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Newsletter von Maulkorbzwang und den Dogangels

Heute mal wieder rein politisch.......

* Streit um Airbus-Beschaffung beigelegt

* Mahler, Schily, Ströbele, Schröder: Lob der Freundschaft

* NPD-Verbotsantrag-Retrospektive:

* Ein trojanisches Pferd und seine Reiter


Streit um Airbus-Beschaffung beigelegt


Karlsruhe (dpa) - Der haushaltsrechtliche Streit um die Beschaffung von 73
Airbus-Militaertransportflugzeugen durch die Bundesregierung ist beigelegt.
Nach einer Erklaerung von Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) vor
dem Bundesverfassungsgericht erklaerten die Fraktionen von Union und FDP am
Dienstag ihre Eilantraege fuer erledigt. Daraufhin verkuendete
Gerichtspraesidentin Jutta Limbach den Beschluss: «Das Verfahren wird
eingestellt.» Beide Seiten sahen sich vom Verlauf in ihren jeweiligen
Positionen bestaetigt.

Scharping hatte in Karlsruhe erklaert, die Bundesregierung werde den sieben
Vertragspartnern nur ein politisches Signal fuer die Teilnahme Deutschlands
an dem 8,6 Milliarden Euro (16,8 Milliarden Mark) teuren Projekt geben und
keine rechtliche Bindung eingehen. Die Entschliessung des Bundestags vom
vergangenen Donnerstag, der das Projekt mit der rot-gruenen Mehrheit
gebilligt hatte, werde ebenfalls als «politische» Unterstuetzung gewertet.

Nach Scharpings Aeusserungen waehrend der Verhandlung hatte Jutta Limbach
bereits angedeutet, dass der Fall damit erledigt sein koennte. Das Gericht
unterbrach die Sitzung, um den Beteiligten Gelegenheit zur Pruefung der neuen
Situation zu geben.

Der Gruenen-Haushaltspolitiker Oswald Metzger kritisierte Scharpings
Verhalten. Er habe die Vereinbarung mit den Partnern unter den Vorbehalt
einer haushaltsrechtlichen Absicherung bis zum 31. Januar gestellt, «wohl
wissend, dass das haushaltsrechtlich nie und nimmer geht». Der Minister habe
damit «ohne jede Einschraenkung» ein schlechtes Handling bewiesen, sagte
Metzger am Dienstag im Deutschlandradio Berlin.

Die Bundestagsfraktionen von Union und FDP hatten sich mit ihrem Eilantrag
an Karlsruhe gewandt, weil ihrer Ansicht nach das 8,6 Milliarden Euro teure
Projekt haushaltsrechtlich nicht vollstaendig abgesichert ist, da im
laufenden Etat nur 5,1 Milliarden Euro ausgewiesen sind. Sie wollten eine
international bindende Erklaerung der Regierung verhindern, weil dadurch das
im Artikel 110 Grundgesetz garantierte Haushaltsrecht des Bundestags
ausgehebelt wuerde. «Es geht um das vornehmste Recht des deutschen
Bundestags», sagte CDU- Fraktionschef Friedrich Merz am Dienstag in
Karlsruhe. Den Fehlbetrag will die Regierung nun in den Etat 2003
einbringen.

Sowohl Scharping als auch Merz und der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang
Gerhardt begruessten die Entscheidung. «Wir haben die Sache fuer erledigt
erklaert, weil mit Scharpings Erklaerung das, was wir erreichen wollten, in
vollem Umfang erreicht war», sagte Merz in Karlsruhe. Der
Verteidigungsminister habe eine «vollstaendige Unterwerfungserklaerung»
abgegeben.

Scharping dagegen sieht durch das Bundesverfassungsgericht «exakt die Linie
bestaetigt, die wir von Anfang an verfolgt haben». Deutschland habe seinen
Partnern immer nur politische Zustimmung signalisiert und unter Hinweis auf
das Haushaltsrecht des Bundestags eine rechtliche Bindung vermieden. Die
Opposition haette sich ihren Antrag sparen koennen, sagte er in Karlsruhe.

Der Minister beharrte auf Nachfragen darauf, er habe auch am Donnerstag im
Bundestag gesagt, die Regierung werde gegenueber den Vertragspartnern nur
eine politische Erklaerung abgeben. Am Donnerstag hatte Scharping allerdings
auf eine konkrete Nachfrage von Merz, der diesen Punkt aufklaeren wollte,
keine Antwort gegeben.

Die bis 2007 geplante Beschaffung von insgesamt 196 Grossraumtransportern vom
Typ Airbus 400 M war am 18. Dezember des vergangenen Jahres vereinbart
worden. Politisch ist sie im Bundestag weitgehend unumstritten. Die
Bundesregierung, die mit 73 den groessten Anteil an Flugzeugen abnehmen will,
moechte damit die Faehigkeit der Bundeswehr zur Krisenreaktion verbessern. Das
Projekt soll mehr als 3700 Arbeitsplaetze bei der deutschen
Luftfahrtindustrie und indirekt weitere 8000 Jobs schaffen.



29.01.2002 16:20 MEZ
 

Mahler, Schily, Ströbele, Schröder:
Lob der Freundschaft

* Horst Mahler: Vom RAF-Anwalt zum rechten Vordermann

* NPD-Verbotsantrag-Retrospektive: 05. Februar 2001

* Der ewige Desperado

* Horst Mahler über Schröder - Trinkrunde mit dem Weltgeist 

* Ein trojanisches Pferd und seine Reiter
Gerhard Schröder, Horst Mahler, Bernd Rabehl und die "Berliner Republik"


 




http://www.kontraste.de/9906/manuskripte/txt3.html
Horst Mahler: Vom RAF-Anwalt zum rechten Vordermann
AUTOR: Reinhard Borgmann:


 

 

Mit 20 war er im SDS, mit 40 warb er für die FDP, mit 60 hält er Reden in NPD-Zirkeln.

