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Newsletter von Maulkorbzwang und den Dogangels

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Die Niederländer haben einen Toten gewählt - aus gutem Grund.

In Deutschland dagegen stehen anscheinend ausschließlich Hirntote zur Wahl.

 


POSTUMER WAHLSIEG

Fortuyns Nachfolger gesucht

Der neue niederländische Ministerpräsident wird wohl Jan Peter Balkenende heißen. Seine christdemokratische Partei ist aus den Parlamentswahlen als Sieger hervorgegangen. Die rechtspopulistische LPF, neue zweite Kraft, muss nun entscheiden, wer die Rolle des ermordeten Parteiführers Pim Fortuyn übernimmt.

weiter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,196342,00.html


 

 

 

Drei Kugeln auf Rudi Dutschke, sechs Kugeln auf Pim Fortuyn

 

Aus der Sicht des Politologen gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem Attentat auf den deutschen Rebellen der Achtundsechziger-Generation und jenem auf den nieder-ländischen Rechtspopulisten: So ging beiden Anschlägen eine Medienkampagne voran.

 


Alfred Pfabigan*


Anfang 1968 begann Rudi Dutschke eine Doppelstrategie zu entwickeln: Der "lange Marsch durch die Institutionen" sollte durch illegale Aktionen unterstützt werden. Wie das gehen sollte, lebte Dutschke in seinem Kampf gegen den Springer-Konzern vor, den er für den Hauptverantwortlichen für die politische Apathie der Westdeutschen hielt: Während er bei liberalen Prominenten Geld für ein "Tribunal" gegen Springer sammelte, initiierte er die ersten der später legendär gewordenen Anti-Springer-Aktionen - anfänglich ging hier nur Glas zu Bruch.

Die Springer-Presse wehrte sich. "Stoppt den Terror der Jungroten jetzt", titelte die Bild-Zeitung etwa. Am 11. April 1968 wurde Dutschke von einem Sonderling namens Josef Bachmann angeschossen, mit Folgen, die seine weitere Lebensführung extrem beeinträchtigten und für seinen frühen Tod verantwortlich war. Bachmann, das - so Dutschke - "arme Schwein" war wohl der Meinung, er tue etwas Sinnvolles und alle würden ihn jetzt lieben.

Bald nach dem Attentat sammelten sich Tausende von Menschen vor dem Berliner Springer-Hochhaus und richteten dort beträchtlichen Sachschaden an - es gab ja, so Gretchen Dutschke, keinen Augenblick Zweifel daran, wer der eigentlich Schuldige am Anschlag war.

"Die Kugel Nummer eins", so reimte Wolf Biermann, die "kam aus Springers Zeitungswald / Ihr habt dem Mann die Groschen / Auch dafür noch bezahlt." So hat man das damals gesehen und irgendwie hat sich diese Sichtweise durch zahllose Erinnerungen, Ausstellungen und Dokumentationen in den Status einer historischen Wahrheit hineingeschlichen.

 

Unangenehme Frage

Akzeptieren wir diese Sichtweise, dann müssen wir uns fragen, "woher" die sechs Kugeln auf Pim Fortuyn kamen. Was gegen Dutschke in den Wochen vor dem Attentat geschrieben wurde, war ja harmlos im Vergleich mit der Kampagne gegen Fortuyn. Doch nein, darüber herrscht Konsens, diese Kampagne hat wenig mit dem Mord zu tun.

Stellvertretend für viele versteht es Werner A. Perger, wohlbestallter Gralshüter der "political correctness" in der Zeit, sich hauptsächlich mit der Person des "Provokateurs" Fortuyn, der "Regeln verletzte, die durchaus sinnvoll waren" und der mit dem zweifelhaften Prinzip der Konfrontation Politik gemacht hatte, zu beschäftigen. Warum ist Provokation "zweifelhaft"? O-Ton Perger: "Sie kann auch töten."

