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SCHRÖDERS WAHLVERSPRECHEN (5)

Ein Hardliner in Verlegenheit

"Bekämpfung der Kriminalität und ihrer Ursachen" lautete das fünfte Versprechen, mit dem Gerhard Schröder 1998 auf einer kleinen Karte um Wählerstimmen warb. SPIEGEL ONLINE hat die Karte aufbewahrt und beschreibt, was aus den Wahlversprechen wurde. Lesen Sie heute: SPD-Sicherheitsminister Schily zwischen Rambo und Rechtsstaat.

 
 1. Mehr Arbeitsplätze  2. Ein Sofortprogramm  3. Aufbau Ost wird zur Chefsache  4. Deutschland als Ideenfabrik  5. Bekämpfung der Kriminalität


 

Teil 5: Ein Hardliner in Verlegenheit
 


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  Zur Forumsdiskussion zu diesem Thema

 

SCHRÖDERS WAHLVERSPRECHEN 5. TEIL

Ein Hardliner in Verlegenheit

Von Severin Weiland

Das NPD-Verbotsverfahren hat Otto Schilys Image lädiert - aber bei der Kriminalitätsbekämpfung machte der Innenminister Boden gut, die Bürger honorieren seinen Kurs. Umstritten bleibt seine Sicherheitsoffensive nach dem 11. September - mit immer neuen Befugnissen für die Geheimdienste.

 
Hat Kanzler Schröder immer noch gut lachen?
Hat Kanzler Schröder immer noch gut lachen?

In diesen Tagen ist es für Otto Schily wahrlich keine Freude, in die Zeitungen zu schauen. Die Pannen rund um das NPD-Verbotsverfahren vergällen dem Bundesinnenminister gehörig die Laune. In der Gunst der Wähler ist Schily, einst unangefochten ein Star im Kabinett von Gerhard Schröder, in den letzten Monaten stark abgefallen. Derzeit hält sich der ehrgeizige Jurist auf Platz zehn.

Doch Schily kann immerhin hoffen. Die Zufriedenheit der Bundesbürger mit seiner Arbeit wächst. 12 Prozentpunkte mehr Zuspruch als im September 2000 verbuchte die Koalition laut Infratest-Dimap im Januar bei der Kriminalitätsbekämpfung. Kann sich Schröder über die neuesten Daten aber wirklich freuen? Wohl nur bedingt. Zwar sank die Zahl der Unzufriedenen um fast denselben Wert - mit 61 Prozent aber ist sie weiterhin hoch.

Ein gefährliches Frustpotenzial. Dabei hatte Schröder im Wahlkampf 1998 in der Inneren Sicherheit vier Dinge versprochen: Kriminalität und ihre Ursachen zu bekämpfen, Geldwäsche zu verhindern, illegales Vermögen einzuziehen und Schwarzarbeit zu verhindern.

Wie kein anderes Kabinettsmitglied hat Schröders Innenminister nach den Anschlägen in den USA die Chance erkannt, politisch zu gestalten. Zugute kam Schily eine Stimmungslage in breiten Teilen der Bevölkerung, die mehr Sicherheit verlangte. Schily versprach schon am Tag nach den Angriffen Abhilfe. Seine Behörde brachte bald darauf eine Flut neuer Gesetzesänderungen ein. "Auf seinem Feld hat sich der Bundesinnenminister nach dem 11. September stark profiliert - man kann also schon von einem Schily-Effekt sprechen", konstatiert der Wahlforscher Heiko Gothe vom Berliner Institut Infratest-Dimap.

 

Otto Schily: In Verlegenheit
DDP
Otto Schily: In Verlegenheit

Manchmal braucht es, wie im Falle Schily, einfach nur Fortune. Und die hatte Schily reichlich. So durfte sich der Minister, der einst bei den Grünen angefangen und schließlich bei der SPD gelandet war, in den ersten beiden Amtsjahren gehörig über die Ergebnisse der Kriminalitätsstatistiken freuen.

Kriminalität insgesamt gesunken

Schließlich sank unter seiner Amtsführung die Kriminalität - 1999 um 2,4 Prozent, in 2000 nochmals um 0,3 Prozent. Schily war zufrieden und warb in einer Art und Weise, wie sie kein Werbemanager der SPD besser hätte bewerkstelligen können. Deutschland, verkündete er stolz, sei im internationalen Vergleich "eines der sichersten Länder". Allein die Aufklärungsquote schwerer Straftaten verhieß sensationelle Ergebnisse. Seit 1966 waren nicht mehr so viele Straftaten, nämlich mehr als die Hälfte (rund 53 Prozent) erfolgreich ermittelt worden. Wehrmutstropfen war allenfalls die Zunahme der Scheckkarten-Tricksereien und die der Drogendelikte - allein im Jahr 2000 stiegen diese um 7,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

 

Polizei im Einsatz: Amoklauf in Freising
DDP
Polizei im Einsatz: Amoklauf in Freising

Für CDU und CSU ist Schily ein mächtiger Konkurrent. Folglich tat die Union, was jede Opposition tun muss: Sie rückte die Statistik auf ihre Art zurecht. Unter der Schröder-Regierung habe es mit 6,3 Millionen Delikten mehr Straftaten gegeben als 1990 - damals seien noch 4,4 Millionen verzeichnet worden. Was die Union bei dieser Rechnung allerdings tunlichst verschwieg, war der Umstand, dass Ostdeutschland damals mit einer niedrigen Kriminalitätsquote in die Einheit startete. Heute hat sich das Niveau in vielen Feldern weitgehend angeglichen.