Horst Mahler, APO-Prominenter von einst, hat eine merkwürdige Wandlung vollzogen. Oder vielleicht gar keine Wandlung? Reinhardt Borgmann beschreibt den Weg eines Mannes vom linken Terroristen zum rechten Extremisten. Ein Phänomen oder nur durch und durch autoritär? Oder eine ganz normale Karriere?


Horst Mahler, Ex-Terrorist, 63 Jahre alt. Früher Mitglied der Baader-Meinhof-Gruppe. Heute Hauptredner bei einer Kundgebung zum 8. Mai am Brandenburger Tor. Thema "Gegen das Vergessen" Mahler will politische Ideen Adolf Hitlers wieder salonfähig machen:

Horst Mahler:
"Diese Gleichsetzung, wenn Hitler das uns das gesagt hat, dann ist das das Böse, dann dürfen wir darüber nicht nachdenken, ist Teil unseres Verderbens. Wir sind heute als Volk ohne Willen ein Volk zu sein, Einflüssen und Mächten ausgesetzt, die uns letztenendes restlos zerstören weil wir es nicht gelernt haben, oder verlernt haben, diesen Einflüssen durch die Kräfte der Volksgemeinschaft Grenzen zu setzen."

Wie sich die Zeiten ändern: Vor 30 Jahren wäre Mahler das Wort "Volksgemeinschaft" niemals über die Lippen gekommen. Nicht "Nationalismus" sondern "Internationalismus" war 1968 die Parole, radikale Kehrtwende von links nach rechts.

Damals ging Mahler mit der außerparlamentarischen Bewegung für Sieg des Sozialismus auf die Straße. Nach dem weltweiten Scheitern dieser Utopie propagiert er heute Konzepte, die sich an die nationalsozialistische Ideologie anlehnen.

Horst Mahler:
"Wir können nicht allein, weil Hitler sich mit bestimmten Themen durchgesetzt hat, diese Themen tabuisieren, sondern wir müssen gucken, wo hatte er möglicherweise im Ansatz Recht, hatte er ein Lebensproblem des deutschen Volkes aufgegriffen und hat es aber ins Negative gewendet und auch mißbraucht."

Frage: "Was meinen Sie konkret dabei?"

Horst Mahler:
"Na, zum Beispiel den Gedanken, daß - er hatte sie genannt "die Plutokratie", das war sein Begriff für den einseitig zerstörerischen Kapitalismus, das der gebändigt wird durch den nationalen Staat."

1967: Horst Mahler im Republikanischen Club, ein Treff der Linken. Neben Mahler sprach hier Rechtsanwalt Ulrich Preuß, heute Professor für Verfassungsrecht. Er versteht den Genossen von einst nicht mehr.

Ulrich K. Preuß, Staatstrechtler, ehem. Kollege von Mahler:
"Ich empfinde das als erschreckend und habe immer in meinem Leben die Auffassung vertreten, daß wer wirklich mal im SDS gewesen ist, also zur Zeit vor der außerparlamentarischen Opposition, dort gewissermaßen seine theoretische Ausbildung erfahren hat, daß der immun ist gegen derartiges. Jetzt sehe ich, daß bei Horst Mahler das nicht der Fall ist und erkläre mir das so, daß ich sage, er ist im Grunde genommen, er hat im Grunde genommen keine wirklich gute theoretisch politische Ausbildung erfahren. Vielleicht versuche ich mich selbst damit etwas zu trösten."

Damals war Mahler eine Gallionsfigur der Linken. Der hochbegabte Star-Anwalt war ein Motor der Bewegung und sein sozialistisches Anwaltskollektiv eine Hoffnung für viele.

Ostern 1968: Mordanschlag auf Rudi Dutschke. Die außerparlamentarische Opposition radikalisiert sich. Beim Sturm auf das Springer-Hochhaus ist Mahler an vorderster Front dabei.

Mai 1970. Der sogenannte "bewaffnete Kampf" beginnt. In diesem wissenschaftlichen Institut in Berlin fallen die ersten Schüsse. Der wegen Kaufhausbrandstiftung verurteite Terrorist Anderas Baader wird gewaltsam aus der Haft befreit. Zusammen mit Mahler und weiteren Mitgliedern der inzwischen gegründeten RAF setzen sie sich in den Nahen Osten ab. Training für den bewaffneten Guerilliakampf.

Zusammen mit seinen Genossen setzt Mahler eine gnadenlose Terrormaschine in Gang. Zahlreiche Attentate und Morde sind die Folge. Auch nach seiner Festnahme im Oktober 1970 unterstützt er die RAF aus dem Gefängnis heraus ideologisch weiter. In den folgenden Jahren sterben über 50 Menschen.

1972: Solidaritätsdemonstration für Mahler. Er wird wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Seine Verteidiger: Hans Christian Ströbele und Otto Schily. Das Urteil: 12 Jahre Haft. Trotz der Toten durch die RAF: Mahler bereut nichts.

Erst 1974 distanziert er sich von der RAF. Bei der Entführung von Peter Lorenz lehnt er es ab dich wie die übrigen Gefangenen gegen den Berliner CDU-Vorsitzenden austauschen zu lassen. Seinen Mitgefangenen von der RAF folgt er nicht in den Nahen Osten. Mahler hat längst neue Freunde, jetzt bei der maoistischen KDP.

Horst Mahler (1975):
"Arbeiter, Werktätige, Genossen, kämpft mit der kommunistischen Partei für eine menschliche Gesellschaft, für den Sozialismus. Laßt Euch von der bürgerlichen Hetze nicht einschüchtern. Vorwärts mit der KPD."

