"Eltern haften für ihre Kinder" - dieses Warnschild kennen wir von jedem Bauzaun. Die Großbaustelle zur Reform des Arbeitsmarktes, kurz "Hartz IV" genannt, beschert uns jetzt die umgekehrte Variante: Falls sich auf dem Sparbuch des Nachwuchses mehr als 750 Euro türmen, fällt für den Erwerbslosen der staatliche Zuschuss für eben diesen Nachwuchs flach. Es geht um 199 bis 276 Euro pro Monat - sie machen den Unterschied aus zwischen einer Kindheit in Armut oder in "bescheidenen Verhältnissen", wenn der Arbeitslose selbst kaum 350 Euro erhält.

Das muss man sich einmal vorstellen: Da legt ein Facharbeiter oder mittlerer Angestellter trotz der in Deutschland ohnehin immens hohen Sozialabgaben noch ein paar Euro auf die Seite, um etwa eine Ausbildungsversicherung für sein Kind abzuschließen oder schlicht auf dessen Sparbuch Geld für ein späteres Studium anzusammeln. Dann wird dieser Arbeitnehmer mit Ende 40 oder Anfang 50 "freigesetzt", weil der Konjunkturmotor stottert und gerade seine Branche besonders darunter leidet. Genau seine Fähigkeiten sind also erst einmal nicht gefragt - flächendeckend. Und weil der Konjunkturmotor schon seit Jahren stottert und kaum eine Branche davon verschont bleibt, stehen immer mehr Menschen auch schon ein Jahr oder länger auf der Straße - Qualifikation hin, Engagement her.

Spare in der Zeit, dann hast du in der Not - Pustekuchen! Wer fleißig gearbeitet, brav gezahlt, emsig gespart und bescheiden gelebt hat, ist doppelt, ja dreifach angeschmiert. Das größte Vermögen, die in Jahrzehnten abgezapften Sozialabgaben, tröpfelt "Vater" Staat den bedürftig Gewordenen mit der Pipette zurück. Ihre private Altersvorsorge - angelegt aus bereits einmal versteuertem Einkommen! - wird darauf auch noch angerechnet. Nur Zyniker werden es da konsequent finden, mit der Vorsorge für die Kinder ebenso zu verfahren.

Wenn das alles denn wenigstens helfen würde, unser Bismarcksches Sozialsystem zu retten. Tut es aber nicht, denn der verschärfte Druck auf Arbeitslose wird kaum neue Jobs schaffen - außer in jenen Sicherheitsunternehmen, welche die Filialen der Bundesagentur für Arbeit schützen müssen vor dem Zorn der für viel Geld dort so miserabel Versicherten. Doch allein durch neue Jobs, also mehr Beitragzahler und weniger Leistungsempfänger, kann unser jetziges Sozialsystem überhaupt weiter finanziert werden.

Das weiß auch der Kanzler, er hat es in zwei Wahlkämpfen oft genug gesagt. Das weiß auch die Opposition, sie hat ihm in diesem Punkt nie widersprochen. Hartz IV haben sie nun mehr oder weniger gemeinsam gemacht. Was sie als "Arbeitsmarktreform" verkaufen, reformiert den Arbeitsmarkt jedoch nicht - es bremst lediglich und auch nur kurzfristig die Ausgaben für jene, welche auf eben diesem Arbeitsmarkt nicht gefragt sind.

Schlimmer noch: "Hartz IV" bestraft in vielen Fällen Lebensleistungen, bricht Vertrauen, entmündigt und enteignet. Es trifft nicht Randgruppen, sondern überwiegend jene, welche das Modell der sozialen Marktwirtschaft immer loyal mitgetragen haben. Wenn sich solche Pannen häufen, wird Schröders Agenda nicht den Weg bis 2010 weisen, sondern ein neues 1968 provozieren.

Joerg Helge Wagner