Seit Jahrzehnten schwelt, besonders in den USA, ein
Konflikt darüber, was im Biologieunterricht zu lehren sei, die Theorie
der Evolution oder die Entstehung des Lebens und der Arten durch Gott
oder beide Sichtweisen nebeneinander. Befürworter der Evolutionstheorie
betrachten diese als die einzige zu lehrende vernünftige Erklärung für
die Entstehung des Lebens, dagegen bestehen Kreationisten darauf, daß
auch die auf die Bibel sich gründende Schöpfungslehre vertretbar sei und
gelehrt werden sollte.
Seit rund zwei Jahrzehnten ist dieser Konflikt
besonders durch das Erstarken der bekennenden christlichen Bewegung und
die Gründungen christlicher Schulen auch in Deutschland aktuell.
Abgesehen von den wissenschaftlichen und
theologischen Argumenten für die verschiedenen Ansichten zeigen sich
auch unterschiedliche ideologische Tendenzen bei beiden Parteien. Diese
äußern sich z. B. darin, daß gelegentlich der Gegenseite deren Irrungen
und Verwirrungen angelastet werden, die eigene Geschichte aber völlig
unkritisch betrachtet bzw. unterschlagen wird. Ein Beispiel soll dies
verdeutlichen.
Schöpfung, Evolution, traditionell verhärtete Fronten
In einer Fachzeitschrift für den naturkundlichen
Schulunterricht werden grobe Fehler und Engstirnigkeit einiger Vertreter
des Kreationismus zur Bewertung der Schöpfungslehre im Schulunterricht
herangezogen, und die Schöpfungslehre damit als unwissenschaftliche und
gefährliche Ideologie, die oft mit politischen Einstellungen gekoppelt
sei, gekennzeichnet.
1
Betrachtet man die Geschichte des Kreationismus und
die damit verbundenen Gerichtsverfahren in den USA, so ist eine
derartige Einstellung vielleicht verständlich.
2
3 Andererseits wurde aber auch die Evolutionstheorie
mißbraucht oder falsch verstanden; dennoch, ihre Begründer und die
Theorie selbst werden in hohen Ehren gehalten.
|
Ein Evolutionist beschreibt den Mißbrauch der
Evolutionstheorie
Stephen J. Gould, überzeugter Evolutionist und
erfolgreicher Forscher an der Smithsonian Institution in den USA,
macht in seinen Büchern immer wieder auf einige menschliche Probleme
aufmerksam: auf den Umgang mit wissenschaftlichen Theorien und
Forschungsergebnissen, insbesondere wenn ihre Interpretationen auf
den Menschen angewendet werden.
In Kürze: Prominente Wissenschaftler gingen den
allgemeinen Ansichten der letzten zwei Jahrhunderte entsprechend
davon aus, daß die verschiedenen Menschenrassen verschiedene Stufen
der Perfektion einnehmen. Schöpfungslehre und Evolutionstheorie
wurden jeweils in unterschiedlicher Weise dieser "allgemein
bekannten Tatsache" angepaßt.
Gould stellt eine Reihe von bedeutenden
Wissenschaftlern der Vergangenheit und ihre Ansichten zu diesem
Punkt vor. So Louis Agassiz, der in der Mitte des 19. Jhd. die
Afrikaner als den Weißen unterlegen ansah, und davon ausging, daß
Gott die Weißen und Schwarzen als zwei unterschiedliche Spezies
erschaffen habe. Zur widernatürlichen Vermischung der Gruppen kam es
nach seiner Meinung dadurch, daß sich die jungen weißen Männer durch
Mischlingsmädchen, die als Hauspersonal arbeiteten, an den Verkehr
mit der dunklen Gruppe gewöhnten.
4
Im Gefolge der Auffassung, die dunkelhäutigen
Rassen seien den Europäern unterlegen, kam dann aber auch der
Darwinismus den Europäern und Weißen Amerikas, die den Europäer als
die überlegene Rasse schlechthin ansahen, nur gelegen. Man ging
davon aus, daß eine Entwicklung zum "Höheren", also eine Evolution,
alles beherrscht, wodurch Rassenunterschiede und unterschiedliche
Wertungen der Rassen verständlich seien. |
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Die Schritte der Evolution sind überall erkennbar und
lebendig erhalten
Gould zeigt weiter: Die Embryonalentwicklung
sollte nach Haeckel die Schritte der Evolution als eine
Rekapitulation wiederholen: vom Zellklumpen zum Urfisch, zum Amphib,
Reptil, Ursäuger, Affen und schließlich zum Menschen. Das Kind
wieder zeige in seiner geistigen Entwicklung die Phasen der
menschlichen Evolution: affenartige Uneinsichtigkeit, primitive
Sprache und primitiver Werkzeuggebrauch, einfache intellektuelle und
handwerkliche Fähigkeiten und endlich perfekte Reife. Auch die
Gesellschaft zeige Evolution, von der primitiven Horde zur
hochdifferenzierten Ständegesellschaft.
Die Menschenrassen entsprachen folglich nun
verschiedenen Stufen der Evolution, auf der die eine oder andere
Rasse stehen geblieben sei, was an ihrem Körperbau wie auch an ihrem
Verhalten und ihren geistigen Fähigkeiten ablesbar sei: Affen,
Hottentotten, Neger, Asiaten und Europäer, unter diesen wiederum die
Germanen, Angelsachsen und eventuell Franzosen als Spitze der
Evolution. Haeckel selbst und viele seiner Zeitgenossen vertraten
die Ansicht, daß Frauen und Neger auf der geistigen Stufe der Kinder
stehen geblieben seien.
5 |
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Politik, Populationsgenetik und Evolutionsgedanke
verbinden sich in der Praxis
Alfred Binet (1857-1911) entwickelte den
Vorläufer des Intelligenztests, um zu zeigen, daß ein direkter
Zusammenhang zwischen Schädelform, Schädelvolumen und Intelligenz
bestünde. Er ging auch von einer Vererbung dieser Merkmale aus.
