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Newsletter von Maulkorbzwang und den Dogangels
Politisch und Nitrofen |
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* "Es fehlt in
diesem Land mal wieder das couragierte Beispringen..." (Walter Jens)
* Für Deutschland Peinlich * 18 % mit Trauerschleife * Notwendige Nachhilfe in Sachen Semantik * Gifthuhn viel älter * Link zur Liste wegen Nitrofen-Verdachts zurückgerufener Produkte
DEMO
GEGEN MÖLLEMANN
"Für Deutschland Peinlich" Von Holger Kulick Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik demonstrierte eine Jüdische Gemeinde vor dem Sitz einer im Bundestag vertretenen Partei. "Gegen den Versuch der FDP, mit antisemitischen Parolen Wahlpropaganda zu machen" protestierten etwa 2500 jüdische und nichtjüdische Bundesbürger in Berlin. Dabei kam es auch zu einem spektakulären Parteiaustritt aus der FDP.
Berlin - Ex-Außenminister Kinkel war aufgebracht. Nicht nur weil er auf
dieser Kundgebung doch nicht reden durfte, wie (von ihm) eigentlich
geplant. Oder weil auch ihn die Arroganz Jürgen Möllemanns allmählich
nervt. "Aber was sollen wir tun? Wir können ihn doch nicht mit dem
Maschinengewehr zur Entschuldigung zwingen", meinte der FDP-Politiker
am Rande zu einem Reporter. Mehr schien ihn aber noch zu stören, dass
seine Partei "wegen einiger weniger unglückseligen Äußerungen" so in
Misskredit gerate, wie er wiederholt von sich gab. Deshalb weigerte er
sich auch strikt, ausländischen Journalisten Interviews zu geben. So
gab er erst einem amerikanischen Hörfunkreporter und dann einem
BBC-Interviewer einen Korb. "Sorry", das sei jetzt keinesfalls
ausländerunfreundlich gemeint, aber "dies ist ein rein innenpolitisches
Problem", bürstete er beide ab. Den Flurschaden für die FDP wollte er
als ehemaliger Außenpolitiker nicht über Deutschlands Grenzen tragen.
Aber da ist die Botschaft längst. Am Rande beobachteten zwei Mitarbeiter des US-Kongresses das Treiben und schüttelten den Kopf. Celinda Franco vom Congressional Research Service und Martin Gelfand, ein Mitarbeiter des demokratischen Senators Kucinich, berichteten, wie ihnen gegenüber FDP-Politiker versucht hätten, die Affaire klein zu reden. Dabei sei doch "höchst beunruhigend, wie europaweit wieder etwas in der Luft liegt, was wir hier für überwunden glaubten", meinte Gelfand. Er und seine Kollegin hatten sich extra von ihrer Besuchsdelegation im Bundestag gelöst, um Augenzeuge dieser Demonstration zu werden, wie es sie in Deutschland noch nie gab.
"Für Deutschland Peinlich" Rund 2500 Demonstranten waren am späten Mittwochnachmittag dem Aufruf von Berlins jüdischer Gemeinde und einer Reihe jüdischer Verbänden Berlins vor die FDP-Bundeszentrale gefolgt, "weil wir handeln wollten um nicht länger auf nichtjüdische Anständige zu warten", sagte auf Nachfrage die Moderatorin der Veranstaltung, Lala Süsskind. "Denn ich denke, das Fass ist voll", rief die Vorsitzende des jüdischen Frauenverbands WIZO zum Auftakt in die Menge. Noch sei diese Partei nicht verloren und ihr Ansehen wieder herzustellen. Aber die ständigen "stereotypen antisemitischen Äußerungen" Möllemanns hätten dazu geführt, dass FDP derzeit nur noch mit "Für Deutschland Peinlich!" oder "Für Demokraten Peinlich" übersetzt werden könne, verlas sie einen Aufruf.
Besonders viele junge Leute waren zu der Demonstration gekommen, darunter Anhänger der verschiedensten Religionen. Auch Berlins "Türkischer Bund" schickte solidarisch ein Grusswort, weil er es "unerträglich" finde, "wie die FDP versucht im braunen Sumpf zu fischen". Viele mitgeführte Transparente sprachen deutlich für sich: "Blau + gelb = Braun", "Kein Wahlkampf für 18 % Antisemiten", "Rote Karte für Möllemann", "Wählt Jürgen W. Haiders FDP" oder "Liberal - Euch egal - für 18 Prozent rülpst ihr rechtsradikal". Doch dies sei"keine Demonstration gegen die FDP", die aus vielen klugen Köpfen bestehe, stellte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Alexander Brenner, schon im Vorfeld klar. So lobte er Graf Lambsdorff, Hildegard Hamm-Brücher oder den ehemaligen liberalen Innenminister Baum. Jetzt aber sei die Frage, "Wer führt heute die Partei mit welchem Denken?". "Wollen wir hoffen, dass deren zynische Rechnung nicht aufgeht!", sagte Brenner und klagte eine "eindeutige, klare und nicht verklausulierte Distanzierung ohne Wenn und Aber" von Jürgen W. Möllemann ein. Dann ergriff die Ortsvorsitzende der FDP Berlin -Dahlem, Susanne Thaler das Wort und in der FDP-Zentrale schlossen sich allmählich die wenigen noch geöffneten Fenster. Steht die 18 für Adolf Hitler? Nie habe sie in den letzten 20 Jahren "auch nur schattenhaft den Anlass zu Zweifeln an der FDP gehabt", wie sie jetzt durch Jürgen Möllemann losgetreten worden seien. Dessen Worte wären nicht nur verletzend, "sondern sie machen mir Angst", schilderte sie. Möllemann habe aus ihrer Sicht seine "Signale nicht zufällig geäußert", warf sie dem nordrhein-westfälischen FDP-Vorsitzenden vor: "Er hat das bedingungslose Erreichen der 18 Prozent im Kopf", dafür würden von ihm "und leider auch Guido Westerwelle" Tabus gebrochen. So "zu zündeln", wie Möllemann, sei "unappetitlich und gefährlich", sagte Thaler und warf ihrem Parteifreund einen "tief verinnerlichten Nazirassismus" vor. Es klinge weit hergeholt, aber ihr würden mittlerweile auch Zweifel wachsen, ob das Ziel "18 Prozent" nicht mit tieferem Sinn gewählt worden sei, denn unter den Neonazis stehe die 18 nach der Numerierung des Alphabets für die Abkürzung AH - Adolf Hitler. Dann erklärte die resolute Politikerin demonstrativ ihren Austritt aus der FDP - unter anhaltendem Applaus der Anwesenden. Nur Klaus Kinkel habe sie gestern noch versucht, von diesem Schritt abzubringen, von der eigentlichen Parteiführung habe sie aber seit November letzten Jahres, als sie erstmals an Guido Westerwelle geschrieben habe, nichts gehört, berichtete sie. Danach klopften ihr vor allem Parteifreundinnen auf die Schulter und lobten sie, auf diese Weise vielleicht mehr für die FDP getan zu haben, als derzeit jeder andere Vertreter der Partei.
