Frontal21 am 7. Mai 2002
Vorschau
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,
am 7. Mai sind wir ab 21 Uhr wieder für Sie da. Unter anderem mit
folgenden Themen.
DER SPIEGEL zum Waffenrecht und zur (erfolgreichen)
Lobbyarbeit der
Waffenfreaks
DER SPIEGEL 19/2002 - 06. Mai 2002
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,194816,00.html
Innere Sicherheit
Voll ins Schwarze getroffen
SPD und Union überschlagen sich seit Erfurt im Bemühen, das
Waffenrecht zu verschärfen. Dabei haben ihre Innenpolitiker unter
dem Druck der Waffenlobby verhindert, dass jene Lücken geschlossen
wurden, die es Gewalttätern wie Robert Steinhäuser leicht machen,
an Waffen zu kommen.
Es war am vergangenen Freitag, dem Tag der Trauerfeier in Erfurt.
Da geschah in der Politik, was schon längst hätte passieren
müssen: In zwei getrennten Telefonschaltkonferenzen einigten sich
Union und SPD in rasanter Eile auf Verschärfungen im deutschen
Waffenrecht. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und sein
bayerischer
Kollege Günther Beckstein gaben das Tempo vor.
Die beiden wissen schließlich, dass sie einiges gutzumachen haben.
Denn ausgerechnet Schily und Beckstein, die für Kanzler und
Kandidat die harte Linie bei der inneren Sicherheit garantieren
sollen, hatten beim Waffengesetz bisher hart auf die
Bremse getreten. Aus Angst vor den
zweieinhalb Millionen deutschen Schützen und der mächtigen
Waffenlobby hatte der Bundestag ausgerechnet am Tag des Massakers
ein neues, windelweiches Gesetz verabschiedet.
AW-Anmerkung:
Wir sind ja NUR ca. 6Millionen
Hundehalter!
Beckstein und Schily führten erst die große Koalition
derZurückhaltung an, doch nun wollen sie hastig jene Lücken
schließen, die es Amokläufern wie dem Erfurter Robert Steinhäuser
leicht machen, an Waffen zu kommen. Am heutigen Montag sollen die
Details verhandelt werden: Nur noch mindestens 21-Jährige sollen
künftig gefährliche Waffen kaufen und besitzen dürfen (Ausnahme:
Jäger ab 18 Jahren); Munition, so der Vorschlag in einer internen
Sieben-Punkte-Liste aus Schilys Ministerium, dürfen Sportschützen
und eventuell auch Jäger künftig nicht mehr uneingeschränkt zu
Hause aufbewahren. Auch eine
psychologische Untersuchung angehender Waffenbesitzer, wie sie in
Österreich bereits Pflicht ist, wird von etlichen Bundesländern
befürwortet.
Schily hatte mit seinem Waffengesetz den Grundsatz von
Sicherheitsexperten missachtet, so wenig Waffen wie möglich
zuzulassen. Bereits Monate vor der Verabschiedung hatten etliche
Bundesländer entnervt den Versuch aufgegeben, den
Innenminister auf einen strengeren Kurs zu verpflichten. Schily
fürchtete den Druck der waffenfreundlichen Union und den Zorn der
Millionen Waffenliebhaber mehr als den Unmut der Länderkollegen.
So verhandelte der Minister lieber mit der
Waffenlobby als mit Amtskollegen. Bisweilen saßen sogar
Schützenbrüder am Tisch, wenn Waffenrechtsreferenten der Länder
zur
Besprechung geladen waren.
AW-Anmerkung:
Die haben ja auch wohl die Kohle
- damit die Macht - und damit macht man Gesetze!
Und so wurde die Geschichte des Waffengesetzes zu einem
Musterbeispiel erfolgreicher Lobbyarbeit. Kaum eine
Interessengruppe ist so gut organisiert wie die der
Waffenliebhaber. Effizient wie sonst wohl nur der ADAC macht deren
Lobby seit Jahren Front gegen jegliche Versuche, ihre Privilegien
zu beschneiden.
AW-Anmerkung:
Und die Lobby opfert keine 4
Waffen - nicht mal EINE lieber VDH - nicht mal eine!
Wortreich maulten deren Vertreter über den bereits weich gespülten
Gesetzentwurf der rotgrünen Bundesregierung. Peter Mank, damals
Präsident des Verbands der Hersteller von
Jagd- und Sportwaffen sowie Munition, jammerte, der deutsche
Sportschütze sei ein "lebenslang gegängeltes und kontrolliertes
Subjekt".
Also wurden die Gewehr-Männer aktiv. Die Verbände heizten die
Stimmung unter organisierten Sportschützen gezielt mit Rundbriefen
an - damit bei den entscheidenden Beratungen im Bundestag "die
Bataillone stehen", so Joachim Streitberger, Sprecher des Forums
Waffenrecht.