Goddard brachte Theorie und Testpraxis Binets zur
Zeit des Ersten Weltkrieges nach Amerika, verband sie mit den
Mendelschen Gesetzen der Vererbung und entwickelte den
Intelligenztest, um damit zu verhindern, daß zu viele
Minderintelligente in die USA einwanderten, und um die Vermehrung
der Minderintelligenz in der Nation dadurch zu bremsen, daß
Minderintelligenten und Schwachsinnigen die Fortpflanzung unmöglich
gemacht würde. Er sah dies als eine zwingende Notwendigkeit an, da
eine Demokratie ja auf Denkvermögen und Klarsicht des Volkes
angewiesen sei, und dumme Menschen nicht die richtige Regierung
wählen könnten. Dies klang einsichtig, denn der Darwinismus lehrt,
daß nur die Weitergabe der hochwertigsten Erbmerkmale (heute auch
als angepaßte Gene bezeichnet) zur Weiterentwicklung führt.
Unabsichtlich mißverständlich angelegte Intelligenztests schienen
auch zu zeigen, daß Einwanderer aus Ost- und Südeuropa sowie Juden
überwiegend von minderer Intelligenz waren. Für diese
Charakterisierung wurde der Begriff "moron" verwendet, ein Wort, das
eigens dafür aus dem Griechischen neu aufgenommen wurde und sich
seitdem in der englischen Sprache eingebürgert hat; so stark war der
Einfluß dieser Theorien und ihrer Politik. Die Konsequenz waren
Einwanderungsbestimmungen, die die Einwanderungsquote aus Ländern
mit "minderwertigen" Rassen begrenzten, und Gesetze, die verhindern
sollten, daß geistig zurückgebliebene Menschen Nachkommen in die
Welt setzten.
6 Es muß wie Hohn klingen, daß ein weltbekannter
Wissenschaftler wie Stephen J. Gould selbst Nachfahre einer dieser
"moronen" Rassen ist.
1884 kam ein italienischer Arzt zu dem Schluß,
Kriminalität sei das Resultat eines Artrückschlages: Der Mensch habe
in seiner Evolution die tierischen Verhaltensformen des Egoismus,
der Gewalttätigkeit etc. überwunden, aber primitive Gesellschaften
der Wilden sollen diese noch besitzen. Kriminell gewordenen Europäer
seien Opfer eines Artrückschlages (Atavismus), der diese sonst
verlorenen Merkmale wieder hervorbrachte. Cesare Lombroso fand
prompt eine Reihe von körperlichen Merkmalen, die die vermeintliche
Primitivität der Kriminellen zeigten. Es sollten aufgrund dieser
"wissenschaftlichen Erkenntnisse" Möglichkeiten gefunden werden,
Kriminelle zu erkennen, um sie vorbeugend an ihren Untaten zu
hindern, bevor sie ein Verbrechen begehen könnten.
7 8
In den USA wurden einige Menschen ohne ihr Wissen
sterilisiert, um die Vererbung der minderwertigen Gene zu
verhindern. Auch in Schweden wurde dies praktiziert; laut aktuellen
Presseberichten findet zur Zeit in Schweden eine Aufarbeitung dieser
Praxis statt, die bis 1950 betrieben worden sein soll.
Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in
Deutschland wurde daraus die Politik der Rassenvernichtung und
-hygiene, "wissenschaftlich" begründet mit dem Kampf ums Überleben
und der Selektion der überlegenen Erbmerkmale (survival of the
fittest), wie Darwin es für die Evolution der Lebewesen postuliert
hatte.18
Bei der Unterscheidung der Menschen in "primitiv"
und "hochentwickelt" war es nicht leicht, sich auf klare Merkmale
und einsichtige Theorien zu stützen, es fehlten klare Kriterien.
Gould stellt einige Ansätze dar, die heute verkrampft und lächerlich
wirken: so war Brinton 1890 z.B. der Ansicht, daß die Rasse, die die
meisten Merkmale des Embryonen oder des Kindes hat, am wenigsten
weit entwickelt sei. Prompt wurden solche Merkmale auch bei
Afrikanern gefunden, die generell schon für "primitiv" gehalten
wurden, z.B. die Distanz zwischen Penis und Nabel. Diese Distanz ist
bei Kindern relativ klein, aber bei Erwachsenen größer. Auch bei
Afrikanern sollte sie nach Untersuchungen dieser Zeit dann angeblich
kleiner sein als bei Europäern. Man stützte sich besonders auf die
weniger exakt erfaßbare Kultur der Völker, wobei die europäische
natürlich als die höchste galt.
Bald kehrten sich die Kriterien um, nicht aber
die Schlußfolgerungen. So stellte Bolk 1926 fest, daß der Weiße am
höchsten entwickelt sei, weil er körperlich auf der Stufe eines
Kindes stehengeblieben sei (genau umgekehrt wie oben). Andere Rassen
reifen nach Bolk weiter und werden, wie die Menschenaffen, je nach
Entwicklungsstufe weniger lernfähig und mehr "affen-ähnlich".7 9
Die verschiedenen Menschenrassen bleiben dabei nach dieser
Vorstellung jeweils auf Stufen der Altersentwicklung der
Menschenaffen stehen. (Daß manche Merkmale des erwachsenen Menschen
vergleichbar sind mit den "unreifen" Merkmalen von Menschenaffen,
ist heute allgemein anerkannt, jedoch unterschiedlich deutbar.)
Tatsächlich fand man, daß erwachsene Weiße
schwarzen Kindern ähneln in bezug auf Gebiß, Hautfarbe, Größe des
Gesichtsschädels im Verhältnis zu der des Hirnschädels, etc. Die
Merkmale, die vorher das Gegenteil bewiesen hatten, waren
uninteressant geworden, man machte sich die neuen Erkenntnisse
zunutze5 10
und zog dieselben Schlußfolgerungen wie früher aufgrund anderer
Merkmale.
Da in der postulierten Evolutionsreihe der
Wirbeltiere von den Fischen zu den Säugern das Gehirn an Größe
zunimmt, ging man davon aus, daß ein großes Gehirn auch beim
Menschen hohe Intelligenz und hohen Entwicklungsstand anzeigen
müßte. Bald fand sich die angebliche Bestätigung: Afrikaner haben
das kleinste Gehirn, Europäer das größte. Frauenhirne sind kleiner
als die der Männer etc.
Heute sind die Methoden, mit denen diese
Ergebnisse gefunden wurden, sehr fragwürdig, noch fragwürdiger aber
ihre Interpretation. Menschliche Intelligenz, soweit überhaupt zu
erfassen, ist nämlich in weiten Grenzen unabhängig von der
Gehirnmasse. Innerhalb einer Art läßt die Gehirngröße keine
Rückschlüsse auf Intelligenz zu.