Mittwoch 5. Juni 2002, 18:02 Uhr
FDP-Chef Westerwelle erklärt Möllemann den Krieg Berlin/Düsseldorf (AP) FDP-Chef Guido Westerwelle hat im Antisemitismus-Streit seinem Stellvertreter Jürgen Möllemann den Krieg erklärt. In der neusten Wendung im Machtkampf an der Parteispitze konfrontierte Westerwelle ihn am Mittwoch überraschend mit dem Ultimatum, bis kommenden Montag für die Entfernung des Ex-Grünen Jamal Karsli aus der Düsseldorfer Landtagsfraktion zu sorgen. Möllemann antwortete hinhaltend, er wisse leider nicht, was Karsli Schlimmes getan haben soll. Dann sagte Möllemann, er habe Westerwelle erst mal einen Brief geschrieben und um Aufklärung über Karslis angebliche Verfehlungen gebeten. Der Düsseldorfer Parteivorsitzende tat gerade so, als wisse er nicht, dass momentan die Post streikt. Dabei sind die Pfeile, die Westerwelle im Köcher hat, nicht gerade stumpf: Aus dem Hauptquartier wurde bekannt, dass auf der Bundesvorstandssitzung am kommenden Montag ein Antrag eingebracht werden könne, in dem Möllemann zum Rücktritt von seinem Vizeposten aufgefordert wird, wenn Karsli bis dahin nicht samt Stuhl aus der Fraktion entfernt ist. Der Antrag könnte von Westerwelle selbst formuliert und eingebracht werden, hieß es. Sollte Möllemann zögern, sei ein Sonderparteitag möglich. Der könne laut Satzung in dringenden Fällen innerhalb von drei Tagen einberufen werden. Mit stahlhartem Gesicht Anmerkung: Westerwelle stand zu diesem Zeitpunkt auch unmittelbar vor einem kritischen Rednereinsatz im Bundestag, bei dem er sich gegen den Vorwurf von SPD und Grünen verteidigten sollte, mit einem rechtspolitischen Kurs auf Stimmenfang zu gehen. Zuvor hatte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Paul Spiegel, die Bedingungen für eine Wiederaufnahme der
Gesprächskontakte mit der FDP verschärft. Nicht nur, dass sich Möllemann
für seine Antisemitismus-Vorwürfe gegen Michel Friedman und Ariel Scharon
öffentlich entschuldigen sollte, sondern es müsse auch Karsli aus der
Fraktion entfernt werden. Jüdische Künstler begannen zudem, sich von der FDP zu distanzieren.
Der Schauspieler Michael Degen, bekannt aus «Derrick» und «Tatort» sprach
in der Hamburger Illustrierten «Max» vom Kofferpacken, weil der
Antisemitismus in Deutschland nie ausgeräumt worden sei und wieder unter
der Oberfläche hervorkomme. Der Leinwandmogul der 50er Jahre, Atze
Brauner, sagte, eigentlich sei er über diese Debatte froh:
«Das Geschwür bricht auf. Man sieht, wie es in
Deutschland wirklich steht.» Nach Bundeskanzler Gerhard Schröder trat auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping mit der Warnung an die Öffentlichkeit, dass die Antisemitismus-Debatte beginne, das Ansehen Deutschlands in der Welt zu beschädigen. Der parteilose Bundeswirtschaftsminister Werner Müller sagte in Nachrichtensender n-tv, wenn Deutschland in eine Antisemitismus-Debatte großen Ausmaßes hineinschlittere, «bin ich absolut sicher, wird das Ausland diesen Investitionsstandort, aber auch deutsche Produkte zunehmend kritisch begutachten». Unter diesem Druck fiel es Westerwelle offenbar gar nicht auf, dass er
die Journalisten zu seiner Erklärung mitten in der zweiten Halbzeit des
WM-Spiels gegen Irland zusammengerufen hatte. Es
fiel ihm auch nicht auf, dass jemand über die Zahl 18, die vorn an seinem
Rednerpult als Symbol für den angestrebten Stimmanteil bei der
Bundestagswahl angebracht hatte, ein schwarzes Kreppband geklebt hatte.
Notwendige Nachhilfe in
Sachen Semantik
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