Gefährliche Hunde
15 Besitzer müssen Bußgelder zahlen
Regelmäßige Kontrollen im Landkreis
Aschersleben/MZ/ad. "Ich begrüße die neue Verordnung von
Innenminister Manfred Püchel zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen
Hunden, die in der Kabinettssitzung vom 26. März vorgelegt wurde,
ausdrücklich". Das erklärte Landrat Thomas Leimbach (CDU) am Mittwoch vor
der Presse.Die Landkreisverwaltung habe mehrmals gegenüber dem
Regierungspräsidium deutlich gemacht, dass der Landkreis notfalls
auch eine eigene Verordnung erlassen würde, sagte Leimbach weiter. Er
verwies aber darauf, dass ihm - wie jetzt geschehen - eine landesweite
Verordnung "viel lieber ist".
In den vergangenen zwei Jahren habe die Landkreisverwaltung gemeinsam mit
den Verwaltungsgemeinschaften und den eigenständigen Kommunen die Haltung
der bisher als "gefährlich eingestuften drei Hunderassen" im Landkreis
kontrolliert. Bei 115 Kontrollen, so der Landrat, seien 120 Besitzer
überprüft worden. Zwölfmal wurde nach den Kontrollen eingeschritten und
mussten bestimmte Auflagen, zum Beispiel zur Zwingerhaltung oder zur
Einzäunung des Grundstückes, erteilt werden. In insgesamt 15 Fällen seien
Ordnungsstrafverfahren eingeleitet und Bußgelder ausgesprochen worden.
"Mit der neuen Gefahrenabwehrverordnung wird eine umfassende Grundlage
zur Abwehr der von gefährlichen Hunden ausgehenden Gefahren geschaffen
und der Schutz der Bevölkerung verbessert", erklärte Minister Püchel
(SPD). In der ab Juni geltenden Verordnung würden vier - bisher drei -
Hunderassen genannt, bei denen von gesteigerter Aggressivität und
Gefährlichkeit ausgegangen werden könne. Neu ist der Bullterrier. Für
diese Hunde gilt laut
Püchel ein Haltungsverbot. Lebende Tiere dürfen die Besitzer zwar
behalten, sie müssen jedoch unfruchtbar gemacht werden. Püchel geht davon
aus, dass die Tiere im Land langfristig aussterben.
Tierschutz vor Wahl ins Grundgesetz
27.03. 2002
Zwei-Drittel-Mehrheit scheint gesichert
Großbild Berlin (dpa). Deutschland wird als voraussichtlich erstes Land
in der Europäischen Union den Tierschutz in seiner Verfassung verankern
und so zum Staatsziel erheben. Nach dem Ende der jahrelangen Blockade
durch die Union geht Agrarministerin Renate Künast (Grüne) davon aus,
dass eine Grundgesetzänderung bereits im Mai und damit noch deutlich vor
der Bundestagswahl mit Stimmen aller Parteien im Parlament beschlossen
wird.
Der Bundesrat hat bereits Zustimmung signalisiert. Damit könnten etwa
Tierversuche, rituelles Schlachten (Schächten) oder Tierhaltung stärker
als bislang auf den Prüfstand gestellt werden, sagte Künast in Berlin.
Für die Grundgesetzänderung ist im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit
erforderlich. Sie war in den vergangenen Jahren mehrfach nicht zu Stande
gekommen, weil die Stimmen von CDU und CSU fehlten. Alle anderen Parteien
unterstützen die Initiative einhellig.
Inzwischen hat sich die Union aber für eine Aufnahme des Tierschutzes ins
Grundgesetz ausgesprochen. Dies hatten SPD und Grüne 1998 im
Koalitionsvertrag als Ziel vereinbart.
Nach dem Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition soll der Artikel 20a des
Grundgesetzes um die Passage "und die Tiere" erweitert werden. Damit
würde er vollständig lauten: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für
die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere
im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach
Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die
Rechtsprechung."
Die Grünen-Expertin Ulrike Höfken sagte, nach dem geltenden
Tierschutzgesetz seien Tiere als leidens- und empfindungsfähige Lebewesen
zwar vor unnötigen Leiden und Schmerzen zu schützen. Zahlreiche
Gerichtsurteile zeigten aber: "Ohne verfassungsrechtliche Verankerung des
Tierschutzes ist die rechtliche Umsetzung dieses geltenden
Tierschutzgesetzes nicht ausreichend gesichert."
http://www.spiegel.de/
"Auf die Idee käme niemand"
Tierfutter aus Klärschlamm und giftigen Kadavern wird zur Gefahr für die
menschliche Ernährung. Unter dem Preisdruck auf dem Fleischmarkt setzen
Landwirte auf Massenhaltung mit Billigstfutter und Antibiotika. Die
Brüsseler Verbraucherschützer lassen die Geschäfte-macher gewähren.