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Auch heute beeinflußt der Evolutionsgedanke Menschenbild
und Ethik
Wie sieht es nach dem Zweiten Weltkrieg aus? Ein
bedeutendes französisches Werk der Zoologie12
zeigt die Formen des Unterkiefers der Primaten im Vergleich: unten
der Schimpansenkiefer mit fliehendem Kinn und mächtigen
Schneidezähnen, darüber folgen Kiefer mit zunehmender Kinnausprägung
und kleiner werdenden Schneidezähnen: Kiefer eines Tasmaniers, eines
Negers und schließlich, ganz oben, mit enorm vorragendem Kinn, der
Unterkiefer eines Franzosen, der sich in Kinn und Schneidezähnen am
stärksten von dem eines Schimpansen unterscheidet. Es fällt schwer,
hier nicht das Gefühl zu bekommen, daß es sich um eine aufsteigende
evolutionäre Reihe handelt - dabei hätte schon eine andere
Reihenfolge oder die Auswahl von weniger extremen Beispielen dies
verhindert.
1962 stellte Carleton Coon die Theorie auf, daß
sich fünf menschliche Rassen unabhängig voneinander aus Homo
erectus entwickelt hätten, mit den jeweiligen Charakteristika
der Verhaltenstypen, die er in den Rassen zu erkennen glaubte.
13
Ardrey (1961, 1976) sieht den Menschen als
Nachkommen eines fleischfressenden, aggressiven Primaten, dessen
Linie sich von den friedlicheren, sich vegetarisch ernährenden
Vormenschen abtrennte und somit die "Raubtier"-Gene für Mord und
Totschlag in unsere Zeit hineinträgt.13
Auch Forscher, die dem Darwinismus kritisch
gegenüberstanden, aber an eine Evolution durch andere Faktoren als
Mutation und Selektion glaubten, sahen in den dunkelhäutigen Rassen
Menschen, die sich nicht so weit entwickelt hätten wie die weiße
Rasse, und den Affen näher standen. Ein deutscher Kolonial-Offizier
ging davon aus, daß durch die Gewohnheit des Stehlens über viele
Generationen hinweg, diese Praxis bei Afrikanern erblich bedingt
sei.14
Die heutige Soziobiologie (seit ca. 1975) meint
im Menschen die Erbanlagen, die auch Verhaltensweisen der Tiere
diktieren, erkennen zu können: Überlebens- und
Vermehrungsstrategien, die es den Genen eines Einzelnen oder einer
Verwandtschaftsgruppe ermöglichen, sich in größtmöglicher Zahl
fortzupflanzen.15
In einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift
warnt der Primatologe Sommer vor "Moralaposteln", die auf die
Widernatürlichkeit der Homosexualität hinweisen, indem er zeigt, daß
"alle homosexuellen Praktiken, die es bei Menschen gibt, auch im
Tierreich [vorkommen]".16
Er führt als Beispiele aber nur Strategien der Tiere an, die einigen
wenigen Tieren einen Fortpflanzungsvorteil verschaffen. Sie kommen
gewissermaßen mit einem "Trick" zur Fortpflanzung. Sie tarnen sich
durch ihr Verhalten als Weibchen und werden so von einem starken
Männchen als solche behandelt und in der Nähe von seinen Weibchen
geduldet. Dies nutzen sie, um sich mit den Weibchen zu paaren. Das
hat wohl kaum mit der sexuellen Orientierung des Menschen zu tun. Es
scheint eher eine gesuchte Rechtfertigung für das erwachende
Selbstbewußtsein und das Ringen um Anerkennung der
Homosexuellenbewegung zu sein. |
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Ausblick: Mißbrauchte Theorie oder wissenschaftlich
verpackte Ideologie?
Es zeigt sich, daß für jede Ideologie
wissenschaftliche Kriterien gesucht werden - eine Vorgehensweise,
die einem in vielen Bereichen begegnet. Es scheint, daß beim
Menschen bevorzugt immer wieder solche Merkmale und Eigenschaften
aus der vorausgesetzten Evolution abgeleitet werden, die in der
jeweiligen vorherrschenden Denkrichtung der Zeit interessant sind
(also gern aufgenommen werden). Es wird also eine Theorie
mißbraucht, wie man alles mißbrauchen kann, auch eine
Schöpfungslehre. Dabei werden aus dem Zeitgeist heraus Theorien
entwickelt, die gesellschaftliche Grundmuster oder Vorurteile
stützen. Aus solchen Vorgehensweisen dürfen jedoch keine
vorschnellen Schlußfolgerungen über die zugrundeliegenden Theorien
gezogen werden; eine differenzierte Betrachtungsweise ist notwendig.
Andererseits darf auch nicht übersehen werden,
daß die Evolutionslehre nicht nur nachträglich als Rechtfertigung
für bestimmte rassistische Vorstellungen verwendet wurde, sondern
daß sie selbst auch in einem Klima bestimmter rassistischer
Vorstellungen entstand bzw. begünstigt wurde. Dies haben Desmond &
Moore17
in ihrer voluminösen Darwin-Biographie anhand umfangreichem,
größtenteils erst vor kurzem veröffentlichtem Quellenmaterial
eindrucksvoll herausgearbeitet.
Inwieweit die Evolutionslehre als "seriöse
Theorie" rassistisches Denken fördert oder ob sie dafür nur
mißbraucht wurde, ist nicht leicht zu beantworten.
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Anmerkungen
-
Wuketits, Franz M. (1989) Evolutionslehre und Kreationismus:
Wissenschaft kontra Ideologie. In: Praxis der
Naturwissenschaften 8/38, S. 28-33.
-
Anonym (1981) Darwin vs. Bible. In: Time, Dec. 21, 1981, S.
67.
-
Dunne, Philip (1990) Dissident Dogma and Darwin's Dog. In:
Time, Jan. 15, 1990, S. 84.
-
Gould, Stephen Jay (1981) The mismeasure of Man. London,
New York. Kapitel "American Polygeny and craniology", S. 30-72.
-
Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. London, New
York. Kapitel "Racism and Recapitulation", S. 214-221.