Heute redet Mahler vor Mitgliedern der NPD. Hier schürt er die Furcht vor der Globalisierung. Der Schuldige ist schnell gefunden: Ein unkontrollierbares Weltmanagment würde Deutschland ins Chaos stürzen. Gegen die Vorherrschaft der USA will er antreten, die Stunde Deutschlands sei gekommen, die neuen Freunde von der NPD sind begeistert:

Horst Mahler:
"Die USA sind deutlich von Dekadenz gezeichnet. Ihre Macht, die Macht des Dollars, hat globale Gestalt angenommen. Sie hat ihre Stützpunkte in den finanziellen Zentren an der Ostküste. Dort sind es nur wenige, nur einige Dutzend Spekulanten, in deren Händen die weltweit geknüpften Fäden zusammenlaufen. Diese Herrschaft ist schieres Schmarotzertum, eine tödliche Gefahr für die Menschheit."

Weltherrschaft, Verschwörung, Spekulanten und Schmarotzer: Mahler provoziert mit Begriffen aus der Nazizeit. Für den politischen Amoklauf Mahlers findet sein früherer Sozius nur noch eine psychologische Erklärung: Mahlers Neid auf den Erfolg seiner früheren Kollegen:

Klaus Eschen, Verfassungsrichter Berlin, ehem. Kollege von Mahler:
"Sein damaliger Kollege, mit dem er viel verteidigt hat, Otto Schily, ist heute Innenminister. Sein damaliger Sozius, Ströbele, ist Bundestagsabgeordneter und ein bedeutender Politiker der Grünen. Und er selber ist im Grunde über eine bestimmte Rolle als Anwalt nicht hinausgekommen, und die Rolle, die er heute spielt, ist nicht zu vergleichen mit der wichtigen Rolle, die er zwischen 1967 und 70 gespielt hat."

Heute kämpft Mahler gegen die angebliche "Überfremdung Deutschlands". Unterstützt wird er von Manfred Roeder, einem wegen Anschlägen auf Ausländerwohnheime verurteilten Rechtsextremisten.

Manfred Roeder:
"Mahler hat einfach immer gegen Unrecht demonstriert, eh, genau wie ich damals. Und er hat gegen das, was er als Unrecht gesehen hat, demonstriert, mit damals linken Schlagworten: Vietnam den Vietnamesen. Aber er sagt, daß das für ihn auch gleich immer bedeutete, Deutschland den Deutschen. Das war für ihn immer selbstverständlich. Also im Grunde hat er sich nicht geändert, sondern nur konsequent seinen Weg weitergegangen."

Horst Mahler kämpft konsequent und unermüdlich für deutsch-nationale Ziele. Konsequent und unermüdlich, das war er schon immer. Wo andere zweifelten, hatte er Gewißheit. Horst Mahler, eine deutsche Karriere.


 

Rechts? Links? Vergeblicher Richtungsstreit über Mahler und übrigens nicht wenige seiner Genossen von einst. Immer auf der Suche nach einer schlichten Welt, in der vor allem einer recht hat - er selber.

 

 


NPD-Verbotsantrag-Retrospektive:05. Februar 2001

Der ewige Desperado
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,116787,00.html

Gerhard Schröder war sein Anwalt, und Otto Schily verteidigte ihn: Horst Mahler, irrlichternd zwischen Linksterroristen und Neonazis. Noch einmal hat er einen großen Auftritt - vor dem Verfassungsgericht, wenn er die NPD retten will. Von Hans-Joachim Noack

Die "Werkstatt Neues Deutschland", ein unscheinbares und mit moderner Informationstechnologie bestücktes Büro, liegt im brandenburgischen Kleinmachnow. Wer sie erreichen will, muss sich wenige Meter östlich der ehemaligen Berliner Mauer in einem eng verbauten Reihenhaus auf einer ausklappbaren Dachbodentreppe hochhangeln.

Unter dem Spitzgiebel hockt der 65jährige Horst Mahler, in der nahen Hauptstadt Sozius in einer Anwaltskanzlei, die sich auf Ökonomie spezialisiert hat. Bekannter aber ist er durch andere Aktivitäten: In den heißen Zeiten der RAF zählte der Jurist zu den Köpfen der "Baader-Meinhof-Bande" und bezahlte dafür mit zehn Jahren Knast.

In den wilden Siebzigern ein Hoffnungsträger für Desperados am äußersten linken Rand der Gesellschaft, darf er sich heute als Star der Rechtsextremisten hier zu Lande

empfinden: Der im Sommer 2000 der NPD beigetretene ruhelose Kreuz- und Querdenker soll die schwer ins Gerede gekommene Partei vor dem drohenden Untergang retten.

Das Kabinett Gerhard Schröder (und in seinem Schlepptau Bundestag und Länderkammer) möchte den Neonazis endlich den Garaus machen. Der mit dem Verteidiger-Mandat ausgestattete Horst Mahler bereitet sich in seinem Kleinmachnower Ambiente auf den möglicherweise letzten großen Coup seines bewegten Lebens vor: Er will den am vergangenen Dienstag in Karlsruhe eingereichten Verbotsantrag "kippen".

Einen vom Innenministerium ins Internet gestellten Entwurf, der die grundgesetzwidrigen Umtriebe der NPD belegen soll, kommentiert der vormalige Apo-Advokat mit frohlockender Geringschätzung. Er habe sich den 74 Seiten umfassenden Text heruntergeladen: "absolut dürftige Materialsammlung".

Der wahrscheinlich in diesem Jahr noch beginnende, aber vermutlich langwierige Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht hat für den Konvertiten Mahler einen über die Sache hinausgehenden besonderen Reiz: Dem Kanzler, der von Hause ja selber Jurist ist und der 1978 seine Verteidigung übernahm, verdankt er nicht nur seine Freiheit nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe. Schröder war es auch, der ihm 1987 die Wiederzulassung als Rechtsanwalt erstritt.

Noch stärker prägte sich in seiner wechselvollen Karriere jener Mann ein, der bei der Begründung des NPD-Verbotsantrags im Namen der Bundesregierung federführend sein wird: Otto Schily. In besseren Zeiten (und ehe sich Mahler nach der gewaltsamen Befreiung des großen RAF-Anführers Andreas Baader für den "bewaffneten Kampf" trainieren ließ) galten die beiden Juristen ihrer bemerkenswerten Rechtskenntnisse wegen in deutschen Gerichtssälen als Glanzlichter.