Im Minutentakt donnern Lastwagen mit Containern durch die malerische
Dorfstraße im niederbayerischen Plattling. Ihre Fracht kippen sie am
Ortsrand in Fallschächte, die Schlünde führen ins Innere einer
Tierkörperbeseitigungsanlage.
"Stinkfabrik" nennen die Einheimischen das Unternehmen, das Abfälle aus
Schlachthöfen, Tierarztpraxen und Tierversuchslabors in Viehfutter
verwandelt. Neuerdings erst wird der penetrante süßsäuerliche Geruch, der
jahrelang über dem Ort waberte, durch eine dicke Schicht Heidegras
gemildert, das die Abluftkanäle bedeckt.
Ab und zu verliert ein Lkw unterwegs etwas von seiner Ladung, "fällt
schon mal ein Fetzen auf die Straße", wie die Wirtin vom Imbiss nahe der
Autobahnabfahrt berichtet. Manchem ihrer Kunden "vergeht da die Lust
aufs Schnitzel".
Die Menschen in Plattling haben vor Augen und in der Nase, was letzten
Endes auf deutschen Tellern landet. Dem durchschnittlichen Esser hingegen
ist es kaum bewusst: Am Anfang der Nahrungskette, die zum Menschen führt,
stehen Tierkadaver. Schweinen und Hühnern ihre toten Artgenossen in Form
von Tier- und Blutmehl vorzusetzen - das ist für
Landwirte eine bequeme Möglichkeit, die Ausgaben für Aufzucht und Mast zu
senken. Nur Wiederkäuer dürfen nicht mit Tiermehl gefüttert werden.
Unter dem Preisdruck, dem die Bauern auf dem Fleischmarkt ausgesetzt
sind, macht manch ein Landwirt die Sauerei mit: Damit Fleisch und Wurst
immer billiger angeboten werden können, pferchen Agrarunternehmer immer
mehr Vieh in immer größere Ställe - da können Tierschützer noch so laut
wettern.
So sind Nahrungsmittel vom Bauernhof immer seltener "ein schönes Stück
Natur", wie einst ein Werbespruch verhieß. Seit langem schon greifen
Landwirte zu Chemikalien und Zusatzstoffen, um ihre Kosten zu drosseln.
Weil die Massentierhaltung die Ausbreitung von Seuchen begünstigt, werden
dem Futter vorsorglich Antibiotika beigemengt. Die so genannten
Leistungsförderer sorgen dafür, dass das Schlachtgewicht schneller
erreicht wird.
Der "größte Posten in der Kalkulation der Mäster" aber, weiß der
Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, Leiter des Europäischen Instituts für
Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften, ist das Tierfutter. Deshalb
schlage "Kreativität bei der Auswahl der Rohstoffe" stark zu Buche.
Schon die übliche Prozedur, Tiermehl zu produzieren, ist geeignet, den
Genuss von Steaks und Schinken zu vergällen.
Es knackt und kracht in der Knochenmühle, wenn ein ausgedienter
Zuchtstier durch das Mahlwerk gedreht wird. Mit einem gewaltigen Blubb
platzen die gegorenen Gedärme einer Kuh. Die aufgedunsenen Leiber von
Ziegen und Schafen werden in dem Riesentrichter zerschreddert.
Die "Karkassen" und die "Konfiskate", wie Schlachtabfälle im Fachjargon
heißen, werden bei einem Druck von 3 bar auf 133 Grad erhitzt und
mindestens 20 Minuten lang im Sterilisator verkocht. Anschließend wird
der braune Brei in einem Vakuumtrockner bei über 100 Grad vier Stunden
lang gedörrt, die Trockenschmelzmasse schließlich durch eine
Schneckenpresse gedreht und zu Futterpellets gepresst.
Was früher der Schinder oder Abdecker war, ist heute der Betreiber einer
Tierkörper-beseitigungsanstalt, abgekürzt TBA, amtlich ein
"Verarbeitungsbetrieb nach Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 90/667/EWG".
