem Teufelskreis Herr zu werden, greifen "Zero-tolerance" Konzepte schon bei ersten Anzeichen von "Unordnung" hart durch.


 

Viktimologie

  • Wissenschaft vom Verbrechensopfer
  • Fragestellungen:
    • Warum kam es zur Tat?
    • Was hat sich während der Tat zwischen Täter und Opfer abgespiel?
    • Wie wird die Tat vom Opfer sowie durch Polizei und Justiz verarbeitet?
  • Täter-Opfer-Beziehung
    • Viele Delikte finden im sozialen Nahfeld statt (bei vorsätzlichen Tötungsdelikten etwa 80-90%).
    • Es gibt eine "Opferanfälligkeit". Viele Opfer sind vor der eigentlichen Viktimisierung bereits psychisch oder physich geschädigt. Hierdurch ist ihre Vereidigungsfähigkeit geschwächt. (Z.B. illegale Prostituierte, Kinder, Alte).
  • Die Viktimisierung
    • Rechtfertigungstechniken des Täters
      • Das Opfer wird als wertlos definiert ("Ausländer").
      • Das Opfer wird entpersonalisiert.
      • Der Opferschaden wird verneint ("zahlt die Versicherung").
    • Geschlechterspezifische Situationsverkennung
      • Für den Bereich der Sexualstraftaten wird teilweise eine geschlechterspezifsche Situationsverkennung angenommen. Der Täter deutet hierbei bestimmte Signale falsch (das Tragen kurzer Röcke, als sexuelle Bereitschaft).
      • Hierbei dürfte es sich letztlich wohl eher um den Versuch handeln "wissenschaftlich" zu belegen, was Mann schon immer dachte.
      • Forensiche Erfahrungen mit Vergewaltigungsfällen belegen, daß die Täter die Ablehnung der Frau als eindeutig erfahren haben.
  • Opferverhalten
    • Das Opfer kann den Rechtfertigungsmechanismen entgegenwirken. Besonders bei Geiselnahmen und Entführungen hat sich gezeigt, daß Opfer, denen es gelingt eine persönliche Beziehung zu Tätern aufzubauen einem weniger großem Risiko ausgesetzt sind.
    • "Live-style"-Verhalten: Das Opfer verzichtet mehr oder minder bewußt auf Schutzmaßnahmen, um einen bestimmten Lebensstil führen zu können. (z.B. nächtliches Trampen junger Mädchen). Hier gilt es jedoch festzustellen, daß dies in aller Regel den Täter nicht entlasten kann.
  • Primärviktimisierung
    • unmittelbar physische und psychische Folgen der Tat
    • Opfer von Gewaltverbrechen können die Viktimisierung oft ein Leben lang nicht verarbeiten und haben auch lange Zeit nach der Tat noch Angstzustände.
    • Nicht unterschätzt werden darf auch die Viktimisierung durch Einbruchsdiebstähle. Grund hierfür ist der "Einbruch" in die Privatsphäre und der Verlust an subjektivem Sicherheitsempfinden in den eigenen "vier Wänden".
  • Sekundärviktimisierung
    • Viktimisierung durch die Reaktion Dritter - vor allem Polizei und Justiz - auf die Tat
    • Besonders im Bereich der Sexualdelikte empfinden es die Opfer als erniedrigend noch einmal im Detail über die Tat berichtetn zu müssen. Weil viele Opfer diesen Mechanismus fürchten, kommen viele Taten erst gar nicht zur Anzeige. Bei Vergewaltigungen wird ein Dunkelfeld von 1:5 bis 1:10 angenommen.

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© by Alexander Koch (ak@laWWW.de) 1999

 

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  • Nicht unterschätzt werden darf auch die Viktimisierung durch Einbruchsdiebstähle. Grund hierfür ist der "Einbruch" in die Privatsphäre und der Verlust an subjektivem Sicherheitsempfinden in den eigenen "vier Wänden".
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    • Viktimisierung durch die Reaktion Dritter - vor allem Polizei und Justiz - auf die Tat
    • Besonders im Bereich der Sexualdelikte empfinden es die Opfer als erniedrigend noch einmal im Detail über die Tat berichtetn zu müssen. Weil viele Opfer diesen Mechanismus fürchten, kommen viele Taten erst gar nicht zur Anzeige. Bei Vergewaltigungen wird ein Dunkelfeld von 1:5 bis 1:10 angenommen.
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