Auf dieser Ebene, indem er unterschwellig hohe Spannung versprechende Gleichrangigkeit suggeriert, würde der Ex-Terrorist nun gern zum Showdown antreten. Doch die vormaligen Duzfreunde entziehen sich. Ein offener Brief, den er an den "lieben" Gerhard "c/o Bundeskanzleramt" schickte, ist natürlich nie beantwortet worden. "Der gute Otto", sagt er mit leisem Verdruss, wolle sich seiner offenkundig nicht mehr erinnern.

Anstatt in zumindest professionell gegenseitigem Respekt mit bedeutenden Gegnern die Klingen zu kreuzen, sieht sich Mahler gegenwärtig umso ärger von Kleingeistern gepiesackt.

"Für den Fall" - wie er im Nachhinein erläutert -, "dass das deutsche Volk daran gehindert werden sollte, sich eines Tages eine wirklich freiheitliche Verfassung zu geben", hatte der Jurist standrechtlichen Erschießungen das Wort geredet. Als Reaktion darauf entband ihn jetzt die traditionsreiche Vereinigung der Berliner Strafverteidiger von seiner Mitgliedschaft.

Eine Maßnahme, die ihn aber kaum irritiert. Was könne er dafür, lässt der geschasste Kollege demonstrativ gelangweilt wissen, wenn er "nicht mal im Ansatz" verstanden worden sei. Dass ihn "diese Leute" ausschlossen, scheint ihn eher zu bestätigen. "Wir sind ja vollgeknallt mit Denkverboten", sagt der neue Messias der Rechten im Wintergarten seines kleinen Eigenheims in einer auffälligen Form von Altersmilde.

Stärker macht ihm da schon die Distanz zu schaffen, wie sie Otto Schily seit längerem pflegt. "Sein Gesicht wirkt zerstört", entfährt es Mahler mit einer schneidenden Eindringlichkeit, die an frühere Tage erinnert. Nach seinem Eindruck ist der ehemalige Spezi, den er 1972 zu seinem Hauptanwalt ernannte, längst zur Charaktermaske erstarrt.

Des Innenministers vermeintlicher Wandel beschäftigt ihn umso mehr, als Schily ihm nach seiner Verurteilung "20 Bände Hegel in die Zelle schleppte". Für den wissbegierigen Häftling - "der Geist ist etwas Quecksilbriges" - ein Himmelsgeschenk. Dem berühmten Vertreter der deutschen idealistischen Philosophie fühlt er sich seither noch weit inniger verbunden als zuvor Marx und Lenin.

Der im schlesischen Haynau geborene Sohn eines jung gestorbenen Zahnarztes benötigt solche Väter. Ohne den Wegweiser aus dem Schwäbischen hätte der juristische Kopf der Roten Armee Fraktion, der auf dem Tiefpunkt seiner Laufbahn in Jordanien kläglich an einer Guerrilla-Ausbildung scheiterte, kaum noch ins Leben zurückgefunden.

Hegel gab ihm Hoffnung, als er zunächst in Moabit und dann in Tegel einsaß - aber Hegel muss seit einigen Jahren auch für alle von Mahler unter das Volk gestreuten Verrücktheiten herhalten. Sooft der seine Kehrtwende vom gefährlich gewaltbereiten extremen Linken zum verbiesterten Deutschtümler und Antisemiten erklärt - er begründet ihn mit Leitsätzen des vergötterten Philosophen.

Mögen ihn "die Feinde" - ein häufig gebrauchtes Wort, das er fast genussvoll im Munde führt - ruhig beschimpfen. Die landläufige Theorie, nach der sich die Extreme berühren, also Links- und Rechtsradikalismus im Wesen verwandt sind, soll von ihm nicht nur nicht bekämpft werden - er bekräftigt sie. Und diese Nähe gilt, wie er am eigenen Beispiel erläutert, insbesondere für die "nationale Frage".

Denn die ist sein Herzensanliegen. Mal in stiller Verträumtheit (während er dabei den braunen Mischlingshund mit dem aufwendigen Namen "Barnie Geröllheimer" krault), mal auch etwas heftiger schwelgt er am liebsten in seiner "ganz konkreten Vision": Der Tag wird kommen, an dem sich das deutsche Volk wie anno 1989 in der DDR erhebt, um die Fesseln des von den Judaisten gestützten US-Imperialismus abzustreifen!

Mit anderen Worten: Das letzte Gefecht, das in den Erlösungsphantasien nahezu aller Sekten eine tragende Rolle spielt, spukt auch in seinem Kopf. Und nur in diesem Zusammenhang, nämlich als denkbares Szenario, das von der Zukunft diktiert wird, soll man seinen Hinweis auf die möglicherweise unvermeidlichen Erschießungskommandos verstehen. Es gelte eben, "dem Grauen ins Auge zu sehen, um es zu wenden ... hat Hegel gesagt".

Untermauert von solchen Tiraden strebt die politische Botschaft in der Mahlerschen Esoterik zügig dem Gipfel des Irrsinns

 

zu. Der einstige Terrorist und heutige Chef-Ideologe der NPD entpuppt sich als Brandstifter, der seine haarsträubenden Ankündigungen mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit von sich gibt.

Aber gleich danach zeigt sich der immer währende Möchtegern-Revolutionär in der Pose des schlichten "Normalen". Der liebt seine bei einem Bali-Urlaub erstandenen handgeschnitzten Drachenfiguren. Das mit Klavier und teuren Teppichen respektive altmodisch geblümter Sitzgarnitur ausstaffierte Eigenheim verrät den großbürgerlichen Ästheten, der zugleich erstaunlich bieder erscheint.