Wohl dosiert erhöhte diese
Interessenvertretung der Verbände von Büchsenmachern,
Waffenhändlern, Jäger- und Sportschützenvereinen dann den Druck.
"Koordiniert und
abgestimmt" (Streitberger), bearbeiteten Mitglieder sämtliche
Fraktionen im Bundestag sowie die Regierungen der Länder:
telefonisch, per Fax und mit einer regelrechten
E-Mail-Schwemme.
Über die Fachmagazine und übers Internet verbreitete das Forum
Waffenrecht zudem einen "Musterbrief", den alle Schützenfreunde
unterschrieben an ihre Vertreter im Bundestag
schicken sollten. Er schloss mit dem
Satz: "Ich jedenfalls habe mich entschlossen, keinem Abgeordneten
meine Stimme zu geben, der ein derartiges Gesetz unterstützt."
Die Drohung der Ballermänner wirkte: Hartmut Koschyk,
Berichterstatter der Unionsfraktionen, erhielt "jeden Tag
unzählige Briefe und E-Mails, die ihre Kritik zum Ausdruck"
brachten. Die Waffenlobbyisten, sagt Nordrhein-Westfalens
Innenminister Fritz
Behrens, "haben ihre Macht voll ausgespielt".
Im nächsten Schritt bearbeiteten die Waffenfreunde wichtige
Entscheidungsträger - wie Ernst Hinsken. Nach einer Runde mit den
Waffenlobbyisten im Februar dieses Jahres verkündete der
einflussreiche CSU-Bundestagsabgeordnete, die "Verschärfung des
Waffenrechts" sei nicht nötig. Hinsken
äußerte einen Satz, der nach Erfurt makaber klingt: "Den Bürgern
droht von legalen Waffenbesitzern wie Schützen, Jägern und
Brauchtumsschützen keine Gefahr."
AW-Anmerkung:
Das glaube ich gerne - ebensowenig wie von normalen Hundehaltern!
Die Union war voll auf dem Kurs der Waffenlobby. Beim Waffengesetz
gehe es um "Gängelung der Jäger und um das Abwürgen des
Schießsports", machte sich der CSU-Mann Koschyk nun für die
Freizeitschützen stark. Vorfälle wie
im Februar im bayerischen
Freising, wo ein 22-Jähriger mit einer illegal erworbenen Pistole
drei Menschen ermordet hatte, würden lediglich "genutzt, um Ängste
in der Bevölkerung zu schüren".
Nach dem monatelangen "Bombardement der Parlamentarier", so Cem
Özdemir, innenpolitischer Sprecher der Grünen, wankte auch die
SPD. Schily wollte das Waffenrecht
unbedingt noch vor der Wahl verabschieden - im Einverständnis mit
den neuen Freunden von Schrot und Korn. Schröders Sicherheitsmann,
sagt ein Teilnehmer der Runde, "hat
sich von denen voll über den Tisch ziehen lassen".
Das Waffengesetz wurde Punkt um Punkt verwässert: Schilys
Ministerium kippte sogar die Absicht, den Schützen nur eine
bestimmte Anzahl so genannter Repetier-Langwaffen zu
erlauben, zu denen auch die Pumpgun des Erfurt-Attentäters
Steinhäuser zählt. Mengenbegrenzungen
machten keinen Sinn, argumentierten Lobbyisten schlau, denn bei
Straftaten würde ohnehin nicht mehr als eine solche Waffe
eingesetzt.
Am Ende lenkten auch die SPD-regierten Länder ein, die bis dahin
noch gegen ihren Parteifreund Schily opponierten. "Wir hatten
keine Wahl mehr", sagt NRW-Mann Behrens:
"Entweder wir hätten dem Kompromiss zugestimmt, oder es hätte gar
kein Gesetz mehr gegeben."
Doch selbst gegen die bereits aufgeweichte
Novelle wetterte die CDU noch. Dass in Zukunft nicht mehr
benötigte Waffen abgegeben werden müssten, schimpfte
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Schäuble noch vor wenigen
Wochen, komme einer Enteignung gleich. Und Beckstein entdeckte in
den Paragrafen "ein pauschales Misstrauen gegenüber legalen
Waffenbesitzern". Notwendig sei der Verzicht auf die
regelmäßige Überprüfung der Schützen - "zur Reduzierung
unnötiger Belastungen für den Waffenbesitzer und auch für die
Verwaltung".