Pim Fortuyn war also ein Selbstmörder, das ist eine Meinung unter vielen, doch wenn sie sich durchsetzt, dann bitte ich darum, dass Werner Perger sich auch gleich hinsetzt und Biermanns Ballade und Gretchen Dutschkes Memoiren umschreibt. Und dass dann Formulierungen wie solche von der entpolitisierten "Friedhofsruhe" der Adenauer- und Kiesinger-Zeit abgeändert werden in solche von dem "lange Zeit erfolgreichen traditionellen Konsens der staatstragenden Kräfte".

 

Strukturelle Analogie

Dass jene Leute, die einst Dutschke feierten, heute eine klammheimliche Freude über den Tod Fortuyns nicht verbergen können, soll uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die beiden Ereignisse gar nicht so weit voneinander entfernt liegen.

Sowohl die Opfer wie auch die Kampagne gegen sie weisen strukturelle Analogien auf: Beide waren brillante Außenseiter, ostentative Nonkonformisten, die das mit ihrer Haartracht signalisierten, und die Konflikte solcher mit dem jeweils das Meinungsklima regierenden "juste milieu" sind programmiert. wobei völlig gleichgültig ist, ob das "juste milieu" nun "rechts" oder "rot-grün" ist. Beide sind von ihren Attentätern in den Status von Märtyrern geschossen worden und partizipieren damit an einer eigenartigen Gewohnheit nicht nur unserer Kultur: Ideen, für die einer sein Leben einsetzt, werden aufgewertet und haben einen enormen Startvorteil bei ihrer Durchsetzung.

Durch seinen Tod hat Fortuyn jene anrüchige Gesellschaft von Le Pen und Konsorten, mit der man ihn assoziierte, ebenso verlassen, wie Dutschke den dumpfen Geruch seiner DDR-Vergangenheit. Gerade der auch bei Dutschke unternommene tantenhafte Versuch, einem Opfer die Schuld zu geben, verstärkt den enormen Solidarisierungseffekt, der bei Fortuyn ja schon durch die Verweigerung des Polizeischutzes geschaffen wurde.

Die "Drei Kugeln auf Rudi Dutschke" stehen in jener Ereigniskette, die den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt und damit die deutsche Version des "sozialdemokratischen Jahrhunderts" ermöglichte. Auch die sechs Kugeln auf Pim Fortuyn werden gewichtige Folgen zeigen.

Dass hinter Fortuyn unbekannte und möglicherweise schwache Figuren stehen, soll keinen trösten: Weder die wenigen Getreuen, die hinter Jesus Christus, dem archetypischen Märtyrer unserer Kultur, standen noch die Nachfolger der Apostel, die den Märtyrertod erlitten haben, waren zu ihrer Zeit unerfahrene und unbekannte Menschen.

*Der Autor lehrt Sozialphilo-
sophie und Politologie an der
Universität Wien.


 


 

 
CEES NOOTEBOOM:

DEM VOLK ENTFREMDET

Die Zeichnung in der linksgerichteten Wochenzeitung "Vrij Nederland" bringt es auf den Punkt: auf einer völlig schwarzen Seite der kleine weiße leere Kreis, der bei der Stimmabgabe mit rotem Bleistift ausgefüllt werden muss. Doch etwas ist passiert: Das Rot, das den Kreis hätte füllen sollen, beginnt auszufließen, sammelt sich am unteren Rand und strömt in Form zweier großer länglicher Tropfen als Blut aus dem Bild. Es ist eine dramatische Zeichnung, die die Stimmung im Land gut wiedergibt.