Die Erfolge Schilys sind kein Titanenakt eines Einzelkämpfers. Wie alle seine Vorgänger hängt sein Erfolg und Misserfolg nicht zuletzt an dem seiner Amtskollegen. Polizeiarbeit ist - bis auf die Institutionen des Bundes (Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz und Zoll) weitgehend Ländersache. Und so profitiert der Bundesinnenminister, wenn anderswo gute Arbeit geleistet wird. Ein Beispiel: Bei der Zahl der Kriminalitätsdelikte konnte Sachsen-Anhalt allein in den Jahren 1999 und 2000 ein Minus von 6,6 Prozent verzeichnen - und verschönerte damit die Erfolgszahlen der Kriminalitätsstatistik, die Schily in den vergangenen Jahren den Medien gut gelaunt vorlegte.

Mehr Sicherheit durch Abbau von Bürgerrechten?

Schily "ist der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt", meint denn auch der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz. Die SPD weiß, dass sie im Augenblick keinen besseren Minister hat. Schily ist ein eingeführtes Markenzeichen - nicht zuletzt dank dem 11. September. Im Eiltempo und fast ohne gesellschaftliche Gegenwehr legte der Minister in den Monaten Oktober und November eine Gesetzänderung nach der anderen vor. Manchem Parlamentarier wurde da ganz mulmig. Der FDP-Rechtsexperte Max Stadler meint, er habe manchmal den Eindruck, Schilys Ministerium und die Sicherheitsbehörden "hätten ihre Schubladen geleert".

 

Afghanistan-Konferenz: Bundesgrenzschutz hält Wache
AP
Afghanistan-Konferenz: Bundesgrenzschutz hält Wache

17 Gesetzesänderungen und weitere Verordnungen wurden noch vor der Weihnachtspause durchgebracht. Allen voran Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz durften sich freuen. Unter anderem ermöglichen die Änderungen den Geheimdiensten, künftig bei Kreditinstituten sowie Finanz- Luftfahrt- und Telekommunikationsunternehmen Kundendaten abzufragen. Bewaffnete Sky-Marshalls des Bundsgrenzschutzes fliegen in Flugzeugen mit, Personen in sicherheitsrelevanten Anlagen von Flughäfen und anderswo werden vom Verfassungsschutz geprüft. Beim Ausländerrecht kam Schily der Union weit entgegen, auch wenn diese noch härtere Regelungen verlangt hatte. Ausländer können nun so rasch wie möglich ausgewiesen werden, wenn "Tatsachen" belegen, dass sie einer terroristischen Vereinigung angehören.

Hardliner und rechtstaatlicher Jurist - der Spitzenmann der SPD versteht die Rollenspiele. Gegner wie Freunde verstört und betört er gleichermaßen. Im "Grunde ist Schily ein Liberaler", glaubt Sebastian Edathy, ein junger SPD-Bundestagsabgeordneter und Rechtsextremismusexperte. Die Öffentlichkeit, meint der 32-Jährige, habe einfach ein falsches Bild vom Bundesinnenminister. Vielleicht. Schily schafft es immer wieder, seine Kritiker zu überraschen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Manfred Kanther hat er die Kriminalitätsbekämpfung nicht allein auf statistische Zahlenkolonnen verengt. Unter seiner Amtsführung und in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium wurde erstmals ein "Periodischer Sicherheitsbericht" vorgelegt, an dem Soziologen, Sozialwissenschaftler und Polizeiexperten gemeinsam den Ursachen von Gewalt nachgehen und auch statistische Größen, die gerne in der öffentlichen und politischen Darstellung missbraucht werden, in Frage stellen.

Suche nach den Ursachen von Gewalt

Solche Einschätzungen heben sich wohltuend vom Ton vergangener Jahre ab. Schily sprach denn auch die Hoffnung aus, man könne eine "vertiefte Diskussion" über die Ursachen der Gewalt führen. Jugendliche ohne Perspektive, ohne Ausbildungsplatz und Job seien besonders anfällig für Kriminalität. Schilys Gegenmittel wirken ein wenig hausbacken, aber der Minister wird nicht müde, sie bei passender Gelegenheit zu propagieren: Die Sporterziehung müsse gestärkt werden, fatal sei auch die Tendenz, dass immer weniger Jugendliche Musikinstrumente erlernten. Stark gemacht hat sich Schily auch für den Aufbau der Stiftung "Deutsches Forum für Kriminalitätsprävention", die sich Ende vergangenen Jahres in Berlin gründete. Das Ziel: Ansprechpartner für bereits seit Jahren existierende Initiativen zu sein, die oftmals in den Kommunen im Zusammenwirken von Sozialarbeitern und Polizisten vorbeugend tätig sind.

 

Lesen Sie in Teil 2: Gesetze zum Kampf gegen die Geldwäsche und gegen Schwarzarbeit werden in allerletzter Minute eingebracht
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,179267-2,00.html

 

 

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