Die Stellungnahmen der Politiker stützten sich immer unverhohlener
genau auf jene Argumente, mit denen das Forum Waffenrecht mobil
gemacht hatte - aus verschiedenen
Gründen: Für das Bayern Edmund Stoibers
bedeuten mehr Waffen vor allem sichere Arbeitsplätze. Denn viele
deutsche Waffenhersteller produzieren im Freistaat. In
Nürnberg findet jedes Jahr eine der größten Waffenmessen Europas
mit rund 1000 Ausstellern statt.
Die FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag versuchte noch
zwei Tage vor Erfurt das Waffengesetz zu stoppen.
Der Abgeordnete Horst Engel: "Der private
Waffenbesitz ist
überhaupt kein Problem." Und dann folgte das geläufige
Argument der Waffenlobby: Der Anteil legaler
Waffen, die bei Straftaten benutzt werden, liege bei 0,013 Prozent
aller Fälle.
Doch es kommt darauf an, wie man zählt.
Wird bei einem Familiendrama ein Gemetzel mit einer Jagdwaffe
angerichtet, unterscheidet die Statistik so: Schießt der
registrierte Inhaber, war eine legale Waffe im Einsatz. Schießt
aber etwa dessen Sohn, war es eine illegale.
Schließlich war er nicht berechtigt, die Waffe zu benutzen.
Nach dieser Logik ist auch das Blutbad von Bad Reichenhall vor
zweieinhalb Jahren, bei dem ein 16-Jähriger vier Menschen und
schließlich sich selbst tötete, kein Argument für
schärfere Gesetze. Denn der Colt Python, die Schrotdoppelflinte,
die Büchse der Marke Uberti und das Ruger-Selbstladegewehr, mit
denen Martin P. auf Passanten schoss,
gehörten seinem Vater.
Bis zum vorvergangenen Freitag konnte die Waffenlobby über ihren
Sieg gegen die Bedenkenträger jubilieren. Noch am Freitagmittag,
da waren die Menschen im
Gutenberg-Gymnasium bereits tot, legte sich der CDU-Innenexperte
Erwin Marschewski bei der Bundestagsdebatte zum Waffenrecht aus
dem Fenster:
"Es ist gut, dass die sinnlose
Waffenbegrenzung vom Tisch ist. Es ist gut, dass junge Menschen
wieder üben können." Und dann wurde er ganz forsch: "Der
Widerstand der Union im Schulterschluss mit Jägern und
Sportschützen hat sich gelohnt. CDU/CSU ... haben gut gezielt und
voll ins Schwarze getroffen."
Das Protokoll vermerkt einen Zuruf seiner Fraktion:
"Waidmannsheil."
Waffenbesitz, das machte die Debatte deutlich, halten die
Schützenfreunde für eine Art Bürgerrecht. Für Sachsen-Anhalts
Innenminister Manfred Püchel sind mit dieser Haltung " einfach zu
viele Waffen in die Bundesrepublik" geschwemmt worden. Auf 45
Millionen Stück schätzt die Gewerkschaft der Polizei den
Bestand, 7,2 Millionen davon sind offiziell registriert.
Sogar rund 15 000 Pumpguns stehen in deutschen Schränken.
Aber die laschen Gesetze ermöglichten nicht nur das riesige
Waffenlager, sie verhinderten auch eine lückenlose Kontrolle der
Schützen. Denn wie sonst konnte Robert Steinhäuser
belegen, dass er die vom Gesetz geforderte Zuverlässigkeit und
Sachkunde hatte, um eine Waffenbesitzkarte ausgestellt zu
bekommen, mit der er sich seine Mordinstrumente
zulegen konnte? "Es gibt keine Sportschützen-Wettbewerbe mit
Pumpguns", sagt Hans Keller, Schützenpräsident von Sachsen-Anhalt,
"der Schützenmeister, der den Kauf einer
solchen Waffe absegnet, hängt sich weit aus dem Fenster."
Bevor Jugendliche zur Waffe greifen dürften, forderte die
Jugendministerkonferenz der Länder im Juni 1996 , müssten sie ihre
"Verantwortungsreife" nachweisen. Die Minister
sprachen sich deshalb auch gegen eine Senkung der Altersgrenze für
Sportschützen aus. Das Votum verhallte. Nach dem vom Bundestag
verabschiedeten Gesetz dürfen nun auch schon Zehnjährige ans
Gewehr, die nach dem alten Gesetz noch bis zum zwölften Geburtstag
warten mussten. Das, jubelte Josef Ambacher, Präsident des
Deutschen Schützenbundes (DSB), sei "der
größte Verdienst meiner langen Amtszeit". Schließlich
hatten die Schützen Sorgen um den Nachwuchs.
Vor sieben Jahren hatte das bayerische Innenministerium sogar eine
Sondergenehmigung erteilt, die schon Achtjährige ans Gewehr ließ.
