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Newsletter von Maulkorbzwang und den Dogangels
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K O M M E N T A R
Das Schweigen unterm
Schafspelz
Was wäre, wenn eine Partei wie die FDP den "Grundkonsens der Demokraten" in Sachen Antisemitismus verlassen würde? Die Demokraten wären gezwungen, diesen Grundkonsens endlich aktiv herzustellen und offensiv zu verteidigen Von Richard Herzinger
Die FDP sei dabei, den demokratischen Grundkonsens der Bundesrepublik zu verlassen, meint Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Das mag eine übertriebene Befürchtung sein wahrscheinlicher ist noch immer, dass Möllemanns Spiel mit dem antisemitischen Ressentiment und Westerwelles fintenreiches Doppelpassspiel mit seinem Vize Teil einer, nun außer Kontrolle geratenden, "Strategie" der Freien Demokraten ist, um jeden Preis auf sich aufmerksam zu machen. Es handelt sich (mit Sicherheit jedenfalls bei Westerwelle; ob Möllemann sich von seinen Affekten bereits ins Abseits hat katapultieren lassen, ist noch nicht eindeutig feststellbar) um eine Art politisches Bungee-Springen: Die FDP möchte ganz fürchterlich nonkonformistisch und tabubrecherisch aussehen bei ihrer Kampfansage an das Polit-Establishment und das konsensualitische Parteienkartell. Am Ende möchte sie dann aber doch unbedingt wieder in irgendeinem Koalitionsboot sitzen, ob es nun rot oder schwarz lackiert ist, und dort ihre staatstragende Unverzichtbarkeit nachweisen. Doch nehmen wir einen Augenblick an, Paul Spiegel hätte recht und die FDP sei dabei, sich über die rote Linie dessen zu begeben, was der Zentralratsvorsitzende als den Grundkonsens der Bundesrepublik betrachtet. (Oder, was auf das gleiche hinausliefe, die FDP zerbräche am Antisemitismusstreit und Möllemann gründete eine neue, populistische Partei mit antisemitischen Untertönen.) Was hätte das für denkbare Konsequenzen? Nun, die unmittelbare Folge wäre, dass die etablierten demokratischen Parteien dann gezwungen wären, ihren Konsens offensiv zu formulieren und das heißt, ihn überhaupt erst einmal wieder aktiv zu redefinieren. Denn worin besteht dieser Konsens in Bezug auf das antisemitische Ressentiment eigentlich genau? Gibt es einen Konsens der Demokraten darüber, was sie über Juden und über Israel denken und meinen? Oder nur darüber, was man in der öffentlichen Sphäre darüber sagen, und welche Ansichten man nur hinter vorgehaltener Hand preisgeben darf? Das macht einen erheblichen Unterschied aus. Im ersten Fall wäre der Konsens das Resultat einer intensiven und dauerhaften Auseinandersetzung mit den Merkmalen und Hintergründen der antisemitischen Vorurteilsstruktur, im zweiten Fall nur eine Konvention, die die demokratische Öffentlichkeit in letzter Instanz gerade davor bewahren soll, sich mit dieser schwierigen Auseinandersetzung belasten zu müssen. Denn eine solche Auseinandersetzung führt in die Untiefen des Selbstbildes nicht nur der deutschen Nation, sondern der gesamten westlichen Zivilisation. Sie beinhaltet das Eingeständnis, dass man selbst als noch so mustergültiger Demokrat nicht gegen tief sitzende stereotype Projektionsbilder gefeit ist, die sich an "den Juden" fest machen. Und man müsste sich eingestehen, dass das pure Grundwissen über das Judentum und die Grundlagen des Staates Israel selbst in den gebildeten Schichten sehr viel weniger groß und viel weniger weit verbreitet ist als es die offizielle Erinnerungs- und Geschichtsaufarbeitungskultur suggeriert. Was ist "das Judentum" überhaupt, was macht seine Identität aus? Ist es "eine Religionsgemeinschaft?" Nun, es gibt unter den Juden zahlreiche Atheisten und Agnostiker, und sie hören damit doch nicht auf, Juden zu sein. Ist es vielleicht eine Nation? Offensichtlich nicht. Denn man kann als Jude sehr wohl ein einhundertprozentiger Amerikaner, Franzose, Deutscher oder Australier sein und ist dadurch doch nicht weniger ein Jude, als es ein Israeli ist. Bilden die Juden dann vielleicht eine "Kultur"? Nun, in Israel strömen Juden aus aller Welt zusammen, deren kulturelle Traditionen grundverschieden sind und deren Konflikte untereinander so heftig sind, wie sie in einer offenen und multiethnischen Gesellschaft nur sein können. Und worauf gründet sich überhaupt der Staat Israel? Auf Religion? Auf Abstammung? Auf die Erinnerung an eine gemeinsame Geschichte? Auf die säkularen Werte der Aufklärung, der Demokratie und das westliche Prinzip der Willensnation? Alle diese Faktoren spielen eine Rolle, doch keines definiert für sich das nationale Selbstverständnis Israel hinreichend - und darüber, welches dieser Elemente mehr oder weniger wichtig sei, finden innerhalb der israelischen Gesellschaft erbitterte Debatten statt. Das ist es gerade, was am Judentum fortlaufend verwirrt und herausfordert: Dass es nicht eindeutig und abschließend definierbar ist. Und damit die homogenen Identitätsmuster auch anderer Nationen in Frage stellt. Die Angst vor Auflösung