43 solcher Fabriken, die Tierleichen zu Tierfutter recyceln, gibt es in
Deutschland. Moderne Anlagen wie die vergangenes Jahr eröffnete TBA im
mecklenburgischen Malchin sind die Ausnahme.
Ursprünglich waren Abdeckereien "mal sehr vernünftige Einrichtungen", wie
der ehemalige "Herta"-Wurstfabrikant und heutige Biobauer Karl
Ludwig Schweisfurth urteilt: Es sollte "eben nichts verkommen". Ethische
und ästhetische Bedenken gegen die Wiederverwertung toter Tiere wurden
hingenommen: "Man kann das meinetwegen unappetitlich finden", räumt der
Plattlinger TBA-Betriebsleiter Bernd Schillinger ein.
Mittlerweile ist das Tiermehl jedoch zum Gesundheitsrisiko für den
menschlichen Fleischesser geworden. Denn die in den Bottichen verkochten
Kadaver sind nicht nur reich an nahrhaften Proteinen, sondern auch an
Giften: Die Laborratten der Pharma-Industrie, denen Krebs erzeugende
Chemikalien gespritzt wurden, enden ebenso in der Tierkörperverwertung
wie überfahrene Hasen und tote Zootiere.
Bisweilen wird der Brei aus zerschredderten Tierleichen verbotenerweise
mit Abwässern aus dem Schlachthof oder aus Toiletten gestreckt. Blut,
Federn, Borsten, Sägespäne, Bodenbakterien, Pilze, Rübenschnitzel,
Kartoffelabfälle, Kakaoschalen und stinkende Molke dürfen hingegen völlig
legal untergerührt werden. Zur Deklaration der Inhaltsstoffe ist
kein Tiermehlhersteller verpflichtet.
In die Fleischmühle kommen auch Küken aus dem so genannten Muser: Die
Maschine dient eigentlich der Obstverarbeitung, wird aber auch zum
Zerquetschen der frisch geschlüpften männlichen Küken verwendet, die sich
naturgemäß nicht zum Eierlegen eignen, mithin keinen Gewinn abwerfen.
Den TBA-Betreibern, weiß die bei Kiel lebende Tierärztin Anita Idel, sei
"ziemlich egal, was reinkommt". Entscheidend sei, "dass nichts
Infektiöses herauskommt". Das Tierkörper-beseitigungsgesetz schreibt in
dieser Hinsicht lediglich vor, dass "die Gesundheit von Mensch und Tier
nicht durch Erreger übertragbarer Krankheiten oder toxische Stoffe
gefährdet" werden darf. Sicher ist das allerdings nicht.
Zu Viehfutter verarbeitet werden auch Haustiere, die zu Lebzeiten mit
Medikamenten gepäppelt worden waren und in deren Leichen die Gifte "Eutha
77" und "T 61" gespeichert sind, mit denen sie eingeschläfert wurden.
Hersteller Hoechst schließt nicht aus, dass ein Großteil der
T-61-Jahresproduktion von 5000 Litern im Tiermehl landet. Auch an der
Schweinepest verendete oder zwecks Seuchenprophylaxe getötete Tiere
finden via TBA zurück in den Nahrungskreislauf.
Medikamentenrückstände, behauptet der Futtermittelexperte Uwe Petersen
vom Bundes-landwirtschaftsministerium, würden "durch die Hitzebehandlung
zerstört oder in jedem Falle sehr stark verdünnt". Was freilich passiert,
wenn aus Kostengründen die Pampe nicht ausreichend erhitzt wird, zeigte
sich in Großbritannien an der Ausbreitung von BSE: Die
schwammartige Gehirnschädigung der Rinder konnte um sich greifen, weil
britische Tier-futterhersteller seit Anfang der achtziger Jahre bei der
Verarbeitung der Kadaver von Scrapie-kranken Schafen die
Prozesstemperatur auf 80 Grad gesenkt hatten.
Was dort zunächst profitabler Pfusch war, wurde nun EU-weit legalisiert.
Die Agrarminister beschlossen vergangenes Jahr, die strengen Vorschriften
zu lockern: Schlachtabfälle und Tierkadaver müssen nun nur noch auf 80
Grad erhitzt werden.
Dieses Verfahren hilft der Futtermittelbranche zwar, Energiekosten zu
sparen. Sie verbessert aber auch die Überlebenschancen von Salmonellen
und Kolibakterien; selbst den gefährlichen Botulismus- und Tetanustoxinen
machen erst höhere Temperaturen den Garaus.