Das schule die Konzentration der Schüler,
lobte der bayerische Staatssekretär Hermann Regensburger das
Pilotprojekt.
Mit welcher Chuzpe Schützenchef Ambacher seinen Sport immer wieder
gegen Kritiker verteidigt, machte er gleich nach Erfurt deutlich:
"Wenn der Amokläufer mit seinem Auto in eine Gruppe Schüler
gefahren wäre", sagte der Bayer, "würde man ja auch nicht darauf
kommen, das Autofahren und den ADAC zu verbieten."
Da hatten die Politiker nun doch mehr Gespür für die Stimmung im
Lande. Die ersten, die nach Erfurt nach schärferen Gesetzen
riefen, waren ausgerechnet jene beiden, die beim
Waffengesetz so kläglich versagt hatten: Schily und Beckstein -
wohl in der Hoffnung, dass sich niemand mehr an das Gemurkse von
gestern erinnert.
Und es begann der übliche Wettlauf um die besten Ideen. Schilys
Ministerium will die 10- bis 16-Jährigen nur noch unter Aufsicht
besonders geschulter Aufpasser schießen lassen. Zudem will der
Minister die Kontrolle über die Vereine ausweiten.
Als wolle er beweisen, dass er der schärfere Innenminister ist,
schlug Beckstein in der Konferenz mit seinen CDU-Kollegen vor, die
Altersgrenze für den Erwerb großkalibriger Schusswaffen auf 25
Jahre anzuheben, jugendliche Jäger ab 16 Jahren nur in
Ausnahmefällen Großkalibrige Langwaffen erwerben zu lassen,
die Eignung von Antragstellern durch einen psychologischen Test
überprüfen zu lassen.
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm wärmte eine
jahrzehntealte Forderung der Polizei auf: sämtliche Waffenbrüder
ins Melderegister aufzunehmen. "Auch wir tragen jede
Änderung mit, die zu mehr Sicherheit führt", sagt nun Streitberger
vom Waffenforum.
Die Innenpolitiker reagieren so nun endlich auch darauf, dass sich
in Deutschland längst Waffennarren amerikanischer Art ausgebreitet
haben:
die Anhänger des so genannten IPSC-Schießens. Bei ihnen geht
es, abgeschottet von unliebsamen Beobachtern, hart zur Sache. Im
Laufschritt absolvieren die Schützen etwa Hindernisparcours und
ballern auf plötzlich auftauchende Zielscheiben, die schon mal
menschliche Umrisse haben.
Auch das in den USA beliebte "Westernschießen" wird vom Bund
Deutscher Sportschützen (BDS) protegiert. Die Wettkampfübungen
tragen Namen wie aus tumben Actionfilmen:
"Weg von meinem Hof!", "Lauf Kumpel, lauf!" oder
"Rebellen-Aufschrecker". Bereits im Februar 2000 warnte das
Düsseldorfer Innenministerium alle Polizeibehörden vor diesen
martialischen Disziplinen. Anträge auf Erteilung von
Waffenbesitzkarten für Westernschützen sollten abgelehnt werden.
Der ehemalige BDS-Präsident Otto Obermeyer, vom Saulus zum Paulus
geworden, beklagte in einer Vielzahl von Briefen an die
Innenbehörden des Bundes und der Länder, dass der BDS
"erlaubnispflichtiges Verteidigungsschießen" unter "dem Deckmantel
des Schießsports illegal" ausübe. Dennoch fand im August
vergangenen Jahres im baden-württembergischen Philippsburg sogar
die Europameisterschaft im IPSC-Schießen statt.
Friedrich Gepperth, Obermeyers Nachfolger als BDS-Präsident, weist
die Kritik des Abtrünnigen als "beispiellose Schweinerei" zurück.
Die IPSC-Schützen hätten sich bisher
"niemals etwas zu Schulden kommen lassen".
Abweichler Obermeyer bekommt derweil im Internet sein Fett weg. Er
wird von anonymen BDS-Mitgliedern als Antisemit und Abzocker von
BDS-Geldern angeprangert - ohne jeden
konkreten Beleg. "Wie kann man dem Dummsack das Maul stopfen?",
fragte ein BDS-Mitglied. Vergangenen Donnerstag erhielt Obermeyer
nach einem Fernsehauftritt sogar zwei
telefonische Morddrohungen. Die Anrufer fassten sich kurz: "Wir
schicken dir einen Killer."
UDO LUDWIG, HOLGER STARK, WILFRIED VOIGT
AW-Anmerkung: Ich könnte noch
Seitenweise Kommentare abgeben - aber ich lass es - ich weiss
nicht ob ich angesichts des gelesenen Lachen oder weinen soll??
Wirklich nicht ! |