Der Name des Mannes, der zu diesem leeren Kreis gehörte, der von vielen, vielen Hunderttausenden am 15. Mai mit rotem Stift ausgefüllt worden wäre, ist ungültig geworden. Wer ihn jetzt noch wählt, wählt einen Toten. Diese Möglichkeit existiert nach dem niederländischen Wahlgesetz, und das ist nicht das einzige Paradox in diesen Tagen. Der Tod selbst ist eines, immer. Ein lachender, kahlköpfiger, etwas theatralischer Mann, groß, flamboyant gekleidet, der sich nach dem tausendsten Interview verabschiedet, in Eile, voll in Anspruch genommen, unterwegs zur nächsten Versammlung - es ist die letzte Wahlkampfwoche -, unterwegs zum Sieg, der allen Umfragen zufolge die flache Landschaft der niederländischen Politik wie eine Flutwelle überrollen wird. Und dann, nur Sekunden später, das Bild, das am Morgen darauf auf dem papierenen, vergänglichen Denkmal zu sehen sein wird, das die Morgenzeitungen für ihn errichten: vernichtete Vertikalität, die für immer zu liegendem Stillstand geworden ist, eine einsame Leiche auf dem Asphalt eines Parkplatzes, der so beredte Mund leicht geöffnet, ein roter Fleck an der Stelle jener provozierenden grellfarbenen Krawatten, die zusammen mit dem kahlen Schädel und den schweren Augenbrauen sein Emblem waren, die Hände in merkwürdige durchsichtige Plastikbinden gewickelt, der Kopf blutverschmiert.

Das nächste Paradox ist die Erschlagenheit der Gegner, die er schon von vornherein geschlagen hatte. Es gibt keinen Grund, an ihrer Erschütterung zu zweifeln: Dieser Mann, der, als er noch lebte, im Begriff war, das System, in dem jene anderen gemeinsam so erstaunlich gut funktionierten, gründlich zu untergraben, würde das nun als Toter noch einmal tun, weil jetzt nichts mehr so bleiben konnte, wie es gewesen war.

Er hatte Dinge diskutabel gemacht, die sie unter einem Schleier politischer Korrektheit hatten bedeckt halten wollen, er hatte sich der stillschweigenden Vereinbarung verweigert, das Thema Zuwanderung aus dem Wahlkampf auszuklammern, und das Volk, das in der Praxis solcher Vereinbarungen leben muss, war ihm dankbar gewesen; das galt auch für diejenigen, die nicht für seine Standpunkte stimmen würden. Er provozierte, ging manchmal zu weit in seinem Haschen nach Aufmerksamkeit, zog den Gegner damit aber in die Arena. Er kämpfte mit Worten und wurde mit Worten attackiert. Die Dankbarkeit galt folglich längst nicht immer dem Standpunkt an sich, sondern der Art, wie er vorgetragen wurde, der rhetorischen Deutlichkeit. Sein Erfolg war nicht der Tatsache zu verdanken, dass er Dinge aussprach, die die Leute hören wollten, sondern dem Umstand, dass er das Schweigen durchbrochen hatte, andere Politiker zum Sprechen gezwungen hatte - Befreiung aus der erstickenden Stille, die der Nährboden für die gefährlichste aller politischen Pflanzen ist: die Giftpflanze des Ressentiments.

Und das war möglicherweise die Ursache für das nächste, von niemandem erwartete paradoxe Bild: eine Prozession muslimischer Männer und Frauen, Vertreter marokkanischer und türkischer Organisationen, manche in europäischer Kleidung, andere in Dschallabija und Kopftuch, jeder mit einem Arm voll Blumen auf dem Weg zum Hause des Mannes, der gesagt hatte, der Islam sei eine zurückgebliebene (später nuanciert zu: hinterherlaufende) Kultur. Sie hatten sich aufgemacht, um Blumen zu all den anderen zu legen, die nicht nur von Niederländern, sondern auch von Surinamern und Antillianern im Rotterdam Fortuyns niedergelegt worden waren, das, wie Amsterdam, heute zu 40 Prozent von Menschen ausländischer Herkunft bevölkert wird und in dem seine Partei gerade einen grandiosen Wahlsieg errungen hatte, den er nicht mit Triumphgeschrei gefeiert hatte, sondern im Gegenteil mit behutsamen Koalitionsgesprächen, die einen Magistrat etablierten, der die Stadt mit ihren großen Problemen wieder regierbar machen sollte - "zum Nutzen aller Bewohner".