Die neue Vorschrift passt sich geschmeidig der laxen Praxis an. In
mehreren EU-Mitglieds-staaten, kritisiert Oskar Riedinger,
Lehrbeauftragter für Tierkörperverwertung an der Universität Stuttgart-
Hohenheim, "produzieren immer noch Anlagen, von denen man seit 20 Jahren
weiß, dass sie nicht ordnungsgemäß sterilisieren können".
Zu Tiermehl verkocht werden auch Pottwale, die bisweilen in der Nordsee
stranden. Die Kadaver der Meeressäuger sind teilweise voller Schadstoffe
wie DDT, Chlorparaffine und PCB. Sie müssten deshalb als Sondermüll
entsorgt werden, forderte Greenpeace-Chemieexperte Manfred Krautter:
"Niemand käme auf die Idee, hoch belasteten Klärschlamm als
Futtermittelrohstoff einzusetzen." Da irrte der Kritiker: Den Einfall
hatten windige Unternehmer schon lange.
Französische Tierfutterhersteller haben, wie im vergangenen Sommer
bekannt wurde, jahrelang Fleischmehl mit Klärschlamm aus den
werkseigenen Anlagen vermischt. Durch die Enthüllung im Nachbarland
kam auch die Plattlinger Stinkfabrik ins Gerede.
Dort war ebenfalls Klärschlamm in die Abkochmaschinen geleitet worden -
"bakterielle Biomasse", wie der Gewässerschutzbeauftragte des Betriebs
die Zutat verharmloste. Der Vorfall zeigt, dass
sich gleichsam aus Scheiße Gold machen lässt: Seit das Werk
vor ein paar Jahren privatisiert wurde, wirft es Millionengewinne ab.
Der Schlamm-Mix war jahrelang von der zuständigen Aufsichtsbehörde
geduldet worden. Die Bezirksregierung in Landshut hatte 1992 die
Genehmigung erteilt und dabei ein kurz zuvor erlassenes EU-Verbot "wohl
übersehen", so die amtliche Erklärung.
Der Leiter des Instituts für Umweltmedizin an der Universität Freiburg,
Professor Franz Daschner, warnt vor möglichen Schadstoffbelastungen des
Fleisches von Tieren, die mit Klärschlamm-Fleischmehl gefüttert wurden:
Schwermetalle, Bakterien oder Dioxine könnten sich darin befinden.
"Klärschlamm-Rückstände", so Daschner, "können praktisch jedes
organische System vom Gehirn bis zum Herzen, bis zum Muskel, bis zu den
Nerven schädigen".
Schon heute befürchtet jeder zweite Deutsche, dass Fleisch krank macht.
Besorgt ist auch der Deutsche Bauernverband (DBV) - vor allem ums eigene
Image: "Das Vertrauen der Verbraucher in die deutsche Landwirtschaft",
erklärt das DBV-Präsidium, sei durch die Affären um verunreinigtes Futter
"in Mitleidenschaft gezogen" worden. Die Hersteller von
Tiernahrung müssten ihre "Kontrollen verstärken".
Die Attackierten weisen den Vorwurf zurück und reichen die Schuld weiter:
"Die Zulieferer sind unsere Achillesferse", klagt Alexander Döring vom
EU-Dachverband der Mischfutter-industrie.
Als eine Schwachstelle im System haben sich die Fettschmelzer erwiesen,
die diverse Grundsubstanzen für kalorienreiche Kost liefern, wie sie vor
allem das Federvieh braucht. "Im Geflügelfutter steckt besonders viel
Fett, weil für die schnelle Mast reichlich Energie nötig ist", erläutert
Peter Radewahn, Geschäftsführer des Bundesverbandes der
Mischfutterhersteller.
Als billige Energiespender bieten sich die Abfälle aus Frittenbuden an.
100 000 Tonnen Altfette aus deutschen Großküchen und Backstuben fallen
jährlich auf diese Weise an. Ein Teil wandert nach Holland und Belgien,
wo die größten europäischen Fettschmelzen stehen.
Fett ist Fett, sagt sich manch ein Panscher, und
auch Hydraulik-Öl sättigt Hühnermägen. Der Fettschmelzer Jean
Thill von der belgischen Firma Fogra soll seine Fettlieferungen mit
Schmiermitteln aus Automotoren gestreckt haben.