Den drahtig, obschon in früheren Jahren stets ein bisschen blässlich aussehenden Apo-Anwalt, der sich von der schlampigen Anarcho-Szene abhob, gibt es nicht mehr. Über den engen schwarzen Jeans wölbt sich bei dem ins Rentenalter vorgestoßenen Horst Mahler ein unverkennbarer Wohlstandsbauch, der ergraute kurz gestutzte Bart kann das leichte Doppelkinn kaum überdecken.

Und auch ansonsten wirken die diffusen Halbsätze, mit denen er etwa das Recht auf Heimat als "eine der Grundkonstanten unseres Seins als geistige Wesen" anpreist, im Verhältnis zu seiner eigentlich schüchternen Art etwas seltsam. "Ich bin kein Volkstribun", sagt er kaum hörbar, und man glaubt es ihm.

In Anlehnung an eine Wortschöpfung diesmal nicht Hegels, sondern Friedrich Nietzsches nennt er sich aber im gleichen Atemzug selbstbewusst einen "Gedankenkrieger". Er sagt, er habe der von ihm personifizierten Gewalt aus Überzeugung abgeschworen. Schließlich trägt der einstige Atheist inzwischen den lieben Gott "als Gewissheit" in sich ("Ich weiß, dass er ist"), und dieser wertvolle Besitz macht ihn zunehmend "gelassen".

Doch Zweifel sind angebracht, dass der von Mahler verströmte fromme Sinn nun jederzeit Friedfertigkeit garantiert. Zwar möchte er mit seinem Einsatz "weniger Gefolgschaft organisieren als bei den Menschen Denkprozesse auslösen" - aber "ein reiner Theoretiker", sagt er warnend, sei er deshalb mitnichten. Er gehe notfalls auch "ins Handgemenge".

Folgt man seinen Drohungen, wird sich dereinst aus Menschen ähnlicher Qualität "eine ganze Armee" bilden lassen - die dringend benötigte "deutsche Garde". Er glaube tatsächlich daran, setzt er raunend hinzu, dass es ihm gelingen könne, die noch brachliegende "deutsche Substanz" peu à peu "auf die Ebene der politischen Realitäten zu überführen".

Die wirkliche Wirklichkeit steht bis auf weiteres dagegen. In den Jahren seiner Metamorphose hat der "furchtbare Idealist" ("Die Woche") kaum etwas zu Stande gebracht. Die von ihm bereits 1998 aus der Taufe gehobene "Nationale Sammlungsbewegung" kommt da ebenso wenig vom Fleck wie seine später gegründete Initiative zu Gunsten der NPD.

Wo immer der Agent provocateur auch aufkreuzt, hält sich das Echo in Grenzen. Die von Mahler mit Eifer propagierten neofaschistischen "Montagsdemonstrationen" scheinen sich klammheimlich erledigt zu haben.

Er nimmt es zur Kenntnis, aber er verbietet sich zu klagen. "Der Mensch ist ein Vielschichten-Modell", gibt er demütig zu bedenken, und die vom Schicksal ihm zugewiesene Rolle ist ja "nicht die eines Rattenfängers von Hameln". Anstatt in Kneipensälen oder auf Marktplätzen große Töne zu spucken, hockt ein Demagoge seines Zuschnitts unter dem Dachfirst vor dem Computer.

Via Internet und bei klassischen Violinkonzerten aus seiner Bang & Olufsen-Stereoanlage sucht er dort den Anschluss an die Welt. "Willkommen im elektronischen Schaufenster von Horst Mahler", begrüßt er seine angeblich wachsende Anhängerschaft, die er mit spinnerten Besinnungsaufsätzen oder Strafanzeigen gegen führende SPD-Politiker unterhält.

Seine Kleinmachnower Nachbarn blicken zunehmend argwöhnisch auf das Haus im idyllischen Weidenbusch. Die im Kreis Potsdam-Mittelmark gelegene und mit hohem Freizeitwert gesegnete Ort-

schaft möchte sich keinesfalls zum Wallfahrtsort von Skinheads oder anderen dumpfen Schlachtenbummlern umfunktioniert sehen.

Doch im Grunde ist sich der ewige Klassenprimus mit dem Tick, auch in gesellschaftspolitischen Fragen unbedingt "Extremster" ("Frankfurter Rundschau") sein zu wollen, selbst genug. Parteien sind ihm "zuwider", weshalb man weder in seiner Wohnung noch auf dem Speicher, wo er an der "Plattform für Neues Denken im Weltnetz" arbeitet, irgendwo Devotionalien findet.

Und dass so einer nun der NPD angehört, hat sogar die Neonazis zerstritten. Einer Mehrheit von Bewunderern, die ihn als Vordenker rühmen, steht der harte Kern jener entgegen, denen das ehemalige RAF-Mitglied ziemlich unheimlich ist. Die hätten Angst, sagt Mahler - und man merkt, wie sehr ihm das schmeichelt -, er schlage womöglich in einer Weise über die Stränge, dass mit seiner Person "das Verbot erst begründet werde".

Lässt sich glaubhafter dokumentieren, welches Gewicht er sich zuspricht? Erkennbar hat sich der Musterschüler Hegels schon zu stark in den Kokon seines Selbstverständnisses als eine Art Religionsstifter eingesponnen, der hybrid einen ebenso naiven wie elitären politischen Pietismus predigt, als dass er noch ein nützlicher Parteigänger sein könnte. Die Neonazis dienen ihm als Mittel zum Zweck.

Er möchte seine Weggefährten "im geistigen Bereich voranbringen", aber er hofft auch, dass die NPD "nicht immer nötig" ist und er sie selbst noch überlebt. Wie Mahler mit dieser Einstellung auf dem Bundesparteitag am 3. und 4. März "eines der Hauptreferate" halten will, bleibt einstweilen sein Geheimnis.

Andererseits darf er sich wohl tatsächlich als Schlüsselfigur fühlen. Wenn es in Karlsruhe um die Existenz der NPD geht, wird ihm noch einmal die ersehnte große Bühne geboten, und es drängt ihn, diese Chance zu nutzen. Vor dem Bundesverfassungsgericht, sagt der Rechts-Anwalt mit schnalzender Zunge, werde er ein im Rahmen seines Vermögens geschliffenes "juristisches Werkstück" präsentieren.