Wie das ausgehen wird, wissen wir nicht, und wir wissen auch nicht, wie die Wahl ausgegangen wäre oder ausgehen wird. Es hat keinen Sinn, etwas zu idealisieren, dessen Praxis wir nicht kennen. Fest steht jedoch, dass die Reaktionen vieler Niederländer, aber zumindest auch eines Teils der nicht einheimischen Bevölkerung auf seinen Tod sich nicht mit dem Bild eines niederländischen Haider oder Le Pen decken, auch nicht mit dem eines ordinären Rechtsextremisten und schon gar nicht mit dem eines Rassisten, das jetzt in einem Teil der ausländischen Presse so gierig verbreitet wird. Das ist unverantwortliche Bequemlichkeit. Die niederländische Realität ist, wie immer, komplizierter und überdies auch noch zusätzlich verschleiert durch unsere Geheimsprache. Hans Magnus Enzensberger wurde einmal gefragt, warum er in seinem Buch "Ach Europa!" den Niederlanden kein eigenes Kapitel gewidmet habe, obwohl er das Land doch so gut kenne. Seine Antwort soll gelautet haben: "Genau deswegen. Es ist viel zu kompliziert." In der vorvergangenen Woche hat "The Economist" den Versuch unternommen, das Polderland zu durchleuchten und nachzuweisen, dass hier alles viel besser läuft, als die jammernden Niederländer meinen. Die erste Reaktion des Ministerpräsidenten, von dem man annehmen sollte, er könnte dieses Geschenk des Himmels im Wahlkampf gut brauchen, war, das Kompliment mit den Worten zurückzuweisen, die Jammerer hätten aber eindeutig Recht. Allein schon dieses - ebenfalls paradoxe - Beispiel zeigt, dass wir in einem durch und durch moralistischen Land leben, das, so säkularisiert es auch sein mag, noch immer den Geist des Calvinismus atmet.

Auf dieser bluternsten Bühne mit überwiegend grauen Männern taucht nun ein kahlköpfiger, offen homosexueller Till Eulenspiegel auf, verkündet ein paar schockierende Dinge und schickt sich an, das heilige Poldermodell und die inzestuöse politische Kultur auf die Hörner zu nehmen. Er ist sehr redegewandt, theatralisch, bei Aufregung mit dem dramatischen Ton der Primadonna assoluta. Aber er sagt auch Dinge, die den Kern der Sache treffen.

In der Polderlandschaft, aus der die Niederlande zu einem großen Teil bestehen, ist die richtige Wasserwirtschaft eine Überlebensfrage und erfordert eine immer währende Runde gemeinsamer Beratungen und Zusammenarbeit, eine Praxis, die sich in langen Jahrhunderten der Erfahrung im politischen Charakter eingenistet hat. Daran ist an sich nichts auszusetzen, und es kann zu außerordentlich positiven Resultaten im Wirtschaftsbereich führen. Allerdings auch, wenn es zu lange dauert, zu einer politischen Kaste, die sich durch wechselseitige Befruchtung dem Volk total entfremdet, das nicht einmal mehr weiß, wer eigentlich im Parlament sitzt, wer für was verantwortlich ist, wofür die Parteien nun eigentlich eintreten. Es gibt kein Persönlichkeitswahlrecht, keine direkte Beziehung zwischen Wähler und Gewähltem, keinen gewählten Ministerpräsidenten oder Bürgermeister, geschweige denn, wie in Amerika, Polizeichef oder Richter, die man für ihre Taten oder Untaten zur Verantwortung ziehen kann.