-
Gould, Stephen Jay (1981) The mismeasure of Man. Kapitel
"The Hereditarian Theory of IQ", S. 146-231.
-
Gould, Stephen Jay (1981) The mismeasure of Man. Kapitel
"Measuring Bodies", S. 122-135.
-
Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel
"Criminal as Nature's Mistake or the ape in some of us", S.
222-228.
-
Bolk vertrat die Auffassung, daß der Mensch dadurch vom Affen zum
Menschen geworden sei, daß er in seiner individuellen Entwicklung
(Ontogenese) auf einem jugendlichen oder kindlichen Stadium
stehenblieb und verfrüht geschlechtsreif und erwachsen wurde
(Neotenie). Das Nicht-Stehenbleiben auf dem jugendlichen Stadium
führe dann zu affenähnlicheren Formen. Von daher erklärt sich sein
Kriterium zur Unterscheidung von "primitiv" und "fortschrittlich".
Bolks Konzept von der Neotenie des Menschen gilt heute
evolutionstheoretisch nach wie vor als diskutabel.
-
Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel
"Racism and Recapitulation", S. 214-221.
-
Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel
"History of the vertebrate brain", S. 186-191.
-
Grassé, Paul-Pièrre & Benoit (1955) Traité de la Zoologie.
Anatomie - systematique Biologie. Paris.
-
Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel
"Nonscience of human Nature", S. 237-242.
-
von Paczensky, Gert (1979) Weiße Herrschaft. München, S.
135. Dies erinnert übrigens stark an den Lamarckismus, wonach im
Laufe des Lebens erworbene Merkmale auf die Nachkommen vererbt
werden.
-
Gould, Stephen Jay (1977) Ever since Darwin. Kapitel
"Biological Potentiality versus Biological Determinismus", S.
251-260.
-
Sommer, Volker (1990) Das Tabu. In: Natur 10/1990, S.
55-58.
-
Desmond, Adrian & Moore, James (1991) Darwin. München.
-
Siehe auch
Leserbrief aus Info 3/98
|
Dokumentation zu Art. 261bis
StGB (Rassendiskriminierung) |
|
Ein Psychophysiognomiker
erkldrt in einem Kurs unter anderem +J|dische Nase; zeige
+Entartung;. Vffentlichkeit? Einzelrichterin Bern-Laupen.
Freispruch. Rechtskrdftig.
Sachverhalt
Im +Beobachter; erscheint in Artikel des Journalisten Philippe
Welti, in dem dieser seine Beobachtungen anldsslich eines Kurses des
Vereins f|r Menschenkenntnis an der Universitdt Bern schildert. Der
Psychophysiognomiker Erwin Oertle habe unter anderem erkldrt: +Edel
sei die deutsche Nase. Schlecht weg kommen bei der Naseneinteilung
hingegen die j|dische und die arabische. +Die hdssliche Kr|mmung
zeigt Entartung an. Solche Menschen sind oft habgierig, nur auf
ihren eigenen Profit bedacht und versuchen andere Menschen zu
dominieren.; Um ihre Ziele zu erreichen, wdren Menschen mit
+j|dischen; Nasen sogar bereit, sich zu ducken. Vorsicht sei also
geboten. Und |ber die +unentwicklete Negernase; habe Oertle gesagt:
+Die Afrikaner leben ihrer Veranlagung gemdss unbek|mmert in den Tag
hinein und sind gl|cklich, wenn man ihnen nicht viel Arbeit
auferlegt.; Dhnliche Aussagen finden sich in einem
Physiognomik-Lehrbuch aus den 80er-Jahren.
Verfahren
Die Bernische Erziehungsdirektion erstattet Anzeige. Oertle
bestreitet die Aussagen. Der Untersuchungsrichter hvrt nur von
Oertle angebotene ZeugInnen an. Tenor der ZeugInnen: Sie hdtten
Oertles Aussagen nicht als rassistisch empfunden.
Sanktionen
Freispruch. Die Einzelrichterin spricht Oertle nicht nur wegen den
widerspr|chlichen Aussagen frei, sondern weil die Dusserungen nicht
unter die Rassismus-Strafnorm fallen w|rden. das Tatbestandsmerkmal
+Vffentlichkeit; sei fraglich. Besondere Freude machte die
Einzelrichterin dem Angeklagten und seinen anwesenden
SympathisantInnen, dass sie die Physiognomik nicht als Ideologie,
sondern als +Lehre, eventuell Wissenschaft bezeichnete und sich
dabei auf Cesare Lombroso, den Begr|nder einer rassistischen
Kriminalanthropologie berief. Nach Einblick in die Akten verzichtet
der Staatsanwalt auf eine Appellation, obwohl sich eine neue Zeugin
gemeldet hatte, welche die Angaben im +Beobachter;-Artikel
bestdtigte.
Aus den Erwdgungen
-
Anmerkung
Das Bundesgericht hat, so Marcel Alexander Niggli
(Rassendiskriminierung, N 699), +auch bei geschlossenen
Veranstaltungen Vffentlichkeit immer dann angenommen, wenn ein
unbestimmter bzw. unkontrollierter Personenkreis zugelassen wurde;.
Oertles Kurse wurden vffentlich ausgeschrieben und auch der Zutritt
nur f|r einen Vortrag war mvglich. Oertles Verteidiger griff in
seinem Plddoyer den Journalisten heftigst an und unterstellte ihm
mangelnde Kompetenz wie auch unehrenhafte Motive. Fazit des
Medienmagazin +Klartext;: +Medienschaffende, die |ber die
rechtsradikale Szene, |ber mvgliche rassistische Gruppierungen und
Sekten berichten, sollten sich daher unbedingt im Klaren sein, dass
die Betroffenen im Prozessfall alles daran setzen, die BotInnen und
ihr Medium auf die Anklagebank zu bringen. Wo in der tdglichen
Berichterstattung ein Beleg reicht, ein Zeuge gen|gt, muss im Falle
von Antirassismusvorw|rfen und Sektenbeobachtungen jede Aussage
doppelt und dreifach abgesichert werden. Denn immer werden die Gurus
aller Art - wie beim Oertle-Prozess in Bern - ihre AnhdngerInnen
aufbieten kvnnen, die bei 'bestem Wissen und Gewissen' die Unschuld
ihres Vorbilds beschwvren; schliesslich haben sie - so das Leitmotiv
der Berner Zeugenaussagen - 'seine Dusserungen nicht als rassistisch
empfunden';. (Klartext, 6/1997, S. 31) |
Einmal Mörder - immer Mörder
Sondereinsatzkommandos erzwingen genetische Fingerabdrücke.