Dass er dabei auf keinerlei Einflüsterungsversuche Rücksicht nehmen müsse, behauptet er allen Ernstes, habe er von seiner Partei "schriftlich".
 



 

 

Horst Mahler über Schröder 

Trinkrunde mit dem Weltgeist 

Horst Mahler sieht in und durch seinen ehemaligen Verteidiger Gerhard Schröder den Hegelschen Weltgeist am Werke. In der Süddeutschen Zeitung (30. September, "Wir wissen nichts von Gerhard Schröder") und der Jungen Freiheit (2. Oktober, "Der künftige Kanzler steht für eine neue Politik") feiert er Schröder als Staatsmann, der "Einsicht in das Wesen der Geschichte" genommen habe und das "Spannungsverhältnis von privatem Nutzen und Gemeinwohl" wieder zusammenführen werde. 
...
http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_98/41/30a.htm

 


 

Ein trojanisches Pferd und seine Reiter

Gerhard Schröder, Horst Mahler, Bernd Rabehl und die "Berliner Republik"


http://www.welt.de/daten/1999/03/13/0313lw62806.htx
Von Wolfgang Kraushaar
 

Die Aufnahme wurde im Moment des Triumphes gemacht. Sie zeigt einen strahlenden Gerhard Schröder mit seiner Frau. Es war der Abend des 27. Septembers, der Augenblick des Wahlsieges. Und darunter stand die Überschrift: "Der Geheimagent des Weltgeistes". Autor: Der Ex-APO-Anwalt und RAF-Mitbegründer Horst Mahler. Nun, die Leser der "Süddeutschen Zeitung" dürften nicht wenig gestaunt haben, als sie drei Tage nach der Bundestagswahl einen solchen Artikel im Feuilleton ihres Blattes vorfanden. Die Beziehung zwischen Bild und Titel war eindeutig - als Geheimagent kam nur der neue Bundeskanzler in Frage.

Und wer sich die Mühe machte, das hegelianisch verschlungene Traktat zu lesen, mußte letzte Zweifel ausräumen. Mit der Titelfigur - einer Mischung, die aus John le Carrés "Spion, der aus der Kälte kam" und Hegels "Phänomenologie des Geistes" gespeist sein könnte - ist tatsächlich Schröder gemeint. Mahler begibt sich offenkundig in die Pose eines Möchtegern-Chefideologen des Kanzlers. Während er dessen Vorgänger Kohl vorwirft, dieser habe "Deutschland als Nation in das vereinigte Europa auflösen" wollen, fordert er seinen Nachfolger auf, die Nation zu retten und "das deutsche Volk wieder zusammenzuführen". Dabei habe er die Aufgabe, über das Projekt einer kleinen Koalition zwischen SPD und CSU nachzudenken, Rußland "geopolitisch zuverlässig in den christlichen Kulturkreis einzubinden" und die Initiative zur Sanierung des maroden Weltfinanzsystems zu übernehmen. Die "nationale Wiedergeburt Deutschlands" vollziehe sich auch in der SPD.

Die Sache schien klar: Der ehemalige Verfechter des bewaffneten Kampfes wähnt sich heute in der Rolle eines Herolds der Nationalrevolutionären. In der für solche Protagonisten charakteristischen Haltung prügelt er vor allem auf den Liberalismus und den Rationalismus ein. Sein antiaufklärerischer Impetus wird in der rechtspopulistischen Überzeugung deutlich, die "rationalistische Denkart" mache das Gemeinwesen "politikunfähig". Die Tatsache, daß Johannes Willms, der für das Feuilleton verantwortliche SZ-Redakteur, einen Tag später unter der Überschrift "Der Renegat" eine Legitimation für den Abdruck nachgeschoben hat, die den Text nachträglich zum Dokument erklärte, verstärkte nur den Eindruck, daß hier im Zuge der Schadensbegrenzung die Konturen verwischt werden sollten. In den Wochen darauf wurde in den Leserbriefspalten über Sinn und Unsinn des ungewöhnlichen Pamphlets gestritten. Durch einen Mehrzeiler des Kanzlers, in dem dieser gönnerhaft verlauten ließ, daß er die Leserschaft der SZ nicht länger mehr im unklaren belassen wollte, wurde die Kontroverse schließlich mit der Zusicherung beendet, daß an den Gerüchten nichts dran sei. Doch seitdem schießen die Spekulationen erst richtig ins Kraut. Bekannt ist, daß Schröder seinem Berufskollegen Mahler die Wiederzulassung als Anwalt vor Gericht erstritten hat. Bekannt ist auch, daß beide seitdem freundschaftlich verbunden sind.

In einem seiner Artikel, die er vorzugsweise in der "Jungen Freiheit" publiziert, ergeht Mahler sich darin, den Holocaust mit dem GULag-System zu vergleichen und deren Vernichtungslogiken Ausgeburt der Vernunft zu interpretieren. Die Deutschen seien, beklagt er, "durch die moralische Weltanschauung gebändigt" worden. Nun käme es darauf an, diese Fesselung des Bewußtseins, die nach Hegel nichts anderes als ein "Nest gedankenloser Widersprüche" sei und ihn in die RAF geführt habe, aufzusprengen. Erst wenn die Weltanschauung der Gutmenschen überwunden sei, könne "das Vernünftige des großen Tötens" - gemeint sind neben dem Holocaust und dem Archipel GULag auch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki sowie die Killing Fields in Kambodscha - erkannt werden. Mit der militärischen Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg sei die Gestalt nicht zu brechen gewesen, die "der absolute Geist unter Adolf Hitler im deutschen Volk angenommen" hätte.