und "Zersetzung", die durch dieses Urmuster einer heterogenen Identität ausgelöst wird, ist der Nährboden für das antisemitische Stereotyp. Und es ist nicht verwunderlich, dass es gerade jetzt, in einer Epoche der Transformation der klassischen Nationalstaaten in supranationale Gebilde mit zunehmend internationalisierten Staatsvölkern, verstärkt wieder aufgerufen wird. Was verallgemeinernd als "Rechtspopulismus" gebrandmarkt wird, ist nicht zuletzt Ausdruck einer kollektiven Verunsicherung über vermeintlich festliegende, homogene nationale Identitäten angesichts dieser neuen, unwägbaren Entwicklung. Und es ist geradezu zwangsläufig, dass im Zuge der neuen Fluchtbewegung in das Homogenitätsdenken die uralte Verdachtsstruktur gegen den unberechenbaren, undurchschaubaren, nicht fassbaren "Juden" wiederbelebt wird. Darum geht es, und nicht um das gute oder schlechte Benehmen Michel Friedmanns. Freilich existiert der "klassische Antisemitismus" als geschlossenes, ideologisch verhärtetes antisemitisches Welterklärungsmodell in der westlichen Welt heute nur noch in sektiererischen rechtsextremistischen und neonazistischen Kreisen. Stereotype und Denkmuster, die der antisemitischen Tradition entstammen, flottieren jedoch frei und sind, auch in der ehrbaren bürgerlichen "Mitte", bei jung und alt, verbreitet. Etwa das Klischee vom angeblichen Selbstverständnis der Juden als einem "auserwählten Volk", das vom antisemitischen Ressentiment so ausgelegt wird, als verbinde sich damit die Herabsetzung anderer Völker als minderwertig. Daraus folgt dann im nächsten Schritt die Schlussfolgerung, das Judentum sei per se "rassistisch". Woraus dann flugs die Parole abgeleitet wird, die Juden seien "auch nicht besser als die Nazis" oder Israel wende "Nazi-Methoden" an. So wird nicht nur in Teilen der FDP gedacht, solche Gedanken finden sich unter der Decke pathetisch beschworener deutsch-israelischer Freundschaft auch in allen anderen demokratischen Parteien und, wohlgemerkt, nicht zuletzt in der Linken. Was heute bröckelt, ist der Grundkonsens, dass man solche Gedanken nicht öffentlich aussprechen dürfe, wenn man in der politischen und publizistischen Öffentlichkeit salonfähig bleiben will. In den Köpfen waren diese Ansichten aber auch vorher schon präsent. Wenn Gerhard Schröder und Joschka Fischer warnen, der Antisemitismus "schade dem deutschen Ansehen", weil doch "das Eis dünn" sei, auf dem es steht, mag das zutreffen - doch als Argument tragen solche Ermahnungen nicht weit. Zu sehr erinnern sie an die Haltung eines furchtsamen Hausvaters, der den Streit in der Familie mit dem Hinweis ersticken will, was denn die Nachbarn denken sollen. Wenn nun der deutsche "Grundkonsens" in Sachen Antisemitismus aus den Reihen einer vermeintlich "zuverlässigen", etablierten demokratischen Partei in Frage gestellt wird, mag das alarmierend und abstoßend sein. Es hat aber keinen Sinn, dem mit der Beschwörung entgegenzutreten, man möge doch in Gottes, der Demokratie und der Nation Namen aufhören, weiter so zu reden; man möge doch bitte schön in die Scheinidylle des Verschweigens zurückkehren. Es gilt vielmehr, dieser auf Dauer wohl ohnehin unaufhaltsamen Entwicklung offensiv zu begegnen, indem man sie zum Anlass nimmt, das eigene Bewußtsein darüber zu schärfen, warum die Ablehnung und Bekämpfung des antisemitischen Syndroms für das Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft eigentlich von solch essenzieller Bedeutung ist. Deshalb nämlich, weil die moderne Demokratie auf der Bejahung einer grundsätzlich offenen, vieldeutigen Identität beruht - jenes Prinzips also, das vom antisemitischen Ressentiment gegen "den Juden" angegriffen wird. Auf der Basis dieser Einsicht sollte der politische Kampf gegen alle Kräfte gesucht und geführt werden, die dieses Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft unterminieren wollen. Kämpferische Auseinandersetzung ist besser als das Erzwingen eines Schweigegebotes nicht zuletzt, weil das antisemitische Gerücht ja gerade die Grauzonen des Unaussprechlichen braucht und in einem Klima, das nur Andeutungen und Anspielungen zuläßt, am üppigsten gedeiht. Statt Möllemann dazu zu nötigen, Läuterung zu heucheln, sollte man ihn zu der von ihm selbst geforderten Diskussion über Israel, den Nahostkonflikt, die Politik Scharons, den Zentralrat der Juden in Deutschland und über den Zustand der Meinungsfreiheit in Deutschland zwingen. Man sollte ihn auffordern, zu sagen, was er mit seinen Andeutungen eigentlich genau meint und worauf sich diese Meinung stützt. Dann wird sich schnell herausstellen, dass er sich nicht nur im Ton vergreift, sondern in der Sache Unrecht beziehungsweise zu diesen Fragen gar nichts zu sagen hat. Und wer ihn dann trotzdem noch wählen will, soll ihn halt wählen. Die politischen Parteien, die seine Ansichten ablehnen, wissen dann zumindest genau, warum sie diese Wählerstimmen nicht bekommen haben.
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