"Bei dieser emotionalen Wahl wird sein Charisma nachflimmern"

Fortuyn war nicht der Einzige, der das zur Sprache brachte. Erst am vorvergangenen Sonnabend ließ das ehrwürdige "NRC Handelsblad" zehn Professoren zu Wort kommen, die ein außerordentlich düsteres Bild von der politischen Kultur in den Niederlanden zeichneten, mit der Begründung, dass "die wichtigsten Beschlüsse in Organen gefasst werden, die die Regeln demokratischer Entscheidungsprozesse nicht erfüllen", dass "das Parlament zu einer Stempelmaschine verkommen ist" und "die Legitimation der niederländischen Demokratie eine massive Form von Selbstbetrug und Irreführung ist". Das habe dazu geführt, dass die Kaste, die die verwaltungsmäßige und kontrollierende Macht unter sich aufteile, Äußerungen aus der Gesellschaft nicht mehr zu sich durchdringen lasse, weder was die Geschwindigkeit und Qualität der Zuwanderung, die Wartelisten in den Krankenhäusern, den verheerenden Zustand der Eisenbahn betreffe noch die Sicherheitsprobleme oder das Bildungswesen.
Die Professoren äußerten das in einer angesehenen Zeitung, doch Fortuyn sprach es, immer häufiger und immer heftiger, in den Medien aus. Er war zum Star geworden und, auf rätselhafte Weise, wie sich jetzt zeigt, vielen ans Herz gewachsen. Es war den Leuten egal, dass dieser so sichtbare Mann ein Homo war, der kundtat, er gehe lieber in einen Darkroom als in die Kirche, oder dass er am Samen eines zufälligen Liebhabers schmecken könne, was dieser tags zuvor getrunken habe. Er war ein Mitglied der Familie geworden. Man hatte sich an seine Einsamkeit gewöhnt, an seine Nadelstreifenanzüge, seinen Daimler mit Chauffeur, die zwei winzigen Hündchen, sein Haus in Rotterdam, das er "Palazzo di Pietro" nannte, ebendas Haus, vor dem nun all die Blumen liegen. Der rechtsliberale Europakommissar Frits Bolkestein sagte in unübersetzbarem Niederländisch, die Niederlande würden mit Fortuyn so etwas wie eine "Klofigur" abgeben, woraufhin dieser erwiderte, Bolkestein, der einst als erster Intellektueller das Problem der Zuwanderung thematisiert habe, habe seine Arbeit nicht zu Ende geführt, sondern sich feige nach Brüssel abgesetzt.

Sein Vorschlag, Artikel 1 der Verfassung abzuschaffen, der Diskriminierung verbietet, kam, nachdem ein Imam geäußert hatte, Homosexuelle seien weniger wert als Schweine. Zu einem anderen Imam, der ihm vorgeworfen hatte, er verstehe nichts von Marokkanern, sagte er: "Aber ich gehe mit ihnen ins Bett, Sie nicht."

Früher war er Mitglied der Partij van de Arbeid gewesen. 1981 promovierte er über die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Niederlande 1945 bis 1949. 1990 wird er Professor für Fragen der Arbeitsbedingungen an der Erasmus Universität Rotterdam, allerdings nur für wenige Jahre. Von 1994 an ist er Kolumnist der Wochenzeitschrift "Elsevier" und startet, was man seinen Kreuzzug nennen könnte. Er schreibt verschiedene Bücher, darunter "Tegen de islamisering van onze cultuur" ("Gegen die Islamisierung unserer Kultur"), in dem er argumentierte, man könne von den Muslimen, die als Flüchtlinge ins Land kämen, verlangen, dass sie Niederländisch lernten und sich den demokratischen Regeln des Rechtsstaats anpassten.