Die Fetthändler haben sich nicht von ungefähr in der Nähe des Hafens von
Rotterdam angesiedelt. Abfall- und Reinigungsfirmen, die Containerschiffe
und Frachter ausfegen, verkaufen das ölhaltige Spülwasser an die
Fettsammler, die damit ihre ranzige Ware verlängern. Der Einfachheit
halber verkochen manche Fettschmelzer Plastikbehälter
gleich mit.
Die EU lässt die Futtermittelhersteller weitgehend unbehelligt gewähren.
Die amtlichen Kontrolleure schaffen pro Jahr gerade mal 18 000
Stichproben. Dabei werden in der EU von 3700 Unternehmen jährlich 120
Millionen Tonnen Mischfutter hergestellt; allein die 526 deutschen
Produzenten bringen 19 Millionen Tonnen auf den Markt.
Mit chemischen Analysen lassen sich zudem nur Schadstoffe aufspüren, nach
denen gezielt gesucht wird - und
Transformatorenöl war bisher im Tierfutter nicht vermutet worden.
"Man kann ja nicht auf alle scheußlichen Substanzen untersuchen", sagt
die Tiermedizinerin Idel.
Deutsche Lobbyisten verweisen gern darauf, dass sich
Agrarskandaledurchweg im Ausland ereigneten. Doch das ist nur die halbe
Wahrheit. Auch in Deutschland haben sich Tierärzte immer wieder zu
Komplizen von Kälbermästern gemacht und die Fleischproduktion durch
Hormon-Missbrauch kräftig gesteigert. Auch dioxinverseuchtes Hühnerfutter
ist in der
Bundesrepublik in den Handel gekommen: Zwei brandenburgische Trockenwerke
wurden im vergangenen Herbst vorübergehend geschlossen, weil sie zur
Herstellung von Grünmehl giftigen Bauschutt und Plastikmüll verbrannt
hatten; mit dem Rauch waren Dioxine ins Futter gelangt.
Und: Auf kriminellen Umwegen importierte Billigware wird auch in
Deutschland verarbeitet. Im vorigen Sommer, auf dem Höhepunkt des
belgischen Dioxinskandals, wurden in Gießen 3000 Schweine aus dem
Nachbarland geschlachtet. So wurden Tiere, für die in Belgien ein
Schlacht- und in Deutschland ein Handelsverbot bestand, die mithin legal
nicht zu vermarkten waren, durch einen Stempel vom Schlachthof zu
deutschen Koteletts.
"Radikale Änderungen" bei der Überwachung der Lebensmittelsicherheit in
Europa hat der seit September 1999 amtierende EU-Kommissar für Gesundheit
und Verbraucherschutz, der Ire David Byrne, angekündigt. 60 Prozent der
Unionsbürger, besagt eine EU-Statistik, machen sich Sorgen, ob
Agrarprodukte ohne Risiken verzehrt werden können.
Doch bis vor kurzem haben Politiker die Warnungen vor Gesundheitsgefahren
als hysterisch verketzert und die regelmäßig wiederkehrenden
Nahrungsmittelskandale verharmlost. Dioxin im
Hühnerschenkel, wiegelte der deutsche Landwirtschaftsminister Karl-Heinz
Funke ab, sei doch nur ein "Betriebsunfall". Die Ignoranz
gegenüber möglichen Spätfolgen erklärt sich Angelika Michel-Drees,
Referentin bei der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) in
Bonn, mit der simplen Logik, dass nicht schade,
wovon "man nicht auf der Stelle tot umfällt".
Erst in jüngster Zeit beginnen Politiker, das Thema Lebensmittelqualität
ernst zu nehmen. EU-Verbraucherschützer Byrne jedenfalls kündigt die
Schaffung einer neuen Lebens-mittelbehörde an, der die Kontrolle der
Nahrungsmittelkette "vom Acker bis zum Teller" obliegen soll. Was am
dringlichsten geboten wäre, eine Positivliste der für Tierfutter
zugelassenen Inhaltsstoffe, kann Byrne indes nicht durchsetzen.
Auch sonst darf er an Symptomen herumdoktern, aber das Übel nicht an der
Wurzel packen. Denn die Risiken, die der Verbraucherkommissar eindämmen
will, haben ihre Ursachen nicht zuletzt in der EU-Agrarpolitik. Die
Schockerserie von BSE bis Dioxin sei deshalb nur "die Spitze eines
Eisbergs", fürchtet Lutz Ribbe von der Stiftung Euronatur. Derlei
Gefahren werde es geben, "solange die industrielle Fleischproduktion
nicht gestoppt wird".