In zwei erst kürzlich gegebenen Interviews hat Mahler weitaus weniger verquast deutlich gemacht, wohin die politische Reise seiner Ansicht nach nun zu gehen hat. Er lehnt darin Schuldbekenntnisse wegen der NS-Vergangenheit kategorisch ab, warnt davor, "auf den blankliegenden Nerven der Deutschen herumzutrampeln" und droht damit, daß die Deutschen auch einmal "böse" werden könnten. Als Gegenmaßnahme zur "Überfremdungspolitik der Regierungskoalition" propagiert er eine "nationale Sammlungsbewegung". Sie soll dort einsetzen, wo die Unterschriftenaktion der Union aufhört: Als "Bewegung des deutschen Volkes zur Wahrung seiner Lebensinteressen". Dabei macht Mahler aus seiner Verachtung für Parteien keinen Hehl und erklärt gönnerhaft, Stoiber könne dabei ebenso mitmachen wie der NPD-Funktionär Günter Deckert. Auf die Parteien werde es, versichert er, ohnehin "nicht mehr ankommen".

Eine strafrechtliche Verfolgung von Auschwitz-Leugnern lehnt der Jurist kategorisch ab. Diese Leute dürften nicht kriminalisiert werden; schließlich glaubten sie, was sie sagten. Da sie den Gedanken nicht ertrügen, daß Deutsche den Holocaust zu verantworten hätten, erwiesen sie sich ganz im Gegenteil "als Gutmenschen mit moralischem Kompaß". Sie seien im Grunde Märtyrer, da sie es auf sich nehmen würden, "für die nationale Sache ins Gefängnis zu gehen".

Einer seiner früheren Mitkämpfer aus APO-Zeiten, Bernd Rabehl, heute Professor für Soziologie an der FU Berlin, hat in einem Vortrag inzwischen eine ähnliche Richtung eingeschlagen. Vor Mitgliedern der Burschenschaft "Danubia" referierte der 60jährige im Münchner Stadtteil Bogenhausen, zum Thema "Mythos 1968" eingeladen, Anfang Dezember 1998 über die angeblich nationalrevolutionären Wurzeln der antiautoritären Bewegung.

In Europa, so Rabehls Ausgangsthese, bewirke "politische Überfremdung die grundlegende Zerstörung von Volk und Kultur". Dies sei dann besonders dramatisch, wenn die "Auflösung der nationalen Identität" bereits so weit fortgeschritten sei wie in Deutschland. Ein Ausweg aus der als äußerst bedrohlich geschilderten Situation sei nur möglich, wenn die "Tabuisierung der deutschen Frage" durchbrochen und diese erneut zum Fixpunkt einer politischen Neubestimmung werde. Dafür wiederum habe der Aufbruch der Studentenbewegung in den sechziger Jahren einen beispielgebenden Charakter. Die "nationale Frage" hätte insbesondere für ihn und Rudi Dutschke, die zuvor beide aus der DDR geflohen waren, eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung einer außerparlamentarischen Opposition gespielt.

Ziel der beiden "Nationalrevolutionäre" Dutschke und Rabehl sei es gewesen, "zu den nationalen Grundlagen von Sozialismus, Freiheit und Unabhängigkeit" zurückzukehren. Bei den Demonstrationen gegen die nordamerikanische Kriegspolitik in Vietnam sei es zugleich um die "nationale Befreiung" Deutschlands gegangen. Diese Zielsetzung sei von dem geteilten Land in Südostasien auf das eigene übertragen worden. Beim Vietnam-Kongreß im Februar 1968 habe man sogar geglaubt, daß die Zeit reif sei, "die Großmächte aus Zentraleuropa zu vertreiben". Der Internationalismus, faßt Rabehl seine Retrospektive zusammen, "trug die Farben nationaler Empörung". Dennoch seien er und Dutschke mit ihrem Versuch gescheitert, die deutsche Einheit innerhalb der Linken zum Thema zu machen. Der gesamte Aufbruch in den sechziger Jahren erhält bei ihm Züge eines unfreiwillig-tragischen Scheiterns. In Wirklichkeit seien die APO-Aktivisten "nützliche Idioten" gewesen, die die Westintegration, die Amerikanisierung und die Politik der re-education fortgeführt hätten.

Seine Argumentation hat große Ähnlichkeiten mit dem, was Caspar von Schrenck-Notzing in seinem 1965 unter dem Titel "Charakterwäsche" veröffentlichten Buch vertritt. Der Vordenker der Rechtskonservativen hatte damals angeprangert, daß die US-Besatzungsmacht das deutsche Volk mit den Mitteln der psychologischen Kriegsführung umerziehe und in diesem Zusammenhang Exponenten der Frankfurter Schule eine Schlüsselrolle zugewiesen. Diese Soziaiwissenschaftler erscheinen bei ihm als ideologische Agenten, die als jüdische Theoretiker kein anderes Ziel verfolgten, als die Identität des deutschen Volkes auszuhöhlen und dessen Kultur in Mißkredit zu bringen. Wenn Rabehl schreibt, daß die von den amerikanischen Deutschlandspezialisten 1944/45 geplante "psychologische Aktion", die das Ziel verfolgt habe, "die nationale Tradition aufzulösen", inzwischen als verwirklicht angesehen werden müsse, dann stimmt er der These von der "Charakterwäsche" des deutschen Volkes zu.

Rabehls Vortrag klingt so, als habe hier jemand seine Wurzeln wiederentdeckt. Alles kreist um die Zentralbegriffe Volk, Nation, Kultur und Identität. Nichts davon wird in Frage gestellt oder in irgendeiner Weise problematisiert. Von der NS-Vergangenheit, gar vom Holocaust ist überhaupt keine Rede mehr. Alles, was Deutschland und die Deutschen in Verruf gebracht hat oder erneut in Verruf bringen könnte, wird ausgespart. Die deutsche Geschichte bleibt im Grunde völlig schattenlos. Das deutsche Volk spielt bei ihm ausnahmslos die Rolle eines Opfers.