Eine kleine Partei, Leefbaar Nederland, wollte ihn als Spitzenkandidaten, brach jedoch mit ihm auf Grund seiner Äußerungen zum Islam. Daraufhin beschloss er, seine eigene Partei zu werden, und begann seinen kometenhaften Aufstieg. Je höher er stieg, umso gefragter wurde er in den Medien und umso höher stieg er - bis es am Tage seines Todes der letzten Umfrage zufolge in den Bereich des Möglichen gerückt war, dass er mit der unerfahrenen Gruppe, die er hinter sich geschart hatte, zur größten Partei aufsteigen würde, womit sich erfüllen würde, was er, als Leefbaar Nederland ihn aus krankhafter Furcht vor Ansteckung von sich stieß, mit so viel Bravour aus seinem Daimler heraus gerufen hatte: "Und trotzdem werde ich Ministerpräsident dieses Landes!" Ein fanatischer Umweltaktivist aus einem perversen Polit-Thriller hat dafür gesorgt, dass es dazu nicht kommt. In letzter Zeit hatte Fortuyn, den Sieg vor Augen, damit begonnen, seine Standpunkte zu nuancieren, und war für einen "Generalpardon" für alle illegal im Land Lebenden eingetreten.

Die Lösungen, die er propagierte, waren nicht immer fest untermauert, aber er hatte untrüglich erspürt, wo die Probleme lagen - was mit "gesundem Volksempfinden" nichts zu tun hat. Wie es jetzt weitergehen wird, weiß niemand, nur eines ist sicher: Die Trauer um seinen Tod ist, quer durch alle Reihen, echt. Das sieht man an den Leserzuschriften in allen Zeitungen. Rührende Briefe, in denen die Leute oft erwähnen, sie hätten ihn nicht gewählt. Das gilt auch für mich. Dies ist, meine ich, auch nicht der richtige Zeitpunkt für eine Heiligsprechung. Doch die Zeitung, die geschrieben hat, dieser Mann dürfe als Premier nie einen Kranz am Mahnmal für die Gefallenen niederlegen, und der Politiker, der verkündet hat, Anne Frank könne besser wieder ihre Dachkammer aufsuchen, haben diese erniedrigenden Bemerkungen an einen Mann gerichtet, der gesagt hatte: "Ich benutze das Wort als Waffe. Ich verurteile jegliche politische Gewalt. Ich verurteile jegliche Diskriminierung auf Grund von Rasse, Religion et cetera. Ich will niemandem seine Bürgerrechte nehmen."

Man hat in diesem Land beschlossen, diese zweifellos höchst emotionale Wahl stattfinden zu lassen, bei der sein Charisma nachflimmern wird. Gleichzeitig hat man beschlossen, den Wahlkampf zu beenden. Das ist, wie der ehemalige Außenminister und Gründer der Partei Democraten '66, Hans van Mierlo, sagte, "Unsinn. Endlich spricht die gesamte Wählerschaft über Politik, und da schweigen die Politiker".

Die Partei des Toten wird viele, viele Sitze erringen. Zum Teil als Beileidsbekundung. Eine große Gruppe neuer Leute, die meisten ohne administrative Erfahrung, wird ins Parlament einziehen. Der zweite Mann dieser Partei ist ein Kap-Verdier, von dem wir wenig wissen. Die anderen unbeschriebene Blätter, ein paar "hasbeens" und unbekannte Größen. Fortuyn selbst hatte so seine Zweifel hinsichtlich der großen Gruppe, die er in seinem charismatischen Fangnetz hinter sich herschleppte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Partei an ihren inneren Gegensätzen zerbricht. Doch Fortuyn hat einen Gei st aus der Flasche gelassen, den niemand wieder hineinbekommt. Es sind eigenartige Zeiten, wenn ein Toter die Wahl gewinnt. Doch les jeux sont fait, rien ne va plus: Nichts geht mehr. Eines der letzten Bilder, die ich von ihm sah, war ein besinnliches Gespräch über den Tod seiner Mutter, wie sie habe "arbeiten" müssen, um sterben zu können, und die Würde, mit der sie das getan habe. Er hoffe, wenn es soweit sei, diese Kraft ebenfalls aufbringen zu können. Fünf Kugeln haben auch diesem Traum ein Ende gemacht.

 


 

Die Niederländer hatten immerhin einen Fortuyn,
auch wenn er starb.

Was haben wir?

Nichts.

 

 

 

 

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er hatten immerhin einen Fortuyn,
auch wenn er starb.

Was haben wir?

Nichts.

 

 

 

 

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