Anwälte kritisieren Stigmatisierung.
Eingriffe verfassungswidrig n Von Kurt Schrage Düsseldorf (taz
ruhr) - Die Düsseldorfer Landeskriminalbeamten vom Dezernat 52 kamen
unangemeldet.
Geradewegs marschierten die Männer in die Brackweder Einzelzelle
des zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung
verurteilten Michael Heckhoff. Sie forderten den 40jdhrigen Mülheimer
auf, eine Speichelprobe entnehmen zu lassen. Falls er dagegen
protestiere, werde das Sondereinsatzkommando der Bielefelder Polizei
vorstellig. Der richterliche Beschluß zur Entnahme von Kvrperzellen
werde dann mit kvrperlicher Gewalt durchgesetzt. Heckhoff, der nach der
Werler Geiselnahme 1992 vor geraumer Zeit vom Wuppertaler
Hochsicherheitstrakt in den Trakt von Bielefeld-Brackwede I "verschubt"
wurde, willigte zdhneknirschend ein.
Die LKA-Beamten machten einen gründlichen Rachenabstrich und
verpackten Heckhoffs Speichelprobe in einem Plastikrvhrchen, um die
Probe zur Analyse des Erbmaterials (DNS) ins gerichtsmedizinische Labor
des Landeskriminalamtes zu bringen. Daß dieser Eingriff
"verfassungswidrig" gewesen sei, davon ist Heckhoffs Rechtsbeistand, der
Dortmunder Anwalt Reinald Imig, überzeugt. Es handele sich bei der
Sammlung genetischer Informationen von Gefangenen um eine "lebenslange
Stigmatisierung". Au_erdem kvnne ein Mi_brauch der Daten generell nicht
ausgeschlossen werden. Gesetzliche Grundlage für den Gen-Scan liefert
Ex-Innenminister Manfred Kanthers (CDU)
DNA-Identitdtsfeststellungsgesetz vom 7. September 1998. Demnach können
Gerichte von Paragraph 81g der Strafprozeßordnung Gebrauch machen und
von verurteilten Straftdtern einen genetischen Fingerabdruck verlangen.
Die individualspezifischen Besonderheiten in der Erbsubstanz der
üblichen Verddchtigen speichert das Bundeskriminalamt in zentralen
Gendateien. Sinn der neuen Methode ist unter anderem die Aufkldrung
ungelöster Straftaten: Nach Kapitalverbrechen, gefdhrlicher
Kvrperverletzung, schwerem Diebstahl, Erpressung und Verbrechen gegen
die sexuelle Selbstbestimmung sollen sichergestellte Gewebeproben
(Haare, Speichel, Blut, Sperma) zu 98 Prozent einen Tdter überführen
kvnnen. In Kanthers Katalog fehlen die Tdterprofile der Kriminellen aus
den Chefetagen. Im Aussehen erinnern die molekulargenetischen
DNS-Schnittmuster an Codestreifen von Supermarktware. So belaufen sich
die Kosten für die Ware "gldserner Schwerverbrecher" - je nach Qualitdt
einer DNS-Analyse - zwischen 2.000 und 8.000 DM. Warum aber in gro_
angelegten Reihenuntersuchungen Gendaten von Gefangenen erhoben werden,
die wie die Geiselnehmerduos Heckhoff / Knickmeier, Rvsner/ Degowski in
frühestens 15 Jahren das Gefdngnistor passieren dürfen, dazu mvchte das
Düsseldorfer Justizministerium keinen Kommentar abgeben. Mit Prävention
ist das jedenfalls nicht zu erklären. Konstruiert klingen die Gründe des
Amtsgerichtes Bielefeld: Heckhoff "ist als gefährlich einzuschdtzen und
hat bislang eine derart starke Neigung zur Begehung von Gewaltverbrechen
an den Tag gelegt, da_ zu besorgen ist, da_ er wieder straffdllig wird".
Wann "wird er wieder straffdllig?" 2015, 2020? Was geschieht mit dem
Gen- Profiling, wenn er im Gefängnis stirbt? Werden die Daten dann
vernichtet oder bleiben sie erhalten? Darüber gibt das Gericht keine
Auskunft. Vielmehr zeigt es sich darüber "besorgt", da_ der Gefangene
Heckhoff den "humanen" Strafvollzug wahrscheinlich ungebrochen
überstehen wird. Einer Resozialisierung mi_traut das Gericht
offensichtlich. Mit Kanthers Gendatei sind rückwdrtsgewandte
Kriminologen und Verhaltensgenetiker ihrem Traum, "biologische
Determinaten" für sozialaggressives Verhalten zu benennen, ein ganzes
Stück näher gekommen. Der Gründer der deutschen kriminologischen
Gesellschaft, Armand Mergen, weiß schon lange, daß "der geborene Mörder
mordet, weil er nicht anders sein kann, als er ist. Das biologische
Merkmal, das ihn zum Täter bestimmt, verbirgt sich in seinem Erbgut."
Aus Sicht der oberen Mittelschicht haben Kriminalbiologen schon immer
die Degeneration von sozial gedchteten Kriminellen belegen wollen. Der
italienische Psychiater Cesare Lombroso glaubte, den "geborenen
Verbrecher" (1871) am Körperbau zu erkennen. Für ihn war die
Prostituierte das weibliche Pendant zum männlichen Mörder.
Erkennungszeichen des kriminellen Typus waren laut Lombroso abstehende
Ohren, zusammengewachsene Augenbrauen, schmale Lippen, hervorstehende
Eckzdhne, Tätowierungen und "molekulare Verdnderungen der
Gehirnsubstanz". Lombrosos Lehre fand unter prominenten deutschen
Psychiatern und Juristen viele Anhdnger.
Da verwundert es kaum, daß noch heute Bochumer Jurastudenten von
Jürgen Baumanns Strafrecht, Allgemeiner Teil, das Menschenbild
vermittelt bekommen, daß "es wirklich den geborenen Verbrecher gibt".
"Es gibt den geborenen Sittlichkeitsverbrecher, den Psychopathen
(...).