Die Produktionsbedingungen führen auch dazu, dass immer mehr
Pharma-Produkte ins Tierfutter gemischt werden - als so genannte
Wachstumsförderer. Früher brauchten Schweine etwa ein Jahr, bis sie ihr
Schlachtgewicht erreicht hatten. Spezialfutter bringt sie heute in etwa
drei Monaten auf 80 Kilo.
Gebräuchliche Wachstumsförderer sind Carbadox und Olaquindox - Mittel,
die im Verdacht stehen, Krebs zu erregen beziehungsweise das Erbgut zu
schädigen. Jedes Jahr werden in der EU rund 1600 Tonnen Antibiotika
prophylaktisch an Schlachttiere verfüttert, etwa ein Fünftel der gesamten
Antibiotikaproduktion.
Auch im Fleisch, das der Mensch verzehrt, sind noch "Reste von
Antibiotika", weiß der Mikrobiologe Wolfgang Witte vom Robert-Koch-
Institut in Wernigerode.
Als so genannte Leistungsförderer sollen Antibiotika die Mikroflora des
Darms für eine bessere Futter- und vor allem Eiweißverwertung
stabilisieren. So können die Futtermengen reduziert und Kosten gesenkt
werden.
Die verschwenderischen Antibiotika-Gaben rotten die Bakterien jedoch
nicht völlig aus, sondern machen sie nur widerstandsfähiger gegen die
Arzneien - mit gefährlichen Folgen auch für die Menschen. In Hongkong
starb im vergangenen Jahr eine Frau an einer Bakterieninfektion, weil die
resistenten Erreger mit Antibiotika nicht zu behandeln waren.
Immerhin: Seit vergangenem Jahr dürfen auf Grund einer EU-Verordnung zwei
der vielen gebräuchlichen Antibiotika, Virginiamycin und Zink-Bacitracin,
nicht mehr als Tierfutterzusatz verwendet werden. Die beiden Hersteller
klagten, erfolglos, vor dem Europäischen Gerichtshof.
Ein Verbot von Antibiotika, hatte zuvor der Geschäftsführer des
Bundesverbands für Tiergesundheit, Martin Schneidereit, getönt, "wäre
wissenschaftlich nicht gerechtfertigt". Hinter der Organisation steckt
nicht, wie der Name vermuten lässt, eine Tierschützergruppe, sondern der
Wirtschaftsverband der veterinär-pharmazeutischen Industrie.
Abhilfe verspricht sich "Zeit"-Feinschmecker Wolfram Siebeck nur noch von
einem Fleischboykott - das sei das einzige Mittel, "um gewissenlose
Geschäftemacher und gleichgültige Agrarier zur Räson zu bringen".
Siebeck setzt darauf, dass der Verbraucher "endlich seine Illusionen
aufgibt und sich klarmacht, dass das, was er täglich isst, ein ziemlicher
Dreck ist". Doch die Konsumenten geben sich in Meinungsumfragen zwar
gesundheits- und qualitätsbewusst, im Supermarkt
aber greifen sie zur Billigstware.
Eier aus Legebatterien haben in Deutschland einen Marktanteil von 75
Prozent, echte Bio-Eier bringen es gerade mal auf 0,7 Prozent. Fleisch
aus kontrolliert art- und umweltgerechter Tierhaltung ist im Handel
lediglich mit 2 Prozent vertreten.
Ob die neue Lebensmittelbehörde, die der Brüsseler Verbraucherkommissar
Byrne einrichten will, die Gesundheit der Menschen in Europa besser
schützen kann, ist zweifelhaft. Eingriffe in ihre Souveränität lassen
sich die Mitgliedsstaaten kaum gefallen. Selbst die Kommission kann sich
bisweilen kaum Respekt verschaffen.
Unlängst verschickten die Brüsseler Aufseher einen Fragebogen an alle
Mitgliedsländer, in dem detailliert Auskunft erbeten wurde über die
Einhaltung des Verbots, Klärschlamm zu Tierfutter zu verarbeiten.
Lediglich 4 der 15 EU-Staaten hielten es für angebracht, auch nur
fristgerecht zu reagieren. NORBERT F. PÖTZL |