Mit Verwunderung hat die Öffentlichkeit registriert, daß der neue Bundeskanzler offenbar Wert darauf legt, eine Nation zu präsentieren, die mit unübersehbarem Stolz, gewachsenem Stärkegefühl und unverhohlenem Souveränitätsanspruch sowie frei von Schuldbewußtsein ist. Es begann damit, daß sich Schröder der Aufgabe entzog, an einem Festakt zum Ende des Ersten Weltkrieges zu erscheinen. Dies hat insbesondere im westlichen Ausland zu Spekulationen darüber geführt, ob es der Kanzler vermeiden wolle, sich bei historischen Ereignissen zu zeigen, die mit einer militärischen Niederlage der Deutschen verbunden seien. Das Projekt einer Renationalisierung scheint in den Raum des politischen Handelns eingerteten zu sein. Dieser Verdacht erhielt erneut Nahrung, als sich Schröder mehrfach auf angreifbare Weise zur Europapolitik seiner Regierung äußerte. Wichtigstes Ziel der Deutschen beim Antritt ihrer EU-Ratspräsidentschaft sei es, erklärte er mit ostentativer Verärgerung, die Nettozahlungen Deutschlands in den Brüsseler Haushalt zu reduzieren. In der EU dürfe nicht länger mehr "Scheckbuchdiplomatie" praktiziert werden.

Vieles spricht dafür, daß es, wie von dem kalifornischen Politikwissenschaftler Andrei S. Markovits befürchtet, paradoxerweise gerade die rot-grüne Regierungskoalition, die in ihrer Mehrheit die 68er-Generation repräsentiert, sein könnte, die einen Schlußstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen wird. Mit dem gewachsenen historischen Abstand gibt es sicher eine Reihe objektiver Gründe, die für eine weniger affektgeladene Beziehung zum Holocaust, zum NS-System und dem ganzen immer noch schier unentwirrbaren Knäuel von Scham und Schuld stehen könnte, allerdings muß gerade der mit der Verweigerung symbolischer Akte einhergehende Pragmatismus der Regierung Schröder den Verdacht nähren, daß sie die historische Verantwortung für das Geschehene am liebsten wie ein unpassend gewordenes Kleid ablegen möchte.

Die illustre Reihe derjenigen, die in den sechziger Jahren zum Sturz der Republik von links aufriefen und sich heute dem Verdacht aussetzen, daß sie es nun von rechts versuchen, ist noch nicht besonders groß, ihre Zahl nimmt dennoch aber erkennbar zu. Dem Weg des Publizisten Günter Maschke, der, einst SDS-Mitglied, angeblich durch seine Kuba-Erfahrung bereits Anfang der siebziger Jahre zum bekennenden Rechtsradikalen wurde, sind zunächst nur wenige gefolgt. Inzwischen jedoch sind es, wie ein in einem österreichischen Verlag unter dem Titel "Bye-Bye 68" erschienener Band belegt, in dem "Renegaten der Linken, APO-Abweichler und allerlei Querdenker" zu Wort kommen, eine ganze Reihe, die sich mit dem Abschiedsgruß schmücken. Wie weit sie dabei zu gehen bereit sind, zeigt eine zum Jahreswechsel von Mahler, Maschke und der frühere SDS-Aktivist Reinhard Oberlercher herausgegebene "Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968", in der die Rebellion mit dem 17. Juni 1953 verglichen und zum "zweiten deutschen Aufstand gegen eine Besatzungsmacht" umgedeutet sowie die RAF in die Tradition der Urburschenschaft eingebettet und in "Waffen-SDS" umbenannt wird.

Mahler und Maschke, Oberlercher und Rabehl: Wie auf einem Schachbrett, auf dem die Figuren von einer unsichtbaren Hand geführt werden, ordnen sich die Positionen neu zu. Was früher als revolutionär und linksradikal galt, das erscheint heute, nur unwesentlich verändert, als rechtsradikal oder gar als neofaschistisch. Der Substantialismus der Kategorien und der Essentialismus ihres argumentativen Einsatzes verraten, daß es hier weniger um eine Veränderung des Intellekts als um einen Ausbruch der Mentalität geht. Als seien politische Überzeugungen jahrzehntelang lediglich auf der Oberfläche von Programmen und Bekenntnissen hergetrieben worden, dringen nun auf einmal Entitäten vom Grund des Bewußtseinsstromes nach oben und beanspruchen mit Nachdruck ihren Platz in der Politik. Es könnte sein, daß Berlin der Magnet ist, der sich in der unsichtbaren Hand befindet.

Die Herolde, die zum Marsch in die "Berliner Republik" blasen, nehmen jedenfalls seit dem Machtwechsel in Bonn ständig zu. Inzwischen ist beim Gebrauch des politischen Etiketts bereits ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten. Auch der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung nicht darauf verzichten wollen. Die Protagonisten dieser schleichenden Umbenennung müssen sich jedoch fragen lassen, welches Gepäck sie eigentlich mit sich führen. Denn offenkundig rücken sie mit ihrer Bezeichnung von der Bundesrepublik ab. Diese, die sogenannte alte Bundesrepublik, ist ja 1990 nicht abgeschafft, sondern nur erweitert worden. Der Ortswechsel von Bonn nach Berlin allein kann die Redeweise von der "Berliner Republik" jedenfalls nicht begründen. Das semantische Feld wird damit weit geöffnet, zu weit, um nicht befürchten zu müssen, daß damit auch ganz andere Werte, als sie bislang von der Verfassung gedeckt sind, ins Selbstverständnis einer deutschen Republik eingeschmuggelt werden könnten.

Wolfgang Kraushaar ist Politikwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung.

 

 

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r "Berliner Republik" jedenfalls nicht begründen. Das semantische Feld wird damit weit geöffnet, zu weit, um nicht befürchten zu müssen, daß damit auch ganz andere Werte, als sie bislang von der Verfassung gedeckt sind, ins Selbstverständnis einer deutschen Republik eingeschmuggelt werden könnten.

Wolfgang Kraushaar ist Politikwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung.

 

 

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