Es gibt den Kleptomanen, der immer wieder Diebstähle begehen wird,
den Asozialen, der immer wieder wegen Landstreicherei und Bettelei
aufgegriffen wird (...)."
Alles graue Theorie?
Nein. Praktischen Anschauungsunterricht bekommen Bochumer
Jurastudenten wdhrend der Kriminologievorlesungen von Hans-Dieter
Schwind (CDU). Der Ex-Justizminister Niedersachsens und Professor für
Kriminologie prdsentiert immer wieder seinen 1.- und 2.-Semestern einen
inhaftierten Lebensldnglichen und eine Prostituierte.
Da Kriminologie sich als empirische Wissenschaft darstellt, stehen
Schwind als Vergleichsgruppe ein Hausmeister und eine Putzfrau zur
Verfügung. Die StudentInnen dürfen dann mal raten, wer was ist. Lombroso
will never die.
Kurt Schrage
Kriminologische Theorien zur Verbrechensentstehung
Körperliche Konstitution
- Lombroso: These vom geborenen Verbrecher
- Der Verbrecher befindet sich auf einer anthropologisch niederen
Stufe der Menschheit. Er stellt einen Rückfall in frühe menschliche
Entwicklungsstadien dar. 35% der nach anatomischen Kriterien
untersuchten Gefängnisinsassen verkörperten diesen Menschentypen.
- Als "Kriminaltherapie" schlug Lombroso die lebenslage
Internierung oder Beseitigung vor. Bei Jugendlichen sollte versucht
werden, die schädlichen Anlagen sinnvoll zu nutzen: Mordlustige zum
Militär, geschlechtlich allzu erregbare Frauen zu Prosituierten.
- Vererbung: Es gibt erbliche physische und psychische Bedingungen,
die die Neigung zu strafbaren Handlungen erhöhen
- Zwillings- und Adoptionsstudien
- bei Zwillingen: Ausgangsthese, daß eineiige Zwillinge in
stärkerem Maße identische kriminelle Lebensläufe aufweisen, konnte
bestätigt werden.
- Problematisch ist hierbei jedoch, daß Zwillinge in der Regel
identisch erzogen werden und sich alleine aus der
Zwillingseigenschaft eine besondere Erziehung ergibt
- Adoptionsstudien: Kriminalität korreliert stärker mit dem
biologischen Status des Vaters aber auch mit dem sozioökonomischen
Status des Adoptivvaters.
- Methodologische Kritik: Viele der untersuchten Jugendlichen
hatten zuvor Heimaufenthalte hinter sich.
- Adoptiveltern neigen eher zu einem nachgiebigen -
schädlichen - Erziehungsstil.
- bestimmte genetische und hormonelle Störungen führen zu
Auffälligkeiten, die sich auch in Kriminalität äußern können ->
trotzdem kein zwingender Zusammenhang feststellbar
Psychoanalytische Ansätze
- Freud: Psychoanalyse erfaßt Täter als Individuum und
Psychologie der strafenden Gesellschaft als kollektiver psychischer
Mechanismus
- der Mensch ist von Natur aus asozial und in seinem Treiben
hemmungslos; durch Erziehung (äußere Zwänge) wir eine innere Kontrolle
aufgebaut und die Triebe / Wünsche werden ins Unterbewußtsein
verdrängt
- ES (Sitz der elementaren Triebe, gehört zur
Grundausstattung); ÜBER-ICH (Moral-, Wert- und
Normvorstellungen, muß durch Sozialisation ausgebildet werden; ICH
(Gedächtnis, Wahrnehmung, Denken, etc. Steuerung des ES mit Hilfe des
ÜBER-ICHs)
- durch fehlerhafte Erziehung kann es zu Störungen in der
Persönlichkeitsentwicklung kommen, die zu Kriminalität führen können;
Kriminalität "entsteht" also in der Kinderheit
- Aichhorn: Soziales Verhalten setzt ein starkes ÜBER-ICH
voraus. Durch schwankende Erziehung, Ablehnung durch die Eltern oder
Beziehungsstörungen zwischen den Eltern wird Ausbildung des
ÜBER-ICHs behindert.
- die Gesellschaft kann eigene Schwächen und Triebe auf den Täter
als Sündenbock projizieren
Lerntheorien
- Straffälligkeit wird gelernt wie anderes Verhalten auch
- Eyseck: Straffälligkeit ist Ergebnis mißlungener
Konditionierung, wobei Extrovertierte schlechter konditionierbar sind
als Introvertierte
- Beobachtungs- und Modellernen: Verhaltensmuster werden übernommen
- Konditionierung kann auch durch Strafandrohung erfolgen
- operante Konditionierung: Lernen durch Erfolg
- Sutherland: Theorie der differentiellen Kontakte: Lernen
vollzieht sich in erster Linie in Gruppen (-> Subkulturtheorien) und
ist orientiert an den dort geltenden Normen
- nicht alle Kontakte sind gleich wichtig für das Lernen;
besonderes Gewicht haben die Personen, mit denen man sich am
stärksten identifiziert (Verstärkung -> Konditionierung)
- Experimentelle Bestätigung: Kinder konnten beobachten, wie
Erwachsene mit einem Gummihammer auf eine Clownpuppe einschlugen.
Selber mit der Puppe allein gelessen, taten sie das selbe. Besonders
aggressive gingen die Kinder mit der Puppe um, wenn sie von den
Erwachsenen für ihr Verhalten, belohnt wurden. Kinder, die ohne
entsprechende Vorbilder mit der Puppe allein gelassen wurden, spielten
friedlich mit ih.
- Kritik:
- zu einfaches Menschenmodell
- Affekt- und Triebtaten werden überhaupt nicht erfaßt
- warum kommt es überhaupt zur Bildung von Gruppen?
- praktische Bedeutung:
- Verhaltenstherapie geht davon aus, daß auch richtiges Verhalten
erlernbar ist
- Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen im Strafvollzug um
Lernen zu verhindern
Halt- und Bindungstheorien
- Erklärungsbedürftig ist nicht das abweichende sondern das konforme
Verhalten
- Hirschi:
- attachment to meanigful persons
- commitment to converional goals
- involvement in conventional activities
- belief in social rules
Theorie des Kulturkonfliktes
- Konflikt zwischen zwei Kulturen
- die eine Kultur gebietet ein Verhalten, die andere verbietet es
(z.B. Blutrache)
- mittelbarer Kulturkonflikt
- Benachteiligung von Fremden führt bei diesen zu Problemen bei
der Persönlichkeitsbildung
Subkulturtheorie
- am Rande von Großstädten gibt es gangland, in denen andere Normen
herrschen und durch sozale Kontrolle aufrecht erhalten werden
- Cohen: spiegelbildliche Negation von Mittelstandsstandards
- sinnloser Vandalismus, Diebstahl gegen die reichen und feinen
Leute
- peer-group bietet Vaterersatz; hohes Maß an Solidarität und
Konformität
- Kritik:
- ist nur auf (amerikanische) Großstädte zugeschnitten
- Straßenbanden fehlen in vielen Ländern, die dennoch hohe
Jugendkriminalität haben
- bleibt offen, ob Gangs Ursache oder Ergebnis für / von
Kriminalität ist
Anomietheorie (Mertons)
- es herrscht Einigkeit über die erstrebenswerte Ziele: Wohlstand,
Status, Erfolg und die legitimen Mittel: Intelligenz,
Leistungsbereitschaft
- die kulturellen Ziele werden von allen geteilt, die legitimen
Mittel stehen aber nicht allen offen
- bei den Mitgliedern der Unterschicht entsteht deshalb ein
anomischer Druck
- Zu Kriminalität kommt es also erst, wenn die Gesellschaft nicht
mehr in der Lage ist, die individuelle Bedürfnisbefriedigung zu
kontrollieren. Kriminalität ist ein Symptom für das
Auseinanderklaffen von kulturell vorgegebenen Zielen und sozial
strukturierten Wegen, auf denen diese Ziele zu erreichen sind.
- Kritik:
- ist gesellschaftsbezogen, erklärt nicht das Individuum
- ist auf Eigentums- und Vermögensdelikte zugeschnitten; erklärt
vor allem nicht die "white collor"-Kriminalität
- empirisch hätte die Kriminalität bei Einwanderern (keine
legitimen Mittel) am höchsten sein müssen, was sie nicht war
Theorie der differntiellen Gelegenheit
- Weiterentwicklung der Anomietheorie
- Ansatz: Auch der Zugang zu illegitimen Mitteln kann versperrt sein
- innerhalb der Unterschicht gibt es Gruppen
- conflict subculture (Einwanderer, die sowohl von den legitimen,
als auch den illegitimen Mitteln abgeschnitten sind ->
Gewaltdelikte)
- retrealist subculture (echte outsider -> Drogendelikte)
- criminal subculture (erfolgreiche Kriminelle mit Zugang zu
kriminellen Lernmilius und Informationen über günstige
Gelegenheiten, auch mit Kontakten zu legalen Bereichen)
Etikettierungsansätze; Theorie vom labeling apprach
- "Wir verurteilen die Tat nicht weil sie ein Verbrechen ist,
sondern sie ist ein Verbrechen, weil wir sie verurteilen."
- die Normen, die ein Verhalten als kriminell einstufen führen kein
Eigenleben, sondern existieren nur in der konkreten Interaktion von
Menschen
- bei Konflikten kommt es auf die Definitionsmacht der Beteiligten
an, ein Verhalten als abweichend zu kennzeichnen -> These von der
sozial selektiven Sanktionierung
- die Identität eines Menschen entsteht durch Zuschreibungs-,
Definitions- und Etikettierungsvorgänge in sozialer Interaktion
- Zuschreibungen (Dieb, Rumtreiber) bleiben nicht ohne Einfluß auf
das Selbstbild des Betroffenen
- die Gesellschaft schafft mit ihren Zuschreibungen erst die
Voraussetzungen für kriminelle Karrieren
- Bsp: nicht ehelich geboren
- ätiologische Sicht: Fehlen des Vaters verhindert
Über-Ich-Bildung; Berufstätigkeit der Mutter führt zu gefährlichen
Kontakten; fehlende elterliche Kontrolle wirkt sich negativ auf
Beruf aus -> Kriminalität
- labeling: Nichtehelichkeit steht für den Beginn einer erhöhten
sozialen Kontrolle
- Kritik:
- Wenn Kriminalität das Ergebnis von Zuschreibung ist, dürfte es
kein Dunkelfeld geben.
- Der Labeling-Ansatz übersieht, daß es sich bei dem "abweichenden
Verhalten", das der Stigmatisierung vorausgehet, häufig um
Normbrüche handelt, über deren Einschätzung als "kriminell"
Einigkeit in der Gesellschaft besteht.
Mehrfaktorenansätze
Unravaling Juvenile Delinquency (S. und E. Glueck) 1950
- Untersuchung von 500 delinquenten und 500 unauffälligen
Jugendlichen zwischen 11 und 17 (Durchschnitt 14,5) Jahren,
Nachuntersuchung nach 15 und 31 Jahren
- Erhoben wurden Daten aus dem soziokulturellen Bereich,
körperlichen Bereich, Intelligenz, psychischen Bereich
- bestimmte Variablen korrelierten besonders stark mit
Straffälligkeit
- die Addition bestimmter Faktoren soll besonders hohe Korrelation
aufzeigen
- die meisten Faktoren sind rein äußerlich (Erziehung durch den
Vater, Zusammenhalt der Familie)
- führte zur Erstellung von Prognosetafeln mit 90%iger
Genauigkeit
- bei 500 Delinquenten und 500 Nichtdelinquenten, werden 900
richtig zugordnet -> Verhältnis 9 : 1
- bei einem Verhältnis D : ND von 5 : 100 (was eher der Realität
entspricht), werden von 1000 Jugendlichen von den 50 Delinquenten 45
richtig erkannte, bei den 950 Nichtdeliquenten werden 10% = 95
falsch zugeordnet -> Verhältnis 1 : 2
Die Cambridge Study in Delinquent Development (D. J. West) 1970
Kohortenstudie
- 411 Jugendliche im Alter von 8 bis 9 Jahren werden bis zum 24
Lebensjahr beobachtet
- im Gegensatz zu den Gluecks nicht retrospektiv
- keine Stigmatisierung
- 5 Schlüsselfaktoren mit besonderer Vorhersagekraft: niedriges
Familieneinkommen, große Familie, mangelhafte Erziehung, niedrige
Intelligenz, straffälliges Elternteil
- mehr als 3 Schlüsselfaktoren führen mit 50%iger Wahrscheinlichkeit
zu Straffälligkeit
- Probleme
- statistische wie bei den Gluecks
- wenig aussagekräftige Merkmale
Kriminalität und Massenmedien
- Katharsishypothese:
- Das Ansehen von Gewalt führt bei den Zuschauern zu einem
Aggressionsabbau.
- Das Betrachten von Gewaltszenen führt zu Gewaltphantasien, die
aus Angst vor innerer und äußerer Vergeltung nicht realisiert
werden. Das Anschauen hat hierbei die Funktion einer
Ersatzbefriedigung.
- Inhibitationsthese:
- Im Ansatz wie die Katharsishypothese.
- Das Ansehen von Gewalt führt jedoch nicht zu einer
Aggressionsabfuhr, sondern ruft Schuldgefühle und Furcht vor
Vergelung hervor, es kommt deshalb zu einer
Aggressionsunterdrückung.
- Stimulationsthese
- Das Ansehen von Gewalt führt zum Erlernen gewalttätiger
Verhaltensmuster. Die Theorie basiert dabei auf den allgemeinen
Lerntheorien.
- Habitualisierungsthese
- Wie die Stimulationsthese; der Schwerpunkt liegt jedoch nicht
beim Erlernen, sondern beim Gewöhnen an Gewalt.
- Der Konsum von Gewalt führt zu einer Abnahme an Sensibilität
gegenüber Gewalt.
- Anomietheorie
- Die Massenmedien geben die gesellschaftlichen Ziele vor.
Zugleich zeigen sie, wie man diese Ziele mit gesellschaftlich nicht
gebilligten Mitteln erreichen kann.
- Gewaltdarstellungen fungieren als verfehlte
Konfliktlösungsmodelle zum Abbau des anomischen Drucks.
Wohnumfeld und Kriminalität
- Ansatz ist weniger das Individuum oder die "große" Gesellschaft
als vielmehr das Wohnumfeld. Von besonderem Interesse ist hierbei, wie
es dazu kommt, daß ein Wohngebiet von gering zu hoch kriminell
belastet umschlägt.
- "broken-windows"-Hypothese
- Das äußere Umfeld - zerbrochene Fenster, Graffiti etc. - führen
dazu, daß sich die "Rechtschaffenden" zurückziehen und die Straße
immer mehr kriminellen Personen überlassen. Hierdurch entsteht
letztendlich ein Teufelskreis: Die, die es sich leisten können
ziehen weg, kriminell auffällige Personen ziehen zu - ein Viertel
kippt um.
- Um diesem Teufelskreis Herr zu werden, greifen
"Zero-tolerance" Konzepte schon bei ersten Anzeichen von
"Unordnung" hart durch.
Viktimologie
- Wissenschaft vom Verbrechensopfer
- Fragestellungen:
- Warum kam es zur Tat?
- Was hat sich während der Tat zwischen Täter und Opfer abgespiel?
- Wie wird die Tat vom Opfer sowie durch Polizei und Justiz
verarbeitet?
- Täter-Opfer-Beziehung
- Viele Delikte finden im sozialen Nahfeld statt (bei
vorsätzlichen Tötungsdelikten etwa 80-90%).
- Es gibt eine "Opferanfälligkeit". Viele Opfer sind vor der
eigentlichen Viktimisierung bereits psychisch oder physich
geschädigt. Hierdurch ist ihre Vereidigungsfähigkeit geschwächt.
(Z.B. illegale Prostituierte, Kinder, Alte).
- Die Viktimisierung
- Rechtfertigungstechniken des Täters
- Das Opfer wird als wertlos definiert ("Ausländer").
- Das Opfer wird entpersonalisiert.
- Der Opferschaden wird verneint ("zahlt die Versicherung").
- Geschlechterspezifische Situationsverkennung
- Für den Bereich der Sexualstraftaten wird teilweise eine
geschlechterspezifsche Situationsverkennung angenommen. Der Täter
deutet hierbei bestimmte Signale falsch (das Tragen kurzer Röcke,
als sexuelle Bereitschaft).
- Hierbei dürfte es sich letztlich wohl eher um den Versuch
handeln "wissenschaftlich" zu belegen, was Mann schon immer
dachte.
- Forensiche Erfahrungen mit Vergewaltigungsfällen belegen, daß
die Täter die Ablehnung der Frau als eindeutig erfahren haben.
- Opferverhalten
- Das Opfer kann den Rechtfertigungsmechanismen entgegenwirken.
Besonders bei Geiselnahmen und Entführungen hat sich gezeigt, daß
Opfer, denen es gelingt eine persönliche Beziehung zu Tätern
aufzubauen einem weniger großem Risiko ausgesetzt sind.
- "Live-style"-Verhalten: Das Opfer verzichtet mehr oder minder
bewußt auf Schutzmaßnahmen, um einen bestimmten Lebensstil führen zu
können. (z.B. nächtliches Trampen junger Mädchen). Hier gilt es
jedoch festzustellen, daß dies in aller Regel den Täter nicht
entlasten kann.
- Primärviktimisierung
- unmittelbar physische und psychische Folgen der Tat
- Opfer von Gewaltverbrechen können die Viktimisierung oft ein
Leben lang nicht verarbeiten und haben auch lange Zeit nach der Tat
noch Angstzustände.
- Nicht unterschätzt werden darf auch die Viktimisierung durch
Einbruchsdiebstähle. Grund hierfür ist der "Einbruch" in die
Privatsphäre und der Verlust an subjektivem Sicherheitsempfinden in
den eigenen "vier Wänden".
- Sekundärviktimisierung
- Viktimisierung durch die Reaktion Dritter - vor allem Polizei
und Justiz - auf die Tat
- Besonders im Bereich der Sexualdelikte empfinden es die Opfer
als erniedrigend noch einmal im Detail über die Tat berichtetn zu
müssen. Weil viele Opfer diesen Mechanismus fürchten, kommen viele
Taten erst gar nicht zur Anzeige. Bei Vergewaltigungen wird ein
Dunkelfeld von 1:5 bis 1:10 angenommen.
© by Alexander Koch (ak@laWWW